SPD nach der Berlin-Wahl: Die Kampfansage des Raed Saleh
Der Berliner SPD-Fraktionschef Raed Saleh reklamiert Richtlinienkompetenz. Was er sagt, gilt nicht nur für die SPD in Berlin, sondern auch für die Partei im Bund. Ein Kommentar.
Wenn das keine Kampfansage ist! Was Raed Saleh, der mit beeindruckend gutem Ergebnis wiedergewählte SPD-Fraktionschef in Berlin, wenige Tage nach der Wahl aufgeschrieben hat, ist mehr als eine allfällige Zusammenschau aller in den Parteigliederungen vorhandenen Wünsche. Oder dessen, was sowieso für sich genommen allen klar ist. Saleh setzt einen ganz eigenen Ton und stellt eigene Kriterien auf, Kriterien für Erfolg. Er wird dabei kenntlich als der, der in Berlin Richtlinienkompetenz reklamiert, einstweilen zuerst für seine Partei, die SPD, damit verbunden allerdings auch für sich. Denn mit ihm verbindet sich der Inhalt.
Der Inhalt: Die SPD hat sich weg entwickelt von einer Partei der Kümmerer, weg entwickelt von einer politischen Gruppierung, die wie keine sonst um sozialen Ausgleich bemüht ist; weg entwickelt auch davon, die gefühlte Benachteiligung ihrer Klientel nicht in politischen Protest münden zu lassen, sondern das Gefühl aufzunehmen und dem konkretes Handeln entgegenzusetzen. Womit nicht nur Gesetzeshandeln gemeint ist. Das Frappante liegt darin, dass alles das für die Landes-SPD in der Hauptstadt wie für die Bundes-SPD gilt. Beide stehen vor der gleichen Herausforderung. Was Raed Saleh formuliert, könnte Bundesparteichef Sigmar Gabriel genauso sagen. Zuweilen tut er es auch.
Die Gefahr kommt von den Rändern
Regieren heißt nämlich nicht, die Anzeichen von Gefahr zu negieren. Und Gefahr für die Gesellschaft, für die sie – noch – tragenden Partien kommt tatsächlich von den Rändern. Wer nur zentriert denkt, kreist schnell um sich selbst. In dieser Schleife befindet sich die SPD in der Hauptstadt. Sie ist nicht mehr, im besten Sinn, Dienstleistungsorganisation, sondern wird wahrgenommen als eine quasi regierungsamtliche Von-oben-herab-Veranstaltung. Die dienende Funktion hat sich verlagert, ist zur staatlichen Funktion geworden. So kann es kommen, dass die SPD als Staatspartei gesehen wird. Ausgerechnet. Das klingt in Berlin nach SED.
In diesen kritischen Zeiten muss neu begründet werden, und zwar engagiert, ambitioniert, den Menschen, auch denen an Rändern, demonstrativ zugewandt, was des Staates ist und was er zu leisten vermag. Manches muss ganz einfach nur funktionieren, Bürgerämter, Verkehrslenkung. Manches andere hingegen muss erfunden werden, als „Habitat 3000“: Wie wollen wir morgen leben, in welchem urbanen Raum, wie soll der gestaltet sein, buchstäblich, und wie ist sicherzustellen, dass keiner ausgegrenzt wird. Das Stichwort lautet Integration, nur umfassend, nicht allein auf die gegenwärtige Herausforderung bezogen, die Flüchtlinge. Diese Herausforderung wächst doch gerade heraus aus ihrem Umfeld und in die gesamte Gesellschaft hinein.
Keinen zurückzulassen auf dem Weg in die Zukunft – das war immer das Versprechen der SPD. Das ist eine Kunst, auch eine Regierungskunst. Bloßer Pragmatismus allein schafft keinen inneren Zusammenhalt. Obwohl: Berlin könnte eine gehörige Portion gelungenen Pragmatismus vertragen. Und, ja doch, eine Vision. All dem muss sich übrigens auch die Bundesebene, und nicht nur die der SPD, dringend stellen. Stellen muss sich jetzt erst aber erst mal Berlins SPD, und zwar dem, was der Fraktionschef ihr vorgehalten hat. Denn vor dem Aufbruch kommt die Selbstprüfung – und die Begutachtung des Rüstzeugs. Saleh bringt es mit.