Erste Sportstätten in Berlin werden geräumt: Alle Flüchtlinge verlassen Korber-Zentrum und Harbig-Halle
Das Korber-Zentrum und die Harbig-Halle waren die ersten Sporthallen, die mit Flüchtlingen gefüllt wurden. Jetzt sind es die ersten, die geräumt werden. Für viele Flüchtlinge ist das keine freudige Nachricht.
Marcel muss sich etwas bücken, Abdullah ist erst fünf Jahre alt, er ist noch klein, er kann noch nicht so einfach auf das Plastiktablett mit den Wasserbechern greifen. Also beugt sich Marcel etwas vor, Abdullah greift sich das Wasser und sagt artig „Danke“. Dann rennt er zurück zu seiner Mutter, zu den gelben Säcken, die neben ihr stehen, zu dem schwarzen Schalenkoffer, der auch da steht. Die Mutter sitzt auf einem Holzstuhl, schwarzes Kopftuch, blaues langes Kleid und wartet. Sie wartet wie all die anderen Menschen hier auf dem Gelände des Horst-Korber-Zentrums in Charlottenburg.
Flüchtlinge warten mit gelben Kleidersäcken
Sie warten, bis sie in die Busse einsteigen können, die vor dem Tor stehen. Sie warten, bis sie in die Messehalle 26 umziehen können. Sie warten, bis die Ansage durchs Megaphon kommt, dass sie aufstehen und ihre Koffer und ihre gelben Plastiksäcke mit ihren Kleidern im Bus verstauen können. Versorgt so lange von Leuten wie Marcel, hauptamtlich eingesetzt in einem anderen Flüchtlingsheim, jetzt aber ausnahmsweise hier auf dem Gelände des Korber-Zentrums, vier Steilpässe vom Olympiastadion entfernt.
Es ist Montag Vormittag, die Sonne steht am Himmel, der Platz ist vollgestellt mit gelben Säcken, Koffern, Holztischen, in einer Ecke, neben mächtigen Bäumen liegen auch noch kaputte, ausrangierte Tische. Abdullah aus Syrien und seine Mutter und all die anderen Flüchtlinge, die hier warten, haben vielleicht den schlanken Mann gesehen, der gerade das Gelände verlassen hat. Aber wenn sie ihn registriert haben, dann vor allem, weil er mit seinen blank geputzten Schuhen und seinem blütenweißen Hemd hier auffällt. Die Kleiderordnung ist sonst eher leger.
Es war ihnen aber ganz bestimmt egal, dass der Mann im Hemd der Berliner Gesundheits- und Sozialsenator Mario Czaja von der CDU war, und dass er deshalb gekommen ist, weil jetzt das Horst-Korber-Zentrum und die benachbarte Rudolf-Harbig-Halle geräumt werden. 550 Flüchtlinge verlassen jetzt die beiden Hallen, in denen normalerweise Leistungssportler trainieren.
Ein Kreis schließt sich. Korber-Zentrum und Harbig-Halle waren die ersten Sporthallen, die im September 2015 über Nacht in Flüchtlingsunterkünfte umgewandelt wurden, sie sind die ersten Sporthallen, die wieder freigeräumt werden. 35 000 Menschen haben hier seit September gelebt. 60 andere Sporthallen sind noch von Flüchtlingen bewohnt, mehrere von ihnen sollen aber noch im Mai wieder leer sein.
Czaja verspricht schnelle Sanierung
„Es gab damals eine Notsituation, wir haben über Nacht 1000 Flüchtlinge bekommen“, sagt Czaja. „Es fiel uns nicht leicht, die Hallen für Flüchtlinge frei zu geben, aber wir hatten keine andere Wahl.“ Jetzt soll die Sanierung möglichst schnell abgeschlossen werden. Bedeutet: Die Ausschreibung der Sanierungsarbeiten soll möglichst unkompliziert ablaufen, damit möglichst schnell die Schäden beseitigt werden können. Aber was heißt schon möglichst schnell? Sechs Monate kann das Ganze schon dauern. Man muss ja bloß eine beliebige Umkleidekabine betreten, so wie das Czaja gemacht hat. Die Tür zur Dusche ist an der Unterseite kaputt, Teile der Verkleidung sind raus geschlagen. Und die Armatur der Toilettenspülung liegt auf dem Boden. Der Edelstahl hat seinen Glanz verloren. Mehrere Wasserhähne wurden zerstört. „Da hatte man so oft drauf gehämmert, bis sie eingedrückt blieben und permanent Wasser floss“, sagt ein Mitarbeiter des Heimbetreibers Albatros. „Dann mussten wir den Hahn komplett abstellen.“ Klodeckel abgerissen, Armaturen zerstört, Türen kaputt, das ganze Programm.
Sanitäre Anlagen haben am meisten gelitten
Ja, sagt Friedrich Kiesinger, „die sanitären Einrichtungen haben am meisten gelitten“. Kiesinger ist ein Mann mit Haaren, die weit über den Rücken fallen, etwas grau schon, aber das kann am Alter und am Stress liegen. Kiesinger ist Geschäftsführer des Vereins Albatros; der Verein betreibt das Heim, Kiesinger ist quasi der oberste Manager. „Das Handy hat Tag und Nacht geklingelt“, sagt er.
Trotzdem wirkt er so, als würde er in sich ruhen, begrüßt Flüchtlinge mit Handschlag, fragt nach, er läuft ohne Hektik über das Gelände. „Wir hatten sehr wenig Vandalismus“, sagt er. „Vieles ist einfach kaputt gegangen, weil es sich abgenutzt hatte. Wenn man alles Tag und Nacht bedient, geht es natürlich kaputt."
