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Am Weißen See in Weißensee für „Weissensee“. Regisseur Friedemann Fromm hat hier zahlreiche Szene für die erfolgreiche Fernsehserie gedreht.
© Doris Spiekermann-Klaas

Eine Runde Berlin: Am Fernsee-Ufer

Anfang Mai sind neue Folgen der TV-Serie „Weissensee“ zu sehen. Ein Besuch mit Regisseur Friedemann Fromm am Drehort.

Vormittags um elf gibt es am Weißen See keinen Kaffee, aber ein Schwein. Ein kleines, feines, beinahe graziles Schwein mit weißen Borsten. Es quiekt und grunzt und saugt mit seinem Rüssel die vielen Eicheln von der Wiese, hier und da auch einen Krokus, es ist schließlich Frühling. Kein Herr- oder Frauchen weit und breit. Egal, das Schwein zeigt einen gesunden Appetit und stört sich auch nicht daran, dass Friedemann Fromm schnell für ein Foto neben ihm posiert. „Mein Sohn liebt Schweine, der glaubt mir nie, dass ich hier eins getroffen habe“, aber so sei das eben mit dieser Stadt. „Wenn du glaubst, du hast schon alles gesehen, musst du nach Berlin kommen.“

Der Filmemacher Friedemann Fromm ist mit dem Zug aus Hamburg angereist. Endlich mal wieder zum Weißen See, „das ist ein bisschen wie nach Hause kommen“. Zum Spielplatz mit der Holzschaukel, wo eine der ersten Szenen für die TV-Serie „Weissensee“ entstand. Gleich neben der Terrasse des Cafés, einem DDR-Zweckbau mit dem schönen Namen „Milchhäuschen“, es wird in der vierten Staffel öfter ins Bild kommen.

Fromm würde sich gern in die Sonne setzen und Kaffee trinken. „Darauf hab' ich mich schon die gesamte Zugfahrt über gefreut“, aber Montag ist Ruhetag. Er lächelt, das erinnert ihn ein bisschen an die untergegangene DDR, „draußen nur Kännchen“ und so. Also keinen Kaffee, „lassen Sie uns um den See spazieren, welche Richtung?“ Gern links herum! Fromm nickt, „das Herz schlägt links“, passt ebenfalls ganz gut zur DDR, auch wenn das Zitat von Willy Brandt stammt.

Die Serie hat bereits vor acht Jahren begonnen

Die Fernsehserie „Weissensee“ hat vor acht Jahren als die Geschichte der Stasifamilie Kupfer und der Dissidenten-Familie Hausmann begonnen. Damals noch im Ost-Berlin des Jahres 1980. In der ab 8. Mai ausgestrahlten vierten Staffel rückt das Jahr 1990 und mit ihr die Abwicklung der DDR durch die Treuhand in den Mittelpunkt. Friedemann Fromm und die Drehbuchautorin Annette Hess haben den gut acht Hektar großen Weißen See mit seinem idyllischen Park und dem 1,3 Kilometer langen Uferweg weit über Berlin hinaus bekannt gemacht.

Beide sind sie in der alten Bundesrepublik groß geworden, und die Fernsehkritik hat sich anfangs ein bisschen über die nicht ganz korrekte Schreibweise lustig gemacht. Typisch Wessis, von nichts Ahnung und wollen uns was über die DDR erzählen. Überhaupt Weißensee, ein altes Arbeiterquartier im Nordosten Berlins. Als ob da Platz gewesen wäre für die Villa der Stasi-Familie Kupfer.

Aber erstens wollte die ARD ihre Serie gern in Großbuchstaben bewerben, dafür taugt das gute, alte Eszett nun mal nicht. Und zweitens findet sich in der ganzen Serie kein Hinweis darauf, dass diese Stasi-Villa am Weißen See ist. Dafür geht gleich in der ersten Folge der gute Kupfer-Sohn Martin mit seiner kleinen Tochter auf den Spielplatz mit der Holzschaukel. Als er dann leicht verspätet seinen Dienst bei der Volkspolizei antritt und ihn der Kollege anranzt: „Mensch Martin da biste ja endlich, wir müssen seit 15 Minuten auf Streife sein!“, da entschuldigt er sich mit Satz: „Ich weiß, ich war am Weißen See, mit Lisa!“ Haben die Schauspieler, fast alle in der DDR aufgewachsen, sich mal über den Namen „Weissensee“ mokiert? Fromm schüttelt den Kopf. „Das war denen ganz egal. Die hatten ganz andere Diskussionen, fast immer über das Leben in der DDR, und alle haben sie sich anders erinnert. Das war höchst spannend“ und gewiss auch inspirierend für die Gestaltung der Drehbücher.

