Inzidenz zum dritten Mal über 100: Ab Montag müsste in Berlin die Notbremse greifen – Senat berät auf Sondersitzung
Nach dem Bund-Länder-Beschluss müsste Berlin wegen der hohen Inzidenz Lockerungen zurücknehmen. Die Signale dazu sind diffus, Michael Müller macht Andeutungen.
Zum dritten Mal in Folge hat Berlin am Donnerstag eine Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als 100 registriert. Der Wert stieg auf 125,3. Damit müsste ab Montag die „Notbremse“ in Kraft treten: Bund und Länder hatten Anfang März vereinbart, in diesem Fall Lockerungen zurückzunehmen. Der Senat will sich am Samstag bei einer Sondersitzung dazu verständigen.
Die Signale dazu, ob Lockerungen zurückgenommen werden, sind bislang aber uneindeutig. „Ich glaube, dass es kein gangbarer Weg ist, jetzt wieder alles zurückzudrehen, was wir uns in den letzten Tagen und Wochen an Möglichkeiten und Freiheiten erkämpft haben“, sagte der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) am Donnerstag in einer Regierungserklärung im Abgeordnetenhaus.
Vielmehr gebe es durch das Impfen und Testen neue Möglichkeiten, sodass man nicht mehr wie in der Vergangenheit ausschließlich mit einschränkenden Maßnahmen reagieren müsse. Müller ließ offen, ob und in welcher Weise eine „Notbremse“ in Berlin zum Tragen kommt.
Eine Alternative zur „harten Notbremse“ könnte eine Testpflicht beim Einkaufen sein. Das deutete der Regierende Bürgermeister am Donnerstagabend im RBB an. "Kann man trotzdem gegebenenfalls Angebote machen, wenn man sie mit einer Testpflicht kombiniert?", fragte Müller - und führte das Beispiel Potsdam an, wo ab Sonnabend ein negativer Corona-Test die Voraussetzung ist, um im Einzelhandel einkaufen zu können. Ausgenommen sind lediglich Läden des täglichen Bedarfs, also vor allem Lebensmittelgeschäfte.
"Ob und wie das geht, diese Gespräche führen wir gerade, unter anderem mit dem Handelsverband", sagte Müller. Auch über eine FFP2-Maskenpflicht könne man nachdenken. "Es gibt viele Bereiche, die ich noch zusätzlich absichern kann."
Michael Müller: „Natürlich müssen wir eingreifen“
Kommt nun die Notbremse? "Natürlich müssen wir eingreifen, das ist eine Selbstverständlichkeit", versicherte der Sozialdemokrat. Allerdings habe Berlin nicht alle Möglichkeiten des Bund-Länder-Beschlusses von Anfang März ausgenutzt, etwa noch nicht alle Schuljahrgänge in den Präsenzunterricht zurückgeholt. Deshalb, so Müllers Logik, könne man "die harte Notbremse", noch gar nicht in allen Bereichen umsetzen. Man werde "genau gucken", was wieder eingeschränkt werden solle und was beibehalten werde.
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Bei den Beratungen mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in der Nacht zum Dienstag war noch einmal bekräftigt worden, dass Lockerungen der letzten Wochen bei einer Inzidenz von über 100 an drei Tagen in Folge in einem Bundesland oder einer Region zurückgenommen werden. Diese Rücknahmen sollten am 2. Werktag nach dem dritten Tag mit der Inzidenz über 100 in Kraft treten – das wäre in Berlin der Montag.
Das würde schärfe Kontaktbeschränkungen, Schließungen der Museen und Galerien sowie ein Ende des Click-and-Meet-Geschäfts im Einzelhandel bedeuten. Schulen sind ausgenommen, auch, weil die Ferien anstehen.
Lederer: „Notbremse vereinbaren und nicht ziehen, schafft kein Vertrauen“
Andere im Senat drängen auf umgehendes Handeln. „Eine Notbremse zu vereinbaren, um sie dann nicht zu ziehen, wenn es nötig ist, schafft kein Vertrauen sondern Irritation“, schrieb Kultursenator Klaus Lederer (Linke) am Donnerstag auf Facebook. Die nächsten Wochen seien nicht zu beschönigen, sie würden schwer. „Die Inzidenzen könnten auf Werte steigen, die über allem bisher Bekannten liegen.“
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Es sei in dieser Situation unseriös, schreibt Lederer, „in Überschriften weitreichende Öffnungsschritte zu versprechen, und diese dann in Nebensätzen an das Vorliegen von niedrigen Inzidenzwerten zu knüpfen, mit denen kurzfristig niemand ernsthaft rechnen kann“.
Auch Anne Helm, Chefin der Linksfraktion, forderte die Notbremse und selbst aus der SPD kommt Widerspruch gegen Müllers Zurückhaltung. SPD-Gesundheitsexperte Thomas Isenberg sagte am Donnerstag: „Massives Veto, die Notbremse ist jetzt nötig. Wegschauen ist keine Lösung, das zeigen alle Szenarien deutlich.“ Die Grünen wiederum ließen eine Anfrage zunächst unbeantwortet.