Hochschulen: Zwei Jahre Studiengebühren - die Bilanz ernüchtert
Heizen, segeln und sanieren: Was Studiengebühren in Deutschland bisher gebracht haben –und was nicht.
Wie Anspruch und Wirklichkeit bei der Verwendung von Studiengebühren auch zwei Jahre nach ihrer Einführung auseinanderklaffen können, zeigt sich dieser Tage in Stuttgart-Hohenheim. Noch vor kurzem ließ sich die dortige Universität für einen Ideenwettbewerb feiern, bei dem sie kreative Vorschläge für 200 000 Euro aus der Gebührenkasse sammelte. Die bescheidenen Siegerideen: Bessere Arbeitsplätze und eine Homepage, auf der nachzulesen ist, wohin das Geld fließt. Doch kaum war der Wettbewerb beendet, verkündete der Uni-Rektor, er stopfe Löcher im regulären Etat mit Studiengebühren.
Dazu wird der vom Land gespeiste Lehretat gekürzt und anschließend mit 1,2 Millionen Euro aus dem Gebührentopf wieder aufgefüllt. So gewinnt die Universität freies Geld, um etwa gestiegenen Heizkosten bezahlen zu können. Ein legaler Trick: Im baden-württembergischen Gebührengesetz steht nur, das Geld müsse in die Lehre fließen, nicht sie verbessern. Die Studenten – 6000 sind in Hohenheim eingeschrieben – protestierten vergeblich.
In Hohenheim sitzt auch der Marketing-Professor Markus Voeth. Er ermittelt regelmäßig, was die zahlenden Studenten in Deutschland von den Gebühren halten. Voeths Umfrage zeigt: Mit ihrem Frust sind die Hohenheimer Studierenden nicht allein. In Voeths bundesweitem Gebührenkompass 2008 bewerten die Studenten die Studiengebühren nur mit den Schulnoten vier bis fünf. Die Zufriedenheit der Studenten sackte damit auf einen neuen Tiefstand. Im Jahr zuvor hatten sie vor allem mangelnde Transparenz beklagt. Darauf hätten die Hochschulen zwar reagiert, sagt Voeth. Studierende würden nun besser erfahren, wohin das Geld fließt. Doch jetzt stellten sie fest, dass die Verwendung der Gebühren oftmals nicht in ihrem Sinn sei.
Im Wintersemester 2006/2007 hatten Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen mit dem Bezahlstudium begonnen. Es folgten weitere Länder (siehe Kasten). Den Weg frei gemacht hatte zwei Jahre zuvor das Bundesverfassungsgericht, als es das rot-grüne Gebührenverbot aus dem Hochschulrahmengesetz strich. Damals lieferten sich Befürworter und Gegner eine theoretische Debatte. Am Ende standen drei große Versprechen der Gebührenfans: Die Studiengebühren würden sozialverträglich sein, vollständig in bessere Lehre fließen und nicht einen Cent staatlicher Ausgaben ersetzen.
Seither nähren Geschichten von entgegen dieser Zusagen verwendeter Gebühren die Zweifel, ob Wort gehalten wird. Zwar wurden mit den Gebühren vielerorts Tutoren eingestellt und Lehrbuchsammlungen aufgestockt. An der Universität Köln verbesserte sich das Betreuungsverhältnis durch Zusatzpersonal bei den Ökonomen von 39 auf 28 Studierende je Lehrenden, bei den Philosophen von 32 auf 23. Zweistellige Millionenbeträge nehmen viele Unis mit den Gebühren pro Jahr ein – ein wahrer Geldsegen für die unterfinanzierten Hochschulen.
