zum Hauptinhalt
Die Kassenärzte handeln ihre Arbeitsbedingungen untereinander aus - und erst dann mit Politik und Versicherungen.
© dpa

Kassenärztliche Vereinigung Berlin: Absehbares Ende eines Skandals

Auch 2014 haben sich die Praxisärzte gestritten – mit dem Senat über Sprechstunden an Feiertagen. Viel heftiger aber mit ihrem eigenen Vorstand – um Geld.

Der Tag, nach dem unter den Berliner Ärzten der Wunsch nach Revolte wächst, ist ein kalter Donnerstag. An jenem Januartag 2011 trifft sich in der Masurenallee am Funkturm der Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin. In der achtgeschossigen KV-Zentrale finden sich am Abend auch die 40 Mitglieder der Vertreterversammlung (VV) ein. Ein Vorgang beginnt, der sich um Standesbewusstsein und insgesamt 549000 Euro dreht – und der seitdem Ärzte, Politiker, Staatsanwälte beschäftigt.

Fachärzte versus Hausärzte - die Bundesregierung kennt die Spannungen

Nun könnte das Landgericht, vorher aber vermutlich die Wut von 26, 27 vielleicht 28 Medizinern in der VV, den Fall abschließen. Und damit eine Wende in der Standeskultur einleiten: Sie könnten die Hausärzte stärken, die sich als Allgemeinmediziner vielen Leiden als Erste widmen, weil meist ihre Praxen erste Anlaufstelle ratloser Patienten sind. Dazu passt, dass die Bundesregierung per Gesetz 2015 durchsetzen will, dass in allen VV die Stimmen so gewichtet werden, dass Gleichgewicht zwischen Hausärzten und Fachärzten herrscht – was einige Mediziner als Diktat verstehen. Denn Fachärzte haben, vor allem wenn sie zusammenhalten, Einfluss. Und das gerade in der Zentrale der Berliner KV: Vier Jahre dauert der Vorgang nun – eine lange Zeit, zumal sich Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) des Falls sofort nach seinem Amtsantritt 2011 annimmt. Was dauerte so lange?

Wird die KV Berlin von einer Seilschaft regiert?

Angelika Prehn, Uwe Kraffel und Burkhard Bratzke bilden seit 2005 den KV-Vorstand. Die Allgemeinmedizinerin aus Friedrichshain, der Augenarzt aus Charlottenburg und der Dermatologe aus Moabit verteilen Mittel der Krankenkassen an die 9000 niedergelassenen Ärzte und Therapeuten in Berlin, die gesetzlich Versicherte behandeln. Der Vorstand verhandelt auch mit Senat und Versicherungen über Zahl und Lage der Arztpraxen. Er hat sich an die Macht gewöhnt.

Warten gespannt. Die drei Vorstände der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin, Prehn, Kraffel, Bratzke, vor dem Landessozialgericht.
Warten gespannt. Die drei Vorstände der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin, Prehn, Kraffel, Bratzke, vor dem Landessozialgericht.
© dpa

An jenem Januartag 2011 bestätigt die VV die drei Vorstände für eine zweite Legislaturperiode im Amt. Die VV ist das Ärzteparlament, in das Mediziner verschiedener Disziplinen gewählt werden wie die Kandidaten verschiedener Parteien ins Abgeordnetenhaus. In der VV unterstützen – grob vereinfacht – Dermatologen, Orthopäden und Augenärzte den Vorstand. Viele Hausärzte sehen darin eine „Fachärzte-Seilschaft“. Das geht so weit, dass KV-Chefin Prehn schon damals nicht von ihrem eigenen Hausärzteverband unterstützt wurde.

Eine Übergangsprämie - ohne Übergang

Die gewonnene Wahl bedeutet für die drei Funktionäre: viel Arbeit, aber auch 16000 Euro im Monat. Verglichen mit den Wachleuten, die damals in der KV-Zentrale für 7,50 Euro die Stunde arbeiten, ist das viel Geld. Verglichen mit KV-Bossen anderer Bundesländer eher wenig. Vielleicht wollen sich die drei an jenem Tag deshalb mehr Geld holen. Die KV gestand ihren Chefs einst je ein Jahresgehalt als Übergangsprämie zu, wenn sie nach ihrer Amtszeit wieder eine Praxis leiten. Doch in der ersten Amtszeit der drei KV-Bosse beschloss der frühere SPD-Linke-Senat, dass sechs Monatsgehälter ausreichen. Mit Hilfe des VV-Vorsitzenden sichern sich die drei an jenem Januartag deshalb noch je ein 183000-Euro-Jahresgehalt – obwohl sie im Amt bleiben. Die Boni segnet eine VV-Mehrheit später ab. Geht das?

