Arbeitskampf in Berlin: Als BVG-Streiks tödlich endeten
Am Montag wird bei den Verkehrsbetrieben wieder gestreikt. Arbeitskämpfe im Nahverkehr haben in Berlin eine lange Tradition - mit teils weitreichenden Folgen.
Streiks im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs mögen für die betroffenen Fahrgäste unbequem, ja ärgerlich sein. Langzeitwirkung entfalten sie in der Regel nicht. Die streikenden Arbeitnehmer bekommen danach vielleicht mehr Lohn, den Arbeitgebern entstehen mehr Kosten, aber das interessiert die Nutzer von U-Bahn, Bus, Tram oder auch S-Bahn dann nicht mehr so sehr. Hauptsache, sie kommen wieder pünktlich an ihr Ziel. Der Warnstreik bei der BVG Mitte März? Nur deshalb noch nicht vergessen, weil es danach zu keiner Einigung der Tarifkontrahenten kam und an diesem Montag eben ein neuer Streik bevorsteht.
Schon 1949 streikten die West-Berliner Reichsbahner
Aber es hat im Berliner Nahverkehr auch schon Arbeitskämpfe gegeben, deren Auswirkungen noch nach Jahrzehnten zu spüren waren: Der Streik im September 1980 bei der S-Bahn war dort nicht der erste, aber der folgenreichste. Sie gehörte damals zur Reichsbahn, wurde also von Ost-Berlin aus verwaltet. Das hatte bereits 1949 zu einem Streik der in West-Berlin arbeitenden Reichsbahner geführt, eine Folge der Währungsreform in West-Deutschland und West-Berlin.
Sie wurden in Ost-Mark bezahlt, mussten Miete, Strom, Gas, die täglichen Ausgaben des Lebensunterhalts aber in West-Mark bezahlen, bei einem Kurs von rund vier Ost- zu einer West-Mark. Im Mai 1949 kam es daher zum Streik aller 13 000 in West-Berlin arbeitenden und wohnenden Reichsbahner. Kollegen aus Ost-Berlin wurden als Streikbrecher eingesetzt, geschützt von der Ost-Berliner Bahnpolizei.
Es gab schwere Auseinandersetzungen, auch mit der West-Berliner Bevölkerung. Am 23. Mai starb dabei ein 15-jähriger Charlottenburger durch einen Kopfschuss, zwei weitere Berliner seien schwer verletzt worden, berichtete damals der Tagesspiegel. Der sich bis Ende Juni 1949 hinziehende Konflikt beschäftigte sogar die Stadtkommandanten, endete mit Entlassungen und anderen Sanktionen. Doch immerhin wurden die West-Reichsbahner nun zu 60 Prozent in West- und zu 40 Prozent in Ost-Mark entlohnt. Fahrkarten bekam man in den West-Sektoren nun aber nur noch gegen West-Geld.
Der Streik bei der Reichsbahn 1980 wirkt noch heute nach
Noch längere Nachwirkung hatte der Streik 1980, in dessen Folge zahlreiche Strecken stillgelegt wurden, so auch die Siemens-Bahn, deren Wiedereröffnung erst kürzlich, im Zuge der Pläne zum neuen Innovationscampus Siemensstadt, wieder in den Blick geraten ist.
Die S-Bahn durch West-Berlin war ein Verlustgeschäft, die Reichsbahn wollte sparen, verkündete Anfang 1980 erste Entlassungen und Mitte September drastische Einschnitte beim Fahrplan und im Güterverkehr, was den Beschäftigten erhebliche Einbußen gebracht hätte. Die antworteten mit Arbeitsniederlegungen, besetzten Güterbahnhöfe, blockierten Zufahrten mit Containern. Auch die Stellwerke Halensee und Zoo wurden besetzt, wodurch sogar der Transitbahnverkehr zwischen West-Berlin und dem Bundesgebiet blockiert wurde, sodass die Bundesbahn Busse Richtung Hannover und Hamburg einsetzen musste.
