Erste getötete Radfahrerin 2021 in Berlin: 56-Jährige stirbt bei Abbiegeunfall mit Lkw in Neukölln
In Neukölln ist am Donnerstag eine Radfahrerin ums Leben gekommen. Am späten Nachmittag fand eine Mahnwache für sie statt.
Eine Frau ist am Donnerstagmorgen in Berlin-Neukölln bei einem Abbiegeunfall mit einem Lkw ums Leben gekommen. Nach Angaben des Landesverbands des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) und der Polizei war es der erste tödliche Radunfall in Berlin im Jahr 2021. Am 4. Januar war bereits ein 65-jähriger Radfahrer im Krankenhaus verstorben. Die Verletzungen, denen er erlag, stammten jedoch von einem Unfall aus dem Dezember 2020.
Wie die Polizei berichtete, trug sich der Unfall gegen 8.50 Uhr in der Oderstraße zu. Ersten Erkenntnissen zufolge fuhr die 56-Jährige mit ihrem Fahrrad auf dem Gehweg in Richtung Eschersheimer Straße und überquerte gerade die Siegfriedstraße. Ein 46-Jähriger war zu diesem Zeitpunkt mit seinem Lkw in gleicher Richtung unterwegs und fuhr die Radfahrerin an, als er rechts in die Siegfriedstraße einbog.
Die Polizei teilte mit, dass das Opfer auf dem Gehweg unterwegs war. Fotos zeigen, dass dieser auch eine alte Fahrradwegmarkierung aufweist. Allerdings befindet sich auf Höhe der Emser Straße eine Blechbarriere. Die Radfahrer, die – wie das Unfallopfer – aus Richtung Tempelhofer Feld kommen, müssen hier auf die Straße wechseln.
Die Frau starb noch am Unfallort. Wiederbelebungsversuche der Polizei und später von Rettungskräften der Feuerwehr blieben erfolglos. Das Fahrrad lag nach dem Unfall zerquetscht am Straßenrand. Der Lkw-Fahrer stand nach Polizeiangaben "unter dem Einfluss der Ereignisse", benötigte aber zunächst keine psychologische Betreuung.
Die Polizei sperrte die Oderstraße für die Unfallaufnahme zwischen Emser Straße und Oberlandstraße bis 12.25 Uhr ab. Für weitere Untersuchungen zog sie Fachleute des Landeskriminalamts und der Gerichtsmedizin hinzu.
Am Donnerstagnachmittag wurde der Radfahrerin mit einer Mahnwache gedacht. Rund 200 Menschen kamen in die Nähe der Unfallstelle, um ihr Beileid zu bekunden – viele mit dem Fahrrad. Auch Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) unter den Teilnehmern.
Mahnwache an der Unfallstelle für die getötete Radfahrerin
Einer der Organisatoren vom Verein Changing Cities hielt eine Rede, in der er den „Verantwortlichen verantwortungsloses Nicht-Handeln“ vorwarf. Er forderte eine Veränderung der Verkehrspolitik. „Politik und Verwaltung haben Prozesse verschleppt und Forderungen verwässert. Es ist unerträglich.“ Er drang auf schnelle und radikale Maßnahmen, um die Situation für Radfahrer zu verbessern. „Mobilität ist eine Notwendigkeit und kein Risikospiel.“
Als Zeichen der Trauer wurde ein weißes Geisterfahrrad in die Mitte der Straße gelegt. Nach der Rede klingelten die Fahrradfahrer drei Mal und schwiegen für einige Minuten.
Daniel Sanchez (37) war am Donnerstagmorgen einer der Ersten an der Unfallstelle. Er wohnt einige Straßen weiter und kam nach dem Joggen am Unfallort vorbei. „Ich sah sie dort liegen, der Krankenwagen war noch nicht da, es war jemand über sie gebeugt und hat Erste Hilfe geleistet“, sagte er sichtlich bewegt. Es habe ihn den ganzen Tag verfolgt. „Ich kannte die Frau nicht, habe sie aber in ihren letzten Momenten gesehen. Alles was ich tun kann ist herzukommen.“
Viele der Anwohner wollten nicht nur ihr Beileid bekunden, sondern auch zeigen, dass sie sich mehr Sicherheit für Fahrradfahrer im Straßenverkehr wünschen. Katharina Fabarius (34) ist ebenfalls Anwohnerin und fährt die Strecke oft entlang, auch mit ihrem Kind. „Diese Ecke ist so gefährlich“, sagte sie. „Es muss sich etwas ändern. Furchtbar, dass es manchmal erst so eine Dramatik braucht.“
[Berliner Fahrradfahrerin von LKW getötet: Die Politik muss dem Sterben nicht machtlos zusehen – ein Kommentar.]
