Pflegemarkt in Berlin: 50 Millionen Euro Schaden wegen Pflegebetrugs
Wegen des Verdachts auf Pflegebetrug häufen sich die Anzeigen. Der Schaden in Berlin wird auf 50 Millionen Euro geschätzt. Viele verlangen schärfere Kontrollen.
Betrüger finden im Pflegemarkt exzellente Bedingungen: Der Markt wächst rasant, doch Transparenz und ausreichend Personal in Kontrollgremien fehlen. 2015 haben die Bezirke 43 Strafanzeigen wegen des Verdachts auf Abrechnungsbetrug gestellt, 2014 waren es 29. Das geht aus der Antwort der Gesundheitsverwaltung auf eine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Jasenka Villbrandt hervor.
Seit 2012 ist es in Berlin zu 120 Strafanzeigen gekommen. Die Ermittlungen laufen zum Teil noch, in sieben Fällen wurde bisher Anklage erhoben. Das Landeskriminalamt, Dezernat 34, hat Anfang 2012 die Bearbeitung der Ermittlungsverfahren zentral für Berlin übernommen.
Das Vorgehen beim Pflegebetrug ist bekannt: Pflegedienste rechnen etwa nicht erbrachte Leistungen ab und fälschen dafür systematisch Pflegeprotokolle. Und manchmal werden rüstige Senioren, die etwas dazuverdienen wollen, dafür eingespannt: Sie simulieren Hilfsbedürftigkeit bei Kontrollen des zuständigen Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK). Der Pflegedienstleister rechnet dann für 1600 Euro (also Pflegestufe III) Maßnahmen ab, die nie erbracht wurden. Würde der Senior davon 600 Euro erhalten, verblieben 1000 beim Pflegedienst.
620 ambulante Dienste und 400 Heime
Erst vergangenen Dienstag wurde eine Berliner Pflegefirma durchsucht, weil sie durch den Einsatz von unqualifiziertem Personal bei Abrechnungen umfangreich betrogen haben soll. Im April waren systematische Betrügereien im Pflegedienst bekannt geworden. Das Landeskriminalamt hatte bei einer Großrazzia Wohnungen von Mitarbeitern und Patienten sowie einen ambulanten Pflegedienst durchsuchen lassen, der Sozialkassen der Stadt um nahezu eine Million Euro geschädigt haben soll.
Die Sozialkassen beziffern ihren Verlust durch Pflegebetrug pro Jahr auf mindestens 1,25 Milliarden Euro. Der geschätzte Schaden durch Pflegebetrug nur für Berlin liegt bei 50 Millionen Euro. Die Bezirke zahlten im Vorjahr rund 200 Millionen Euro für die „Hilfe zur Pflege“. Allein 115 000 Pflegebedürftige leben in Berlin, bis 2030 steigt die Zahl auf 170 000 Menschen. In Berlin gibt es rund 620 ambulante Dienste und 400 Heime. Mehr als 10 000 Menschen arbeiten in der Alten- und Behindertenpflege.
Für die Heime gibt es eine Landesaufsicht, in Privatwohnungen, in denen Pflegedienste helfen, kontrolliert der MDK. Je zwei Mitarbeiter pro Bezirk werden für die Bekämpfung von Leistungsmissbrauch in der ambulanten Pflege eingesetzt. Grünen-Politikerin Villbrandt forderte strengere Kontrollen für Pflegedienste, eine Fachstelle, die anonyme Hinweise über Pflegebetrug aufnimmt, und einen schnellen Datenabgleich zwischen den Bezirken. In Berlin gibt es derzeit 34 Pflegestützpunkte als kostenlose Anlaufstelle für Senioren, Pflegebedürftige oder Angehörige.
Sabine Beikler