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Ab durch die Mitte: Die Adidas Football Base in Wedding, in einer früheren BVG-Werkstatt.
© Doris Spiekermann-Klaas

Adidas Football Base in Berlin: Als der Wedding nach Wedding kam

Seit Juni betreibt Adidas in den von Künstlerateliers dominierten Uferhallen ein Bolzplatz-Gelände für die Weddinger Kids - und fürs eigene Marketing. Die Künstler klagen, dass damit auch die sozialen Probleme des Stadtteils zu ihnen ins Haus kämen.

Plötzlich stand es da, das große schwarze Tor vor dem Halleneingang. "Adidas Football The Base" steht dort in gelben Lettern. Es wirkt wie ein dunkler Fremdkörper vor dem roten Backstein am Hauptgebäude der Uferhallen, dieser früheren BVG-Werkstatt, hinter deren alten, braunen Metalltoren sich in den letzten Jahren vor allem Bildhauer, Maler, Fotografen oder eine Klavierwerkstatt eingemietet haben. Und jetzt residiert Adidas im Herzstück: Käfige, Kunstrasen, Stahlträger, ein Kickerparadies für die Weddinger Jugend.

Was macht ein Sportriese in der Künstlerenklave an der Panke?

Eine Fläche von insgesamt 3300 Quadratmeter mietet der Konzern seit Juni in der Uferstraße 8, zunächst für 18 Monate, mit einer Option auf weitere anderthalb Jahre. Der Großteil der Fläche entfällt auf die große Halle mit 2500 Quadratmetern, sowie die anschließenden Räumlichkeiten der Waschbar und des ehemaligen Piano Salons Christophori, der jetzt auf die andere Seite der Uferhallen umgezogen ist. Der Grund für den Umzug sei ein lange schwelender Streit mit dem Betreiber des Salons Christoph Schreiber, sagt Wolfgang Weber, Vorstand der Uferhallen AG. Der Grund sei, dass Adidas die Räumlichkeiten haben wollte, sagt Christoph Schreiber.

Verschiedene Ansichten, nicht nur hier. „Durch einen zahlungskräftigen Mieter, der sich langfristig verpflichtet wie Adidas, können wir die Mieten für die Künstler gering halten“, sagt Uferhallen-Betreiber Weber. „Nur durch Kunst und Kultur bekomme ich meine Investitionen nicht wieder herein.“  Doch die Künstler sind nicht begeistert von dem neuen Nachbarn und von der Klientel, die er anzieht.

Ein Dienstagnachmittag vor der großen Uferhalle. Zwei große Männer ganz in Schwarz stehen am Eingang, kontrollieren Rücksäcke auf Waffen und Glasflaschen und gucken streng. Seit es bei zwei Fußball-Veranstaltungen im Juni Randale und Pöbeleien gegeben hat, sind permanent zwei Sicherheitsmänner vor Ort. "Die haben Typen mit arabischen und türkischen Wurzeln angestellt, auf die hören die Jungs", sagt ein Künstler in seinem Atelier hinter der Halle. Man habe gezielt nach Leuten gesucht, die die Sprache der Jugendlichen sprechen, heißt es von Adidas.

Destroy/Control Berlin

Direkt hinter den Männern hängt ein großes Plakat, "Destroy/Control Berlin" ist dort zu lesen. "Ich finde diesen Slogan nicht produktiv", sagt eine Künstlerin. "Dieses Plakat sendet die falsche Message", findet ein anderer. Ihren Namen wollen sie beide nicht in der Zeitung lesen.

Lange sind sie unter sich geblieben, in der Sackgasse hinter der Panke. Nun ist es in und vor der Halle lauter geworden, von 14 bis 22 Uhr haben die Fußballfelder kostenlos geöffnet, am Wochenende sogar schon ab 10 Uhr. Der Andrang ist groß, 250 Kicker kommen jeden Tag. Selbst Bälle und Schuhe können gratis ausgeliehen werden, natürlich alles von Adidas. Wie viel Geld investiert wurde, wie viel Miete der Konzern zahlt?  Dazu machen Adidas und Wolfgang Weber keine Angaben. Aber es dürfte ein beträchtlicher Betrag sein: Ein Drittel der gesamten Mieteinnahmen für die insgesamt circa 12.000 Quadratmeter große vermietete Fläche kommt jetzt von der Football Base.

Drinnen klirrt Metall. Ein Junge, schwarzes Hemd, schwarze Hose, knallgelbe Fußballschuhe, schießt den Ball immer wieder gegen die Käfigwand. Von der Decke der Halle hängen Metallhaken, Überbleibsel aus der Zeit, als hier noch Busse repariert wurden. Der Betonboden ist fleckig. Ein anderer Ball fliegt durch die Luft und prallt an eine große, mit Plastik abgedeckte Uhr. Die Football Base ist halbvoll, es ist 16 Uhr, die meisten Besucher sind Jungs, viele aus den umliegenden Kiezen.

Der Stadtteil der fliegenden Messer

Jetzt wird's gefährlich. Die vielen HSV-Trikots sind übrigens kein Zufall - der Hamburger Sport-Verein, von Adidas ausgerüstet, war zu Besuch in der Base. Trainer Labbadia sprach anschließend von einer "stylischen Atmosphäre".
Jetzt wird's gefährlich. Die vielen HSV-Trikots sind übrigens kein Zufall - der Hamburger Sport-Verein, von Adidas ausgerüstet, war zu Besuch in der Base. Trainer Labbadia sprach anschließend von einer "stylischen Atmosphäre".
© Doris Spiekermann-Klaas

Das gefällt nicht allen. "Das hier unten in der Uferstraße ist nicht der Stadtteil der fliegenden Messer", sagt ein Mann, der sein Atelier auf dem Uferhallengelände hat. Auch er will anonym bleiben. Er und andere beklagen, dass es zu laut werde, um in Ruhe zu arbeiten und dass sich das Publikum verändere, von alternativen Freigeistern zu aggressiven Jungs. Hier sei ja auch gar nicht wirklich der Wedding, wie man ihn kennt,  sagt der Mann. Und das mit den fliegenden Messern scheint er auch ernst zu meinen. Dann stellt sich allerdings die Frage, wer Wedding definieren darf. Wer zieht die Grenzen?