Das Seeschwein. Plötzlich rüsselte da ein Borstentier über die Weißenseer Wiesen. Sein Besitzer hatte es ausgeführt.
Das Seeschwein. Plötzlich rüsselte da ein Borstentier über die Weißenseer Wiesen. Sein Besitzer hatte es ausgeführt.
© Doris Spiekermann-Klaas

Um kurz nach elf kommt Leben auf den Uferweg. Frauen mit Kinderwagen, Jogger, Fahrradfahrer, das kleine, feine Schwein auf der Wiese. „Das ist schon bemerkenswert, wie der Zulauf hier in den vergangenen Jahren zugenommen hat“, sagt Friedemann Fromm. „Bei den Drehs zur ersten Staffel waren wir noch weitgehend unter uns. Zuletzt hatten wir schon einige Mühe mit den Absperrungen.“ Und mit der Geräuschkulisse. Bei den Tonaufnahmen auf der Terrasse vom Milchhäuschen wuchsen sich Punk von der einen und Heavy Metal von der anderen Seite zu einem echten Problem aus, alles in Verbindung mit alkoholhaltigen Erfrischungsgetränken der jungen Leute am Ufer. „Wenn dann der Toningenieur dezent um Ruhe bat, kam öfter mal zurück: ,Alter, was ist, willste Stress?’“

Der Steg wurde immer mal wieder zum Filmmotiv

Weiter um den See, vorbei am „Jungen Arbeiter“, einer von sechs Statuen rund um den See – es gibt auch noch „Raufende Knaben“, „Lesende Mädchen“ oder Trümmerfrauen. Links ragt ein Steg ins Wasser, auch der taucht immer mal wieder als Filmmotiv auf. Fromm lässt die geschulten Augen des Filmemachers über das Ufer schweifen. „Es gibt hier nicht mehr so viel, was man bedenkenlos für Filmaufnahmen über die DDR-Zeit nutzen könnte.“

Die alte Terrassenanlage hinterm Steg ist großflächig mit Graffiti bedeckt, die Aufbauten des Strandbades leuchten in so intensiven Farben, wie es sie hier vor 1990 nicht gab. „Wir mussten schon öfter mal eine Wand mit einer grauen Paste einschmieren“, den Rest erledigte der Computer. Kurze Frage an den Mann hinterm Zaun vom Strandbad, ob es hier vielleicht einen Kaffee… „Nee, is noch zu früh!“

Weiter hinten duckt sich zwischen Baukränen und einer riesigen, traurigen Fichte eine windschiefe Villa hinter Bäumen und Büschen. Putz blättert von den Fassaden, allein der stolze Portikus lässt einiges von der vergangenen Pracht erahnen. Bertolt Brecht hat hier für ein paar Jahre gewohnt, bevor er mit Helene Weigel in die Chausseestraße nach Mitte weiterzog. Das Weißenseer Brecht-Hause verfällt seit Jahren. „Dafür haben wir hier bald einen exklusiven Neubau direkt am Park“, sagt Friedemann Fromm, denn genau das verheißt ein Schild vor den Baukränen neben der Villa.

Gebaut wird ein riesiger Kasten mit viel Glas, was zwar nicht zur umliegenden Bausubstanz passt, aber zur Renditeerwartung. Weißensee ist schick geworden, für die einen Nachwendegewinner, für die anderen Opfer der Gentrifizierung. Wer in Mitte, Friedrichshain oder Prenzlauer Berg nichts mehr findet, mietet sich in den renovierten Gründerzeithäusern des einstigen Arbeiterquartiers ein. Weißensee kommt, sehr viel nachhaltiger als der Wedding, von dem das seit Jahren behauptet wird. „Willkommen im Westen!“, sagt Fromm.

In der Nähe rauschten die DDR-Mächtigen auf ihrer Protokollstrecke nach Wandlitz

Oben rauscht der Verkehr über die Berliner Allee, die früher den Namen des tschechischen Stalinisten Klement Gottwald trug und Erich Honeckers Entourage als Rennpiste diente, hinaus in die Politbürosiedlung nach Wandlitz. „Weissensee war auch deshalb ein so treffender Name für die Serie, weil hier vieles symbolisch für die Mächtigen in der DDR stand“, erzählt Fromm.

Die Protokollstrecke Richtung Norden, die Nähe zum Stasiknast in Hohenschönhausen oder die Hauptabteilung Personenschutz für die Staats- und Parteiführung. Und natürlich das Wasser, das eine seltsame Faszination auf die Nomenklatura der Staatssicherheit ausübte. Alle wollten sie ihr Haus mit Wasserblick, das der Familie Kupfer steht im wahren Leben nicht am Weißen See, sondern in Sacrow an der Havel.

200 Meter noch, dann ist der Spaziergang um den See geschafft. Vor dem Milchhäuschen versammeln sich Flaneure, ein paar von ihnen schauen ratlos auf die verschlossene Eingangstür, andere sichtlich erstaunt auf dem Weg zum Parkplatz. Ein Mann mit wenig Haar und tätowiertem Hals spaziert vorbei, an der Leine führt er ein kleines, feines Schwein, es quiekt fröhlich und hat und seinen Rüssel mit Krokusblüten geschmückt. Mit der anderen Hand balanciert der Mann einen überdachten Fahrradanhänger, wie ihn Eltern für kleine Kinder benutzen. Diesmal steigt ein Schwein ein. Friedemann Fromm verdreht verzückt die Augen. Es geht halt immer noch ein bisschen verrückter. Schön, dass er mal wieder am Weißen See war.

Die vierte Staffel von „Weissensee“ läuft in drei Doppelfolgen am 8., 9. und 10. Mai, jeweils um 20.15 Uhr im Ersten

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