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Genau hinhören. Für das Verschreiben von Antibiotika an Kinder muss es gute medizinische Gründe geben.
© P. Pleul/picture alliance /dpa

Behandlung von Infektionen: Zu viel Antibiotika für Kinder

Beim Nachwuchs wird oft zu schnell zu dem "Notfallmedikament" gegriffen. Dabei geht es bei den meisten Erkrankungen ohne.

Antibiotika sind keine Zuckerpillen, sondern oft lebensrettende „Notfallmedikamente“. Da sie mitunter vorschnell, unnötig und damit letztendlich zu oft eingesetzt werden, nimmt die Zahl der Bakterien, die auf mehrere der herkömmlichen Antibiotika nicht mehr ansprechen, zu. Keime werden resistent und machen ein früher hochwirksames Antibiotikum zur lahmen Ente. „Je mehr Antibiotika verschrieben werden, desto höher sind die Resistenzraten“, sagt Reinhard Berner, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Dresden.

Im europäischen Maßstab stehe Deutschland beim Antibiotikaeinsatz nicht schlecht da. Doch in der Schweiz und in den Niederlanden würden weniger Antibiotika verschrieben. „Das heißt, dass es auch bei uns noch Spielraum nach unten gibt“, sagt der Infektionsexperte Berner.

Bei Viren versagen Antibiotika

„Mitunter verschreiben Haus- und Kinderärzte Antibiotika unter Zeitdruck, aber auch, weil Eltern ein Antibiotikum einfordern, etwa aus Angst vor einer Verschlimmerung der Erkrankung oder Folgeerkrankungen oder wegen des Wunsches, dass ihr Kind mit einem Antibiotikum rasch wieder gesund wird und in den Kindergarten oder die Schule gehen kann“, sagt die Kinderärztin Martina Prelog vom Universitätsklinikum Würzburg. Sie würden sich dies sogar bei virusbedingten Erkrankungen vom Antibiotikaeinsatz versprechen. „Bei Viruserkrankungen wirkt ein Antibiotikum aber überhaupt nicht“, sagt die Medizinerin. Ein Antibiotikum hilft nur, wenn Bakterien die Erkrankung verursacht haben, die auf das Antibiotikum empfindlich sind. Ein Antibiotikum hat bei Viruserkrankungen nur dann Sinn, wenn sich zusätzlich Bakterien auf die Infektