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Schlossherr in Steglitz. Seit 2008 führt Dieter Hallervorden das Schlosspark Theater, das auch an seinem 100. Geburtstag coronabedingt ohne Publikum auskommen muss.
© Christoph Soeder/dpa

Haus des Wagemuts: 100 Jahre Schlosspark Theater in Berlin-Steglitz

So turbulent das erste Jahrhundert verlaufen ist, die Adresse ist gleich geblieben. Am Mittwoch feiert die Steglitzer Bühne ohne Publikum Jubiläum.

Die erste Rolle war keine große Sache. Ihre Aufgabe: Schmachten, einen Mann anhimmeln. Das konnte die 21-jährige Marlene Dietrich schon sehr gut, auch im richtigen Leben. Doch wer hätte gedacht, dass an diesem 7. Oktober 1922 im ebenfalls jungen Steglitzer Schlosspark Theater ein Stern am deutschen Bühnenhimmel aufging, der am internationalen Kinohimmel noch viel heller strahlen sollte.

„Der große Bariton“, eine romantische Komödie von Leo Ditrichstein und Fred und Fanny Hatton, wurde seit Januar jenes Jahres im Theater am Kurfürstendamm gespielt und wechselte im Herbst ins Haus an der Schloßstraße. Das Stück dreht sich um den Star eines New Yorker Opernhauses, der plötzlich seine Stimme verliert – für Marlene, der freilich nur die Mini-Rolle einer jungen Verehrerin blieb, wurde der Ortswechsel der Inszenierung zum Beginn einer strahlenden Karriere.

Das ist nur ein winziges, gleichwohl folgenschweres Detail aus der langen Geschichte des Steglitzer Theaters. Genau 100 Jahre währt sie schon. An diesem Mittwoch – ein dort sicher mit Wehmut begangenes Jubiläum. Denn wenngleich die Coronazahlen sinken: Eine Wiederaufnahme des Spielbetriebs ist nicht in Sicht, die Geburtstagsfeier daher „in die nächste Spielzeit verschoben, wenn hoffentlich wieder langfristige Planungssicherheit besteht“.

So turbulent das erste Jahrhundert des Theaters auch gelegentlich verlaufen sein mag – die Adresse ist ihm geblieben: Schloßstraße 48. Die Geschichte des Gebäudeensembles ist aber noch länger: Anfang des 19. Jahrhunderts wurde das Gutshaus Steglitz erbaut, später diente es als Sommersitz des preußischen Generalfeldmarschalls Friedrich von Wrangel und trägt seither den populären Beinamen „Wrangelschlösschen“.

Zum Start natürlich Shakespeare

Um 1885 kam ein Wirtschaftsgebäude dazu, das später als Restauration mit Tanzsaal genutzt und 1921 in den heutigen Theaterbau umgewandelt wurde. Initiator war Robert Friedlaender-Prechtl, Unternehmer, Publizist, Schriftsteller, der den Umbau finanzierte und offenbar großes Theater im Sinn hatte, wie schon die Wahl des Eröffnungsstücks zeigte: Shakespeares „Timon von Athen“, von ihm neu übersetzt.

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„Viel frische Jugend ist am Werke. Mit dieser Jugend mag aus dem Theater in General Wrangels Gutsscheune ein Haus der Versuche, des Wagemuts, der dreisten Handstreiche werden“, lobte die „Vossische Zeitung“, das Publikum strömte dennoch nicht wie gewünscht. „Der edle Versuch musste bald aufgegeben werden, und die beiden Häuser fielen von 1922 bis 1944 derberen Händen anheim“, schrieb Bildungssenator Joachim Tiburtius im Tagesspiegel in seinem Nachruf auf den am 13. August 1950 gestorbenen Theatergründer.

In sieben Inszenierungen von Boleslaw Barlog war die junge Hildegard Knef (li.) zu sehen.
In sieben Inszenierungen von Boleslaw Barlog war die junge Hildegard Knef (li.) zu sehen.
© Schlosspark Theater

„Derbere Hände“ – das zielte offenbar auf ein Programm der leichteren Muse, dem sicher auch Marlene Dietrichs Theaterdebüt zuzurechnen ist. Die große Zeit des Schlosspark Theaters begann ohnehin erst 1945, als Boleslav Barlog das Haus übernahm, mit „einem Darlehen von 40 000 Papiermark als Anfangskapital“, wie der spätere Generalintendant der Staatlichen Schauspielbühnen Berlins sich erinnerte. Bis 1972 inszenierte Barlog in Steglitz über 100 Stücke, zählte Schauspieler wie Klaus Kinski und Martin Held zu seinem Ensemble – oder auch Hildegard Knef, die nach ersten Auftritten in den Kammerspielen des Deutschen Theaters, in der Tribüne und im Renaissance-Theater erstmals am 3. November 1945 auf der Steglitzer Bühne stand, in „Hokuspokus“ von Curt Goetz, der ersten von sieben Steglitzer Barlog-Inszenierungen, in denen sie auftrat.

