Gewalt an Frauen: Abgeordnetenhaus debattiert über sexuellen Missbrauch
In Deutschland hat jede dritte Frau Gewalterfahrungen gemacht. Diese Zahl macht deutlich, dass das Problem akut ist. Gewalt passiert oft in den eigenen vier Wänden - und bleibt viel zu oft unentdeckt.
Es war eine sehr persönliche Rede, mit der Frauensenatorin Dilek Kolat (SPD) das Abgeordnetenhaus am Donnerstag berührte. Während ihrer Studienzeit habe sie als Dolmetscherin gearbeitet und Kontakt zu Frauen gehabt, die Gewalt erlebt hätten. Kolat erzählte von einer Frau, die von ihrem Vater sexuell missbraucht wurde. Die Bilder über diese Frauen und deren Schilderungen habe sie nie vergessen. "Sexuelle Gewalt muss geächtet werden", sagte Kolat. Und es sei außerordentlich wichtig, dass es ausreichend Schutzräume, Frauenhäuser und professionelle Hilfsangebote für Frauen gebe.
Gewalt gegen Frauen und Kinder ist weltweit die häufigste Form von Gewalt. Und sie findet meist zuhause statt. Fast 16.000 Fälle von häuslicher Gewalt habe die Berliner Polizei 2013 registriert, sagte Kolat. Die Zahl dieser Fälle sei zwar nicht gestiegen, doch das "Niveau der Fälle" doch relativ hoch. Im Haushalt stehen pro Jahr sechs Millionen Euro für den Anti-Gewalt-Bereich bereit. In Berlin stünden 2,57 Schutzplätze auf 10.000 Frauen zur Verfügung. Damit liege Berlin hinter Bremen auf Platz zwei.
Dunkelziffer von rund 160.000 Vergewaltigungen pro Jahr
Vor zwei Tagen, am 25. November, wurde der Internationale Tag gegen Gewalt gegen Frauen begangen. 2001 wurde auf Initiative von Terre des Femmes zum ersten Mal die Fahnen gehisst, um ein Zeichen gegen Gewalt an Frauen zu setzen. Auch das Abgeordnetenhaus hisst symbolisch Flagge. Zahlreiche Frauenbeauftragten, Verbände und Ministerien griffen die Aktion auf. Seither wehen die Fahnen und Banner jedes Jahr. 2014 lautet das Schwerpunktthema „Schluss mit Sexismus in der Werbung". Das Thema "Nein zu Gewalt an Frauen" war auch Thema am Donnerstag im Abgeordnetenhaus in der Aktuellen Stunde.
Jede 20. Frau ist Opfer von Vergewaltigungen, jede dritte Frau hat Gewalterfahrungen gemacht. SPD-Frauenpolitikerin Ina Czyborra nannte eine Dunkelziffer von rund 160.000 Vergewaltigungen pro Jahr, lediglich 7.408 würden angezeigt werden. Die Verurteilungsquote sei von 20 Prozent in den neunziger Jahren auf unter zehn Prozent gefallen. Man müsse nun rechtlich prüfen, "wie gesetzliche Grundlagen geschaffen werden können, dass Nein auch Nein heißt".
Grünen-Frauenpolitikerin Anja Kofbinger forderte eine anzeigenunabhängige, anonyme Spurensicherung auch in Berlin. Die Kosten dafür sollten die Verwaltungen Gesundheit, Inneres und Justiz anteilig tragen. Kofbinger forderte Justizsenator Thomas Heilmann und Gesundheitssenator Mario Czaja (beide CDU) auf, sich bei den Haushaltsverhandlungen dafür einzusetzen. In den Krankenhäusern in Berlin bestehe zwar die Möglichkeit, eine verletzte Person medizinisch zu versorgen, ohne dass es zwingend zu einer Anzeige komme. Die Grünen und die Linken fordern in einem Antrag, das Angebot der Gewaltschutzambulanz zu erweitern und das Personal zu schulen.
Negativ-Preis für sexistische Werbung verliehen
Es geht auch um sexistische Werbung. Frauenpolitikerin Evrim Baba sagte, die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes habe dem Handballklub "Füchse Berlin" den Negativ-Preis "Zorniger Kaktus" für ihre sexistische Werbung verliehen. Es geht um eine Fotomontage, die der Klub vor einiger Zeit aufgrund vieler Proteste von seiner Homepage genommen hatte. Dort hatte man auf der Startseite einen Fuchskopf gesehen, der sich den Mund leckt. Vor dem Hintergrund des Strandbads Wannsee sitzen fünf langhaarige Frauen mit gekreuzten Beinen, und im Bikini wie die Hühner auf der Geländerstange. Darunter steht: „Hier ist unser Revier.“ Baba sagte, die Förderung des Vereins durch das Land sei zu überlegen.
Gewalt gegen Frauen passiert weltweit und täglich. CDU-Frauenpolitikerin Katrin Vogel nannte geschlechtsspezifische Gewalt wie Genitalverstümmelung und Massenvergewaltigungen als grausames Kriegsmittel. SPD und CDU forderten in einem Antrag den Senat auf, zu prüfen, ob Berlin weitergehende Maßnahmen ergreifen muss, um eine wirksame Verfolgung von Tätern zu gewährleisten. In Berlin existiere ein gutes Netzwerk zum Schutz von schutzbedürftigen Frauen, sagte Vogel. Der Bedarf sei jedoch noch größer, entgegnete Kofbinger, die unter anderem mehr Zufluchtswohnungen forderte.
Gefordertes Einreiseverbot für "Profi-Aufreißer"
Simon Kowalewski von den Piraten erinnerte an Twitter-Hashtag "aufschrei", in dem viele Frauen von erniedrigenden, sexuell übergriffigen Erfahrungen berichteten. "Toxische Männerbilder", so nannte Kowalewski, müssten ebenso bekämpft werden wie Seminare, in den Männer lernen würden, wie sie Frauen auch gegen ihren Willen sexuell "gefügig" machen könnten.
Einer dieser so genannten Seminarleiter heißt Julien Blanc. Er hat unter anderem Einreiseverbot in Großbritannien und Australien. Politikerinnen forderten für diesen „Pickup-Artist“ auch ein Einreiseverbot für Deutschland. Der Amerikaner bietet weltweit Seminare an, in denen Männer offenbar „lernen“, wie sie Frauen ins Bett bekommen – notfalls auch mit aggressiven „Flirtstrategien“. Aktivisten nennen diese Methoden frauenverachtend – siehe Hashtag #takedownrsd und #takedownjulienblanc. Blanc soll auch in Berlin Seminare veranstaltet beziehungsweise geplant haben.
Rund um die Uhr ist das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ bundesweit unter der Nummer 08000 116 016 erreichbar. Dort können sich betroffene Frauen, Angehörige, Freunde anonym und kostenfrei beraten lassen.
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