Um kurz nach 18 Uhr löste sich die Mahnwache langsam wieder auf, die Straße wurde freigegeben. Das Geisterrad wurde an einem Laternenpfahl angebracht, einige steckten Blumen an das Rad.
Schon am Mittwochnachmittag hatte es in Neukölln einen schweren Unfall mit einer Radfahrerin gegeben. Die Frau erlitt schwerste innere Verletzungen, als sie gegen 17.15 Uhr an der Ecke von Hobrechtstraße und Weserstraße von einem Auto angefahren wurde.
Der Fahrer des VW Golf war zu diesem Zeitpunkt auf der Hobrechtstraße in Richtung Maybachufer unterwegs, die Radfahrerin auf der Weserstraße in östlicher Richtung gen Reuterstraße.
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Die 35-jährige Frau stürzte bei dem Zusammenstoß auf die Motorhaube, wurde durch die Luft geschleudert und prallte gegen ein geparktes Auto. Der Rettungsdienst brachte sie nach einer notärztlichen Behandlung in ein Krankenhaus, wo sie auf der Intensivstation versorgt wurde.
Wie die Polizei berichtete, besaß der 23-jährige Autofahrer keinen Führerschein und war bereits in der Vergangenheit ohne Fahrerlaubnis unterwegs.
Fahrerflucht: Schwangere Frau auf dem Rad angefahren
Bereits am Mittwochnachmittag vergangener Woche, dem 10. März, verletzte ein Autofahrer eine schwangere Frau auf ihrem Fahrrad, als er an einer Ampel rechts abbog. Die 28-Jährige war nach Angaben der Polizei gegen 16.05 Uhr auf der Allee der Kosmonauten unterwegs. An der Kreuzung zur Landsberger Allee musste sie an einer roten Ampel warten. Nachdem diese wieder Grün zeigte und die Frau ihren Weg fortsetzen wollte, fuhr der Autofahrer sie von hinten an, als er nach rechts in Richtung Hellersdorf abbog.
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Die schwangere Radfahrerin stürzte und klagte über Schmerzen im Unterleib. Vorsorglich begab sie sich zur stationären Behandlung in eine Klinik. Der Autofahrer hingegen fuhr mit seinem Wagen einfach davon. Die Polizei sucht deshalb Zeugen und fragt: Wer hat den Unfall beobachtet? Wer kann Angaben zu dem schwarzen Audi A4 Coupé oder dem Fahrer machen? In der Sache ermittelt die Polizeidirektion 3 (Ost) in Treptow-Köpenick. Hinweise sind unter Tel. 030/4664-372800, per E-Mail oder bei jeder anderen Polizeidienststelle möglich.
Auf Berlins Straßen kommt es regelmäßig zu Verkehrsunfällen, bei denen Radfahrende sterben oder schwer verletzt werden. Im Jahr 2020 wurden dabei 17 Menschen getötet, das waren fast dreimal so viele wie noch 2019, als sechs Radfahrende Unfälle nicht überlebten. Das war eher ein Ausreißer nach unten: Zwischen 2015 und 2018 schwankte die Zahl der im Berliner Verkehr getöteten Radfahrenden zwischen zehn und 17 pro Jahr.
Um Abbiegeunfällen mit Lkw vorzubeugen, wird immer wieder die Pflicht zum Einbau von Abbiegeassistenten gefordert. Eine aktuelle IHK-Umfrage unter Berliner Transportunternehmen ergab, dass bis Jahresende rund zwei Drittel der schweren Lkw mit solchen Systemen ausgestattet sein werden. Allerdings haben nur vier Prozent der 1150 Betriebe an der Umfrage teilgenommen.