Weitere große Namen, die mit der damaligen Zeit verbunden sind, waren unter anderem Johanna von Koczian, Bernhard Minetti, Berta Drews, Marianne Hoppe, Carl Raddatz oder auch Peter Ustinov. Und mit dem Programm konnte man ebenso prunken, gab es doch in der Nachkriegszeit viele deutschsprachige Erstaufführungen der Erfolgsstücke zeitgenössischer Dramatiker, so am 8. September 1953 Samuel Becketts „Warten auf Godot“ in der Inszenierung von Heinz Stroux. Der stürzte kurz vor der Premiere von der Bühne und musste erstmal ins Krankenhaus, was dem Erfolg der Aufführung aber das nicht schadete: Laut Tagesspiegel-Rezensent und -Herausgeber Walther Karsch applaudierte das Publikum „ganz besonders heftig“.

Beckett fand die "Godot"-Inszenierung nicht so toll

Beckett urteilte später weniger gnädig. Er fand die Inszenierung zu „bedeutungsschwer“ und soll das Theater schon vor Ende verlassen haben: „Es war schlecht gespielt und vor allem schlecht inszeniert, wurde aber gut aufgenommen. Ich hätte es andersherum vorgezogen.“

Im selben Jahr wurde das Ensemble für die Uraufführung von Max Brods Bühnenfassung des Kafka-Romans „Das Schloss“ mit dem Deutschen Kritikerpreis ausgezeichnet. Das Theater gehörte damals bereits zu den Staatlichen Schauspielbühnen – und wurde 1993 wie das Schillertheater vom Senat angesichts leerer Landeskassen geschlossen.

"Always Look on the Bright Side of Life". Auch eine Inszenierung des Musicals „Monty Pythons’ Spamalot“ steht nach dem Lockdown wieder auf dem Programm.
"Always Look on the Bright Side of Life". Auch eine Inszenierung des Musicals „Monty Pythons’ Spamalot“ steht nach dem Lockdown wieder auf dem Programm.
© O. Hais

Zwei Jahre später war es wieder da, nun vom ehemaligen Generalintendanten der Staatlichen Bühnen, Heribert Sasse, bis 2002 als Privattheater geführt. Wirtschaftlicher Erfolg war ihm auf Dauer nicht beschieden, und auch der Versuch des Schauspielers und Regisseurs Andreas Gergen, das Haus, zuletzt mit dem Unterhaltungskonzern Stage Entertainment als Partner, mit Musicals und Operetten zu bespielen, war nicht von Dauer: Ab Sommer 2006 gab es dort keine Theateraufführungen mehr.

Neubeginn mit Dieter Hallervorden

Das änderte sich erst im Dezember 2008, als der Kabarettist Dieter Hallervorden das Haus übernahm, das seit dem 1. September 2009 unter seiner Leitung als Sprechtheater ohne festes, nur produktionsbezogenes Ensemble bespielt wird – nach aufwändiger Renovierung eine Bühne mit 473 Plätzen und moderner Technik, geführt nach dem Motto „Geist mit Humor“.

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Beide liegen seit Monaten pandemiebedingt brach, bis 31. Mai sind alle Vorstellungen abgesagt, auch was danach kommt, ist ungewiss. Ein durchgeplantes Programm gibt es aber schon, das am 1. Juni mit der Komödie „Winterrose“ beginnen soll. Später in der Saison folgt als Wiederaufnahme auch das Musical „Monty Python's Spamalot“. Dessen schwarzhumorige Songs scheinen wie geschaffen für ein Nach-Corona-Programm, von „He's not yet dead“ bis zu dem legendären, auch aus „Das Leben des Brian“ bekannten „Always Look on the Bright Side of Life“.

Aber bis dahin wird es noch etwas dauern. Schon jetzt aber gibt es die Möglichkeit, dem Theater eine Spende zukommen zu lassen. Wer dazu und zum ab Juni geplanten Programm Näheres wissen will, informiere sich unter www.schlossparktheater.de

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