Linke: KV-Vorstand ist Beutegemeinschaft

Es gibt Juristen, die sagen, der Vorgang sei legal. In der Privatwirtschaft komme das öfter vor. Und die 183000 Euro seien ja für die erste Amtszeit gedacht, bevor Rot-Rot die Höhe der Prämien senkte. Augenarzt Kraffel erklärt damals: Man leiste gute Arbeit und müsse zugleich Angestellte in der eigenen Praxis bezahlen. Wolfgang Albers, Chirurg und Gesundheitsexperte der Linken, nennt den Vorstand ungerührt „Beutegemeinschaft“.

Die KV ist eine Organisation öffentlichen Rechts, kein Unternehmen. Sie gehört zum System der Selbstverwaltung: Ärzte regeln standesrechtliche Fragen selbst, dafür müssen ihren Standesorganisationen alle Mediziner angehören. Sogar Senatoren dürfen sich nur ausnahmsweise in das Innenleben der KV einmischen. Doch Czaja – und damit rechnet der Vorstand nicht – greift prompt ein. Er zweifelt ohnehin an der KV-Politik, weil in Berlin die Praxen ungleich verteilt sind, und weil – wie in diesen Wochen zu spüren – an Feiertagen und Wochenenden wenig Ärzte erreichbar sind.

Senator Czaja: Geld zurückzahlen!

Czaja fordert, das Geld zurückzuzahlen. Und weil der Vorstand aus einer Pauschale bezahlt wird, die jeder Praxisarzt an die KV entrichtet, ermittelt die Staatsanwaltschaft: Wurde durch das Auszahlen der Boni etwa KV-Vermögen veruntreut?

Mit einem Anwaltsgutachten verdeutlicht die KV-Spitze, dass sie eine „völlig andere Rechtsauffassung“ habe. Sie klagt gegen den Senatsbescheid, der Prehn und die anderen verpflichtet, die Boni zurückzuzahlen. Es wird ernst. Der Präsident der Berliner Ärztekammer, Günther Jonitz, erklärt 2012: „Der Versuch des Vorstandes, die Boni für sich zu sichern, ist anmaßend.“ Die Kammer ist für Ethik- und Standesrecht zuständig. Nicht nur Praxisärzte, alle zugelassenen Mediziner gehören ihr an. Jonitz ist gewissermaßen der ideelle Gesamtarzt der Stadt.

In der KV-Zentrale rumort es

Der KV-Vorstand bleibt stur. Das Geld liegt unberührt auf Sonderkonten, so hatte es die VV gewollt. Gespräche mit dem Senat über eine Rückzahlung aber scheitern. Weshalb die drei an der Prämie hängen, bleibt Spekulation. In einem der Fälle, heißt es, stünde eine teure Scheidung an, einer hat seine Praxis inzwischen verkauft. Vielleicht wähnen sich die Berliner auch mit Blick auf den Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, der damals 350000 Euro im Jahr bekam, im Recht. Vergeblich. Im November 2012 zieht der Vorstand seine Klage vor dem Landessozialgericht zurück, als der Richter deutlich macht, dass er die Prämien für rechtswidrig hält. Die Vorstände zahlen das Geld zurück.

Doch die Ruhe in der Trutzburg der Kassenärzte ist vorbei. Die Hausärzte protestieren weiter. Im März 2014 klagt die Staatsanwaltschaft die KV-Chefs und den VV-Vorsitzenden wegen Untreueverdachtes an. Letzterer tritt zurück, Prehn, Kraffel und Bratzke aber bleiben. Zu all dem äußern sie nicht mehr öffentlich. Die Stimmung unter den 400 KV-Angestellten – Verwalter, Juristen, Kaufleute – in der Masurenallee wird schlechter. Einer, der deutlich mehr verdient als die Wachleute, fordert: „Rücktritte!“

Löst sich 2015 die Allianz der Fachärzte auf?

Was wird 2015 also passieren? Das Kammergericht hatte das untergeordnete Landgericht angewiesen, die Untreue-Anklage zuzulassen: Der Vorstand könnte 2015 vor Gericht stehen. Werden die drei verurteilt, wäre eine Absetzung unausweichlich. Senator Czaja könnte versuchen, die Vorstände wegen Verstoßes gegen Amtspflichten abzuberufen. Der Stratege aber wird die Kultur der Selbstverwaltung kaum antasten, politisch hat er ohnehin schon gewonnen. Linken-Chirurg Albers fordert die Ärztekammer auf, die KV-Bosse quasi auf höherer Ebene zu bestrafen. Die Kammer könne Ärzten, deren schuldhaftes Verhalten dem Beruf schade, die Zulassung entziehen. Das wäre wohl die Höchststrafe.

Wahrscheinlicher ist, dass sich die vorstandstreue Allianz unter den Kassenärzten auflöst. In der VV sind zwei Drittel nötig, um den Vorstand abzuwählen. Zuletzt fehlten noch zwei Stimmen. Der Termin für die Abwahl steht schon fest. Am 19. Februar, wieder ein Donnerstag, soll es in der Masurenallee so weit sein.

Zur Startseite