Erst Ost-Berliner Bahnpolizei konnte die Anlagen wieder räumen, am 25. September brach der Streik zusammen. Die Beteiligten verließen die Reichsbahn oder wurden rausgeschmissen, und nur auf der Hälfte des West-Berliner S-Bahn-Netzes nahm die Reichsbahn den Verkehr wieder auf.
Auch bei der BVG gab es wiederholt heftige, in ihrer Frühgeschichte sogar sehr blutige Auseinandersetzungen. So weit spitzte sich die Tarifauseinandersetzung im Jahr 2008 zum Glück nicht zu, aber es wurde doch der längste Streik, den die BVG je auszuhalten hatte. Mehr als 30 Streiktage waren es damals, verteilt auf die Monate Februar, März und April.
Bis in den frühen Mai zog sich das hin, mal als Warn-, mal als unbefristeter Streik, mal waren es die Fahrer, mal die Werkstätten, mal die Verwaltung – ein allerdings besonders heftiger Tarifkonflikt über Wochen, während es 2012 nur bei einem 15-stündigen Warnstreik blieb.
Beim BVG-Streik 1932 arbeiteten Nazis und KPD zusammen
Die heftigste und für vier Menschen tödliche Auseinandersetzung bei der BVG hatte es aber im Jahr 1932 gegeben, da war das Unternehmen gerade vier Jahre alt. Es war nur vordergründig ein Streit um die Höhe des Lohnes, vielmehr eine hochpolitische Auseinandersetzung um die Macht, vorangetrieben von den ungleichen Partnern KPD und NSDAP, kurz vor der Reichstagswahl.
Und es ging auch nicht um Lohnerhöhung, sondern um Lohnsenkung, mit der die von der Weltwirtschaftskrise gebeutelte BVG ihre Kosten drücken wollte. Anfangs hatte sie ein Sinken der Löhne von 14 bis 23 Pfennig pro Stunde verlangt, die zuständige, der SPD nahestehende Gewerkschaft hatte dies in Verhandlungen auf zwei Pfennige drücken können.
Die Kommunisten, organisiert in der Revolutionären Gewerkschaftsopposition (RGO), sahen hier trotzdem eine Möglichkeit, einen Streik anzuzetteln, den Nahverkehr, die Stadt gar lahmzulegen, mit einem Generalstreik als Wunschziel. „Keinen Pfennig Lohnraub bei der BVG!“ hieß die Losung, die Leitung der Aktion hatte Walter Ulbricht, ZK-Mitglied der KPD, der sich bald Seite an Seite mit Joseph Goebbels, Berliner Gauleiter der NSDAP, auf der Rednertribüne fand. Als Hauptgegner sahen die Kommunisten schließlich nicht Hitler & Co. an, sondern die „Sozialfaschisten“ von der SPD.
Geleitschutz für Busse und Straßenbahnen
Es gelang den Streiktreibern tatsächlich, eine Urabstimmung aller Arbeitnehmer am 2. November zu initiieren. Dabei fanden die Streikbefürworter zwar eine Mehrheit, doch zu wenige hatten überhaupt teilgenommen: Der Streik war unzulässig. Dennoch fand er statt, organisiert von den beiden Streikhetzern.
Der Nahverkehr kam völlig zum Erliegen: Schienen wurden mit Planken blockiert oder mit Beton ausgegossen, Oberleitungen zerstört, Busse und Straßenbahnen mit Steinwürfen empfangen, arbeitswillige Fahrer verprügelt. Zur ihrer Sicherheit bekamen sie Geleitschutz von der Polizei, die zahlreiche Streikposten und Funktionäre verhaftete und bei den sich entwickelnden Straßenschlachten auch zur Waffe griff. Drei Streikende und eine unbeteiligte Frau starben dabei durch Polizeikugeln.
Erst am 7. November ging der Streik zu Ende. Erreicht wurde nichts: Es blieb bei zwei Pfennig Lohnkürzung.