Beim Notruf in der Warteschleife: 112 - und keiner geht ran
Ein Unfall am Mehringdamm und unser Autor ist Augenzeuge. Intuitiv ruft er die 112 an - und landet in der Warteschleife. Aber es kommt noch schlimmer. Hier erfahren Sie Fakten über die Notrufnummer, die auch für Überraschung sorgen.
Dienstagnachmittag am Mehringdamm: Ein Fußball rollt auf die Straße, ein Jugendlicher, vielleicht 15, rennt hinterher und geradewegs in ein Auto rein. Wird durch die Luft geschleudert, schreit erst vor Schreck, später vor Schmerzen. Man selbst steht zehn Meter daneben und weiß nicht viel, bloß: jetzt ganz schnell 112 wählen. Es klingelt, und am anderen Ende meldet sich die Warteschleife. Was genau die automatische Stimme sagt, erinnere ich nicht, nur noch, dass sie ihren Satz sehr oft wiederholt.
Ich bin gefangen in der Schleife, und Passanten um mich herum wundern sich, warum der Mann mit Telefon am Ohr denn nicht endlich zu sprechen beginnt. Inzwischen kauert der Verletzte am Straßenrand. Er klagt, ihm sei schwarz vor Augen. Ich warte weiter. Als dann – nach 1 Minute und 19 Sekunden – tatsächlich jemand abhebt, passiert das Unglaubliche: Ich werde aus der Leitung geworfen! Nun holt eine andere Augenzeugin ihr eigenes Handy aus der Tasche. Sie hat mehr Glück, und bald sind Polizeibeamte vor Ort, regeln den Verkehr, kümmern sich um den jungen Mann.
Heute, mit ein bisschen Abstand, ist der eine Schrecken einem anderen gewichen: Natürlich bin ich ganz sicher, dass der Rauswurf aus der Leitung keine Absicht war. Da hat jemand versehentlich den falschen Knopf gedrückt. Aber: Wenn so etwas passiert – warum ruft derjenige dann nicht zurück? Er kann schließlich unmöglich wissen, dass ich denselben Unfall melden wollte wie die Frau neben mir. Sieht er in der Notrufzentrale etwa meine Nummer nicht auf seinem Display – und falls nein: weshalb nicht? Und was wäre, wenn an meiner Stelle eine Person in Not angerufen hätte, die selbst ganz dringend Hilfe brauchte?
Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Sie sonst noch über die Notrufnummer wissen sollten.
In Acht Sekunden
Rund um die Uhr ist die Notrufzentrale der Feuerwehr mit 21 Beamten besetzt. Mehr als 3500 Anrufe werden unter der Nummer 112 täglich entgegengenommen. Von hier werden die 1100 Einsätze pro Tag disponiert. Wer die 112 wählt, sollte eigentlich binnen zehn Sekunden einen Ansprechpartner am Apparat haben. Ist dies nicht der Fall, etwa bei hohem Anrufaufkommen, gerät man in die Warteschleife. Allerdings sei eine Wartezeit von einer Minute und 19 Sekunden – wie im oben geschilderten Fall – nicht angemessen, sagte ein Feuerwehrsprecher. Allerdings sei dies auch nicht der Regelfall. Durchschnittlich werden Gespräche in den ersten acht Sekunden aufgenommen. Warum der Anrufer aus der Leitung flog, wird nun von der Feuerwehr geprüft.
In Acht Minuten
Ein Rettungsfahrzeug sollte in Berlin laut Vorgabe nach spätestens acht Minuten eintreffen. Dies war beim Unfall in Kreuzberg auch so: Um 16.12 Uhr ging der Notruf ein, um 16.19 Uhr war der erste Rettungswagen am Mehringdamm. Am Dienstag war zudem noch der „Tag des Europäischen Notrufs“. Dieses Datum, der 11.2., wurde aufgrund der Ziffernfolge ausgewählt um auf die einheitliche Notrufnummer in Europa 112 hinzuweisen. Wird der Notruf 112 angerufen, geht dieser bei der nächstgelegenen Notrufzentrale ein – aber ohne Vorwahl. Ungefähr 320 Millionen Notrufe gehen jährlich in Europa ein. Rund die Hälfte davon sind wirkliche Notfälle, hieß es bei der Feuerwehr. Der Rest seien „Missbrauch oder versehentliches Wählen des Notrufs“, hieß es. Allein in Berlin geht die Feuerwehr davon aus, dass etwa 100 „Hosentaschenanrufe“ – also wenn mit dem Handy versehentlich eine Nummer durch eine Tastenkombination gewählt wird – täglich die Leitstelle erreichen.
Sebastian Leber, Tanja Buntrock