Doch die Meldungen über den fragwürdigen Einsatz der Mittel reißen nicht ab: An der Universität Bonn wurden die Pläne, Toiletten mit dem Geld zu sanieren, erst nach Protesten gestoppt. Die Universität Saarbrücken bezahlt gegen den Widerstand der Studenten Neubauten aus dem Gebührentopf. Die Uni Münster gab zu, rund 55 000 Euro falsch verbucht und für Mobiliar ausgegeben zu haben. An der Uni Konstanz flossen die Gebühren auch in Segelboote und Aschenbecher. In Heidelberg horteten die Fächer anfangs nahezu die Hälfte der Gebühren auf ihren Konten, bis das Rektorat mit Rückforderung drohte. Noch schwerer wiegen Fälle kreativer Buchführung wie an der Universität Freiburg, die mindestens 1,5 Millionen Euro des Lehrgeldes für Forschung verbuchte – mit der Begründung, der Forschungsetat habe in den mageren Jahren zuvor Geld für den Unterricht vorgestreckt.
Auch ein Abschreckungseffekt der Gebühren scheint belegt, seit die Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) eine Studie zu den Folgen veröffentlicht hat: Demnach nehmen knapp vier Prozent der Studienberechtigten ihr Studium wegen der Gebühr nicht wie geplant auf. Auf den Jahrgang 2006 bezogen sind das bis 18 000 junge Leute. Für die HIS-Experten fällt der Effekt damit zwar geringer aus, als es die Kritiker vorausgesagt hätten. Doch würden besonders Kinder hochschulferner Eltern verschreckt.
Eine exakte Analyse ist gleichwohl schwer. Denn Numerus clausus und Bewerberchaos beeinflussen die Zahlen ebenso. So verbuchte Baden-Württemberg vergangenen Winter trotz Gebühren ein Anfängerplus von 8,5 Prozent. Andererseits erklären Hessens Fachhochschulen ihre um bis zu 70 Prozent gestiegenen Anfängerzahlen mit dem Wegfall der Gebühr. FH-Studenten kommen häufiger aus hochschulfernen Familien. Es scheint plausibel, dass sie empfindlicher reagieren. Als das HIS jüngst nachfragte, warum Westdeutsche in Ostdeutschland studieren, lautete die Antwort bei 21 Prozent der westdeutschen Studienanfänger: weil das Studium gebührenfrei sei. Nicht nur ostdeutsche Länder nutzen dies offensiv: Rheinland-Pfalz warb über die Landesgrenzen hinaus mit Plakaten „Die Gedanken sind frei. Das Erststudium auch.“
Einst von den Gebührenfreunden zugesagte Stipendiensysteme gibt es dagegen kaum. Gerade zwei Prozent deutscher Studenten profitieren von solch einer Förderung. Die Universität Mannheim gilt als bundesweit führend: Sie bietet 152 Stipendien für die Besten, von denen im vergangenen Jahr 13 ihre Unterstützung freiwillig an Bedürftige weiterreichten. Die Elite-Universität Heidelberg feierte 2008, dass sie zehn „Patenschaften für Studiengebühren“ geschaffen hat. Und so ist auch in Gebührenländern kaum noch die Rede davon, der Student werde durch die Studiengebühren zum König Kunde. Vielmehr wurde vielfach nachgebessert, um dem Vorwurf sozialer Abschreckung zu entgehen: In Hamburg senkte eine neue schwarz-grüne Koalition im letzten Jahr den Gebührensatz von 500 auf 375 Euro.
Im Saarland sind die zuvor meist verschmähten Darlehen künftig zinsfrei. Niedersachsen plant, mehr Stipendien für ehrenamtlich engagierte oder kinderreiche Familien einzuführen. In Baden-Württemberg deckelte die CDU-FDP-Regierung die Zinsen der Gebührenkredite. Zudem weitete sie die Regelung für Geschwisterkinder so aus, dass nun alle Studenten mit zwei oder mehr Geschwistern kostenfrei studieren.
Die Folge sind Einnahmeausfälle von rund einem Drittel. Von den Universitäten in Baden-Württemberg haben bis auf zwei angekündigt, nun doch keine Lehr-Professoren aus Studiengebühren einstellen zu wollen – obwohl das vom Land dieses Jahr erstmals erlaubt wurde. Von den Fachhochschulen verzichteten sogar alle darauf. Die FHs erklärten, dafür reiche das Geld nicht. Die Studiengebühren seien schließlich längst alle fest verplant.
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