zum Hauptinhalt
Die Intensivstation im Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum in Berlin-Schöneberg.
© Kitty Kleist-Heinrich

Mehr Covid-19-Patienten auf Intensivstationen: Alle Berliner Kliniken verschieben planbare Operationen wegen Corona

Die Zahl der Covid-19-Patienten auf Intensivstationen steigt. Nach Charité und Vivantes sagen auch DRK-Kliniken und kirchliche Krankenhäuser Eingriffe vorerst ab. 

Die vierte Coronawelle setzt Berlins Kliniken unter Druck – wegen der steigenden Zahl an Covid-19-Fällen werden in allen Krankenhäusern planbare Behandlungen anderer Patienten verschoben. Bislang hatten die Charité und die ebenfalls landeseigenen Vivantes-Kliniken elektive Eingriffe vorerst abgesagt. 

Am Sonntag bestätigten Ärzte der DRK-Kliniken und kirchlicher Krankenhäuser, dass auch sie viele Operationen für die nächsten Wochen aussetzen. „Kliniken aller Träger verschieben jetzt planbare Behandlungen, die Berliner Krankenhäuser arbeiten nun voll im Krisenmodus“, sagte Marc Schreiner, der Geschäftsführer der Berliner Krankenhausgesellschaft (BKG), dem Tagesspiegel.
[Die Tagesspiegel-Newsletter für jeden Berliner Bezirk gibt es jetzt kostenlos hier: leute.tagesspiegel.de]

„Es ist nicht mehr zu verhindern, dass die Zahl der Intensivpatienten sich in den nächsten Tagen und Wochen stark erhöhen wird.“ Die Sieben-Tage-Hospitalisierungs-Inzidenz lag am Sonntag bei 3,5, leicht unter dem Wert vom Vortag und steht aus Sicht der Warnampel des Senats auf „Grün“. Der Indikator zeigt an, wie viele Fälle pro 100.000 Einwohner nach einer Sars-Cov-2-Infektion innerhalb einer Woche ins Krankenhaus mussten, nicht nur auf eine Intensivstation. 

Ob der Wert von Sonntag eine Trendumkehr anzeigt, ist ungewiss. Zudem werden die Kliniken dadurch belastet, dass erfahrenes Personal nach den vielen Krisenmonaten den Job gewechselt hat.

200 Intensivbetten weniger als vor einem Jahr

Insgesamt wurden am Wochenende 600 Corona-Infizierte in Berlins Krankenhäusern behandelt, 176 davon auf einer Intensivstation – diese Zahl steigt seit Wochen täglich. Die Auslastung verfügbarer Intensivbetten durch Covid-19-Patienten beträgt 17,6 Prozent. 

Das ist zwar weniger als vor einem Jahr, als fast 1100 Berliner wegen des Coronavirus in Krankenhäusern lagen und 293 Covid-19-Fälle auf Intensivstationen behandelt wurden, wodurch 24 Prozent der Betten belegten waren. Allerdings waren, wie die Zahlen ergeben, vor einem Jahr circa 1200 Intensivbetten verfügbar, fast 200 mehr als heute.

Viele Pflegekräfte sind nach 20 Pandemie-Monaten physisch und psychisch erschöpft. Manche haben das Gesundheitswesen verlassen. BKG-Geschäftsführer Schreiner fordert nun „alle erdenkliche Unterstützung von Politik, Verwaltung und Gesellschaft“. Die Versorgungsaufschläge für die Behandlung von Covid-19-Patienten, wie sie der Bund angekündigt hat, seien dabei kaum geeignet, „die Kliniken in der Krise wirtschaftlich abzusichern“.

[Lesen Sie mehr bei Tagesspiegel Plus: „Wie konnte das alles passieren?“ - Berlins Intensivpflegekräfte verzweifeln an der vierten Corona-Welle]

Je nach Aufwand und Anzahl der Covid-19-Patienten soll es pro Kliniktag 360, 560 oder 760 Euro geben. In vielen Häusern werde diese Pauschale nicht ausreichen, um Ausfälle regulärer Operationen zu kompensieren. Zur Not müsse der Senat eben Mittel ausschütten, sagte Schreiner: „Damit würde auch vermieden, dass Berliner Kliniken im Zuständigkeits-Ping-Pong zwischen Bund und Land aufgerieben werden.“

Fallen planbare Operationen aus, fehlt den Kliniken schnell Geld

Der BKG gehören Berlins Plankrankenhäuser an. Das sind jene Kliniken, die für die Versorgung als nötig erachtet und mit öffentlichen Mitteln ausgestattet werden. Die Bundesländer müssen für Bauten und Technik der Plankrankenhäuser aufkommen. Die Krankenkassen wiederum vergüten die Behandlung ihrer Versicherten, wovon die Kliniken ihr Personal und Medikamente bezahlen – fallen auskömmlich vergütete Operationen aus, fehlt den Krankenhäusern schnell Geld.

[Lesen Sie mehr bei Tagesspiegel Plus: Was sich ändern muss - diese Lehren zieht die Charité aus der Pandemie]

Noch werden aus Berlin keine Patienten in andere Bundesländer verlegt. In Brandenburg könnte es bald dazu kommen. Aus dem Süden des Landes verlegen Kliniken einige Patienten bereits in andere Kreise. Wenn alle Kliniken eines Landes ausgelastet sind, werden Patienten innerhalb von fünf Gruppen verteilt, den „Kleeblättern“. Berlin, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen bilden das „Kleeblatt Ost“.

Die Amtsärzte drängen wiederholt auf mehr Corona-Impfungen. „Ob unser Gesundheitssystem dem Belastungsdruck in der vierten Welle standhält, hängt wesentlich von unseren Impffortschritten ab“, heißt es einem Schreiben von Nicolai Savaskan, Leiter des Gesundheitsamts Neukölln, und Ute Viereck vom örtlichen Rechtsamt, das dem Tagesspiegel vorliegt. 

„Das flächendeckende Testen ergänzt unser Arsenal gegen Corona“, heißt es: „Impfen und die präzise zielgruppenspezifische Kommunikation sind unsere effektivsten Waffen gegen das Virus.“ Savaskan gehört zum Vorstand des regionalen Verbandes der Ärztinnen und Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst. Knapp 60 Prozent der Berliner sind voll geimpft. Fast 71 Prozent haben mindestens eine Impfdosis erhalten.

Zur Startseite