Durch die Sicherheitsmänner sei es ruhiger geworden rund um die Halle und die Lautstärke bekämen sie eigentlich gar nicht mit, sagen die einen. Das Problem verlagere sich jetzt lediglich auf die gegenüberliegende Straßenseite zu den Uferstudios - eine Einrichtung für zeitgenössischen Tanz, sagen die drüben. "Mädchen, die hier üben, werden beleidigt, das grenzt an sexuelle Belästigung", sagt eine Mitarbeiterin der Uferstudios. Man habe schon mit Sozialarbeitern von Gangway gesprochen und sich beraten lassen. "Das geht so nicht weiter, die können nicht einfach diese Halle da hinstellen und die Jugendlichen dann sich selbst überlassen."

Von den Mitarbeitern der Base vor Ort gibt es leider gar keine Auskunft, nicht über das Programm in der Halle, nicht über die Probleme. Sie hätten keine „Sprecherrechte“, sagen sie. Für Informationen solle man doch bitte in der Pressestelle anrufen.

Die einen anonym, die anderen stumm. Schwierig, sich so ein genaues Bild zu machen.

"In den Uferhallen treffen eben jetzt verschiedene Lebenswelten aufeinander. Das spiegelt auch einfach den Wedding wieder und ist eine Chance für den Stadtteil. Für die Künstler ist das natürlich ein Kontrastprogramm zu vorher", sagt Katrin Z., Gangway-Mitarbeiterin vom Team Wedding. Zwei bis drei Mal die Woche ist das Areal der Uferhallen Teil der Rundgänge der Sozialarbeiter durch den Stadtteil. Große Probleme mit Kriminalität oder Gewalt sehen sie dort allerdings nicht. Im September werde es ein Treffen zwischen Adidas, den Uferhallen, den Uferstudios und Gangway geben, es soll eine Bestandsaufnahme der Situation sein, heißt es von Gangway.

Hallo schöne Frau

Ein Samstagnachmittag, 18 Uhr. Auf dem Kunstrasenplatz in der Halle spielen etwa ein Dutzend Jungs gegeneinander. "Schießt doch endlich mal ein Tor", schreit einer von der Holztribüne daneben. Die Sonne fällt durch die Deckenfenster und flutet die Base mit einem warmen Licht. Einer der Security-Mitarbeiter sitzt auf der Tribüne und sieht zu. Ein paar Jugendliche grüßen ihn, als sie vorbeilaufen um sich an den Spielfeldrand zu setzen und zugucken. Zwei Jungs um die zehn Jahre kabbeln sich ein paar Meter weiter. Der eine hat dem anderen einen Fußball an den Kopf geworfen. "Die Brüder streiten sich wieder", seufzt ein Mädchen hinter der Theke, an der man sich die neuesten Schuhmodelle von Adidas ausleihen kann.

Auch das ist ein Vorwurf, der nicht nur unter den ansässigen Künstlern zu hören ist: Der Großkonzern versuche durch die kostenlose Bereitstellung der Halle, der Fußbälle und selbst der Schuhe die Kinder an die Marke zu binden. Subtiles Marketing für formbare, junge Persönlichkeiten.

Das erinnert an den großen Adidas-Konkurrenten Nike, der für die Präsentation einer neuen Produktlinie vor zwei Jahren mit den drei Brüdern Boateng an den Fußballkäfig hinter der Luisenbad-Bibliothek zurückkehrte, gleich um die Ecke von den Uferhallen, einmal über die Badstraße. Nein, nein, man trage keinen Konkurrenzkampf mit Marktführer Nike in Wedding aus, sagt Oliver Brüggen von Adidas: "Ausschlaggebend war zunächst, dass die Uferhallen wichtige Kriterien wie Größe, Verfügbarkeit oder gute Nahverkehrsanbindung erfüllte. Dass in Wedding besonders viele junge Menschen mit hoher Affinität zum Fußball leben, ist aber sicher nicht von Nachteil", heißt es in einer sorgsam formulierten E-Mail aus der Pressestelle. Die Antwort des Konzerns auf die Beschwerden der Künstler, der Anrainer, kommt ebenfalls per Mail: "Die Künstler haben uns zuletzt das Feedback gegeben, dass sich die Situation in und um die Base merklich beruhigt hat."

Montagabend, halb acht. Ein paar ältere Jugendliche laufen über den Vorplatz Richtung Halleneingang . Sie sind laut und lachen, beleidigen sich ein bisschen gegenseitig. "Ey Arschloch, ich mach dich fertig da drin. Hast eh nichts drauf!" Kumpelhaftes Geschubse. "Hey, hallo schöne Frau", ruft ein Junge aus der Gruppe einer jungen Frau zu, die mit einer Rhabarberlimonade vor dem Café Pförtner sitzt. Dann wird es wieder ruhig. Ein kleiner Junge läuft aus der Halle auf den Vorplatz, er sucht seinen Freund. Die Frau zeigt ihm den Weg. "Super, Danke!", ruft der Junge und läuft die Straße runter. "Ich krieg dich!", hört man ihn rufen.

Dieser Artikel erscheint im Wedding Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegel.

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