SPD nach dem Wahldebakel: Alle debattieren, einer schweigt
Immer mehr Funktionäre und Abgeordnete melden sich zu Wort: Die SPD debattiert heftig, Auslöser ist die Kritik von Raed Saleh am Senatschef. Michael Müller schweigt dazu öffentlich noch immer.
Jetzt öffnen sich alle Schleusen. Die Diskussion über die Lage und Zukunft der Berliner SPD, die der Landesvorsitzende der Sozialdemokraten, Michael Müller, hinter verschlossenen Türen führen wollte, ist von der Parteiführung kaum noch steuerbar. Immer mehr Funktionäre und Abgeordnete melden sich zu Wort, um über die Ursachen des historisch schlechten Wahlergebnisses zu streiten. Viele wollen nicht mehr abwarten, zu welchen Ergebnissen die vom SPD-Vorstand eingesetzte Arbeitsgruppe „Wahlanalyse“ kommt, die in einer Woche ihre Ergebnisse vorlegen will. Dies sei ohnehin nur der Versuch, die innerparteiliche Debatte zu kanalisieren, kritisieren nicht nur linke Genossen.
Zuerst hatte sich der SPD-Fraktionschef Raed Saleh im Tagesspiegel für eine radikale Erneuerung der Regierungspartei ausgesprochen, begleitet von der öffentlichen Kritik des rechtspolitischen Sprechers der Sozialdemokraten, Sven Kohlmeier an der Wahlkampfführung und der zunehmenden Entfremdung zwischen SPD und Bürgern. Daraufhin warf der Vize-Landeschef der SPD und Bildungs-Staatssekretär Mark Rackles dem Parteifreund Saleh vor, die Debatte „ausschließlich öffentlich“ zu führen und sich der internen Auseinandersetzung zu verweigern. Rackles wertete den Beitrag Salehs als „Kampfansage“ gegen den Partei- und Regierungschef Müller und kritisierte scharf die Bildungspolitik der SPD-Abgeordnetenhausfraktion.
„Mangel an Stil“
Dieser Brief an die Parteilinke und die SPD-Kreischefs war eine Replik auf einen Wortbeitrag von Aziz Bozkurt im SPD-Landesvorstand. Der Bundesvorsitzende der „AG Migration und Vielfalt“ hatte dort nicht nur Salehs Zustandsanalyse der SPD unterstützt, sondern auch den Vorwurf zurückgewiesen, dass dies ein Angriff gegen den SPD-Chef sei. „Ich habe betont, wie solidarisch die Partei mit Michael Müller in den letzten sechs Monaten umgegangen ist, seitdem er wieder die SPD führt“, sagte Bozkurt dem Tagesspiegel. Es gehe um die politische Aufarbeitung des Wahlergebnisses und nicht um Personalien. Insofern sei er irritiert über den Brief von Rackles, „der doch einer unserer klügsten Köpfe ist“.
Ausgesprochen böse reagierte der SPD-Bildungsexperte Lars Oberg, der nach zehn Jahren nicht mehr fürs Abgeordnetenhaus kandidiert. Wenn Rackles behaupte, dass die Fraktion mit Saleh an der Spitze keine eigenen bildungspolitischen Positionen entwickelt habe, „frage ich mich ernsthaft, womit du dich in den letzten fünf Jahren beschäftigt hast“, schrieb er am Dienstag dem Staatssekretär. Vieles von dem, was die Fraktion formuliert habe, sei auch in das Wahlprogramm eingeflossen. Oberg warf Rackles, der früher Sprecher der SPD-Linken war, „Mangel an Stil“ vor.
Außerdem findet es Oberg „ungeheuerlich“, sich darüber zu beschweren, dass ein Abgeordneter kritische Anfragen an den Senat stellt. Rackles hatte in seinem Brief dem Neuköllner SPD-Abgeordneten Joschka Langenbrinck vorgeworfen, seine schulpolitischen Anfragen „ systematisch zur negativen Öffentlichkeitsarbeit zu nutzen“. Wie Rackles künftig mit einer Fraktion zusammenarbeiten wolle, „die du derart schmähst, ist mir schleierhaft“, schrieb Oberg.
Zu einer gemeinsamen Diskussion kam es nicht
Auch die Landesvorsitzende der Jungsozialisten, Annika Klose, hatte das Schreiben des Bildungs-Staatssekretärs erhalten. Offenbar sei momentan in der Partei „viel Frust im Spiel“, kommentierte sie den ausufernden innerparteilichen Konflikt. Klose warnte ausdrücklich vor einseitigen Schuldzuweisungen gegen den Regierenden Bürgermeister und SPD-Landeschef Müller. „Jeder sollte nach den eigenen Fehlern suchen, die zum Wahlergebnis beigetragen haben.“ Das gelte auch für den Fraktionschef Saleh. „Aber eben auch für Michael Müller, er muss sich endlich mal dazu äußern“, forderte Klose. Die Juso-Landeschefin hatte schon am Sonnabend getwittert: „Es muss alles auf den Tisch.“
Derweil beschwerte sich Ed Koch, Herausgeber eines Pressedienstes in Tempelhof und enger, langjähriger Wegbegleiter und Unterstützer des Parteichefs Müller, in einer Mail über den SPD-Fraktionschef Saleh. Der habe sich mit seinem „unglaublichen“ Artikel im Tagesspiegel als „Brandstifter“ betätigt, schrieb Koch an einen SPD-Politiker. „Warum noch niemand seinen Ausschluss aus der Partei gefordert hat, wundert mich.“
Nach allem, was aus Parteikreisen zu hören ist, haben sich Müller und Saleh derzeit nicht viel zu sagen. Man spricht das Nötigste miteinander ab. Obwohl beide in der SPD-Verhandlungsgruppe sitzen, die mit Linken und Grünen bis Dezember eine Koalitionsvereinbarung erarbeiten will. Am Dienstag waren beide SPD-Führungsleute zu einer Sitzung der parteiinternen „AG Wahlanalyse“ eingeladen, um ihre Einschätzung zur schwierigen Lage der SPD zu Protokoll zu geben. Erst kam der eine, dann der andere. Zu einer gemeinsamen Diskussion kam es nicht. Ob Müller auf der Juso-Landesdelegiertenkonferenz am Sonntag etwas sagen wird, ist offen. Er wurde eingeladen, hat seine Teilnahme aber noch nicht fest zugesagt.