Und ja, natürlich gab es auch diese kulturellen Unterschiede. Arabische Männer setzen sich nicht auf einen Klodeckel, sie kennen so eine Toilette gar nicht. Deshalb hängt ja auch an jeder Toilettentür ein Piktogramm, auf dem klar erkennbar mit Strichmännchen aufgezeigt ist, wie hier die Umgangsregeln sind.
Aber die Zweckentfremdung hat ja durchaus Tradition. Da fällt doch einem Mitarbeiter von Albatros gerade diese Anektote ein. „Mir hat einer mal erzählt, dass die Russen nach dem Krieg auch ratlos vor einer Kloschüssel gestanden sind. Die haben gedacht, das sei zum Kartoffel waschen.“
4,3 Millionen Euro Schaden, diese Zahl stand im März im Raum. 4,3 Millionen Schaden seien bis jetzt schon im Korber-Zentrum und in der Harbig-Halle entstanden. Diese Summe verkündete der Landessportbund (LSB) im März, eine Nachricht wie ein Trompetenstoß. Sie rüttelte auf, sie erhöhte den Druck, die Hallen schnellstmöglich zu räumen.
4,3 Millionen Schaden hatte ein Architekturbüro errechnet, das seit vielen Jahren mit den Hallen befasst ist. Natürlich war es auch eine politische Zahl. Sie zwang die Politik in die Defensive. Ursprünglich sollten Korber-Zentrum und Harbig-Halle bis August belegt sein, sie sollten als eine Art Reserve vorgehalten werden, wenn plötzlich wieder unerwartet ein Schub Flüchtlinge auftauchen sollte. „So war der Plan“, sagt Kiesinger. „Aber in den letzten drei Wochen hat sich konkretisiert, dass die Hallen bald geräumt werden sollen. Der LSB hat Druck gemacht.“
Leute wollen in die eigene Wohnung
Irgendwo in der Nähe von Czaja hält sich auch Heiner Brandi auf, er drängt sich nicht in den Vordergrund, er beobachtet aus der Distanz, wie der Gesundheits- und Sozialsenator die Hallen und ihre Sanitärräume inspiziert. Brandi ist Direktor des LSB, er muss nicht mehr nach vorne, er hat seinen öffentlichen Part bereits erledigt. Heiner Brandi ist am Ziel. Die Hallen werden geräumt. Nur gefällt das nicht jedem. „Viele haben Angst, dass jetzt wieder längere Zeit in einem Halle leben müssen“, sagt Kiesinger. „Aber die Leute wollen jetzt in ihre eigenen Wohnungen.“ Jetzt geht es aber erstmal in die Messehalle 26, dort ist es definitiv nicht so schön wie hier. Dort fehlen zum Beispiel die Grünflächen direkt an der Halle.
Andererseits, hier war es ja auch nicht toll. Das sagt jedenfalls Eltat Rahmati, ein 18-jähriger Afghane, der in einem grauen Sweatshirt in der Sonne sitzt. Seit drei Monaten ist er hier. „Hier war es nicht gut“, sagt er. Warum? „Das Essen war schlecht“, sagt er. „Es gab die ganze Zeit nur Brot und Joghurt.“ Mohammad Bajir sagt das auch, auch Afghane, 27 Jahre alt, auch im grauen Sweatshirt, auch auf einem Stuhl in der Sonne. „Und die Babys haben auch nur Brot und Joghurt erhalten, aber keine richtige Babynahrung.“
Es gab viele Vielfalt an Speisen
Jaja, das Essen, ein „heikles Thema“, sagt Kira Langlott dazu. Seit September arbeitet sie in der Küche des Korber-Zentrums, sie kennt diese Klagen, Meckern übers Essen, sagt sie, gehört offenbar dazu. Egal ob in der Schule oder im Flüchtlingsheim. Brot und Joghurt? Also bitte.
Dann zählt sie. „Zum Frühstück gab es Toastbrot, Fladenbrot, Marmelade, Honig, Nuss-Nougat-Creme, Wurst. Zum Mittagessen gab es frisches Gemüse, Quark, Joghurt, Reis, Nudeln. Wir haben uns informiert, was der arabischen Küche zuträglich ist. Abends lieferte der Caterer.“ Mehr möchte sie zum Abend nicht sagen. Vermutlich liegt hier das Problem. Aber Babynahrung? „Wir haben alles angeboten, was der Markt hergegeben hat.“ Aber viele hätten mit dem Babypulver nicht viel anfangen können. Und dann hätten sie es schlicht falsch dosiert. Bis die Experten korrigiert haben. Ach, das Essen, mit dem hatte Suhel Alazawi keine Probleme. Seine Probleme haben Beine und grimmige Gesichter. Vor allem aber einen üblen Tonfall. „Vor allem die arabischen Sicherheitsleute haben uns sehr schlecht behandelt“, sagt er. „Das war nicht anders als beim Militärdienst im Irak.“
Er will jetzt wieder zurück, in die Heimat, in den Irak, so schnell wie möglich. „Wir haben uns das anders vorgestellt“, sagt der 40-Jährige. „Wir haben nicht erwartet, dass wir so lange in einer Turnhalle leben müssen.“ Seit drei Monaten lebt er hier mit seiner 25-jährigen Frau. Und vielleicht müssen sie noch ein paar Tage länger als gewünscht. Denn Suhel Alazwai und seine Frau Firah haben ein Problem. Sie finden ihre Pässe nicht mehr.