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© p-a/dpa

Theater: Tradition zahlt keine Miete

Requiem statt Jubiläum: Nach 90 Jahren muss das Berliner Theater Tribüne schließen, weil die Zuschüsse gestrichen wurden.

Die Hoffnung stirbt zuletzt, heißt es. Was meist vergessen wird, ist der Zusatz: Aber sie stirbt.

So auch im Charlottenburger Theater Tribüne, das im nächsten Jahr seinen 90. Geburtstag gefeiert hätte – und wo nun am Silvesterabend der Vorhang zum vorerst letzten Mal fallen soll. Die Zuschüsse werden gestrichen. Es steht kein Jubiläum mehr an, sondern ein Requiem. Bis zuletzt, sagt Corinna Trempnau, die mit ihrem Mann Thomas Trempnau seit Mitte 2006 die Geschäfte des Privattheaters an der Otto-Suhr-Allee führt, seien positive Signale seitens der Politik gekommen, von Abgeordneten des Bezirks Wilmersdorf-Charlottenburg, die sich für ihre Kiez-Bühne stark machten. Aber die Entscheidung, dem Theater die Fördermittel zu entziehen, liegt bei der Senatsverwaltung. Und die folgt, was so überraschend nun auch wieder nicht ist, dem Urteil einer von ihr selbst eingesetzten Jury, die bereits im Sommer vorgeschlagen hatte, die Tribüne-Zuwendungen in Höhe von 600 000 Euro künftig anderweitig zu vergeben.

„Es existiert kein Plan B“, hatte Thomas Trempnau damals im Gespräch mit dieser Zeitung bekundet, die Mittel aus der Basisförderung machten drei Viertel des Gesamtetats aus. Aber an der Tribüne konnte man in den zurückliegenden zehn Jahren ja bereits zweimal das Schicksal abwenden, auf Juryempfehlung hin plötzlich senatsmittellos dazustehen. Et hätt noch immer jut jejange, sagt der Rheinländer.

Nun geht es nicht mehr gut. Nach dem Schillertheater muss eine weitere Bühne im Westteil der Stadt dran glauben, wobei, immerhin, das Schlosspark-Theater ja gerade einen neuen Betreiber gefunden hat. Die hörbar enttäuschte Geschäftsführerin Trempnau verspürt ohnehin keine Lust, über kulturpolitische Ost-West-Konflikte zu mutmaßen. Und auf die Frage, ob an dem Vorwurf etwas dran sei, die Trempnaus hätten sich überzogene Gehälter gegönnt, antwortet sie bloß sarkastisch: „Ich besitze keine Finca, auf die ich mich jetzt zurückziehen kann.“

Dennoch, es sind Fehler gemacht worden. Corinna und Thomas Trempnau haben es nicht geschafft, dem Traditionshaus ein zeitgemäßes Profil zu geben. Musicalerfolge, die es durchaus gab, etwa mit „Piaf“ oder zuletzt mit „Irma La Douce“, ändern nichts am Gesamtbild. Der von den Trempnaus eingesetzte, mittlerweile verstorbene künstlerische Leiter Helmut Palitzsch scheiterte ebenso wie Anna Langhoff, deren Intendanz die Trempnaus bereits nach der ersten Premiere panikartig wieder beendeten. Sie zu berufen, sei ihr persönlicher „Kardinalfehler“ gewesen, sagt Corinna Trempnau heute. Im Gegenzug verweist sie auf Sparerfolge, Auslastungssteigerungen. Man sei gerade dabei gewesen, auch ohne künstlerische Leitung, wieder durchzustarten. Zu spät.

Mit der Tribüne würde ein Stück Berliner Theatergeschichte sterben. 1919 wurde das Haus, das zuvor die Aula eines Mädchengymnasiums beherbergte, als politisch-expressionistisches Theater eröffnet. Der junge Fritz Kortner stand hier in einer der ersten Inszenierungen auf der Bühne, in Ernst Tollers „Die Wandlung“. In den zwanziger Jahren trat eine Marlene Dietrich auf, ein Erwin Piscator führte Regie. Die Tribüne war das erste Berliner Theater, das nach dem Krieg wiedereröffnet wurde, mit einem Programm von Hildegard Knef. Auch in den Siebzigern, unter Klaus Sonnenschein, feierte die Bühne Erfolge, mit politisch-literarischen Programmen, Gesellschaftssatiren. Allein, mit Tradition zahlt man keine Miete.

Die Trempnaus besitzen langfristige Verträge, heute soll im Gespräch mit der Senatsverwaltung geklärt werden, wie es nun konkret weitergeht. Corinna Trempnau hofft, dass „kein Supermarkt oder Solarium“ in dem Haus entsteht, das mal im Besitz der Deutschen Bank war, danach zigfach den Eigentümer wechselte („vermutlich bei Ebay versteigert“, scherzt sie bitter), und das heute einer Firma in Luxemburg gehört. Was für eine Wandlung. Von der höheren Schule zum Berliner Vorzeigetheater zum potenziellen Pleiteobjekt. The times, they are a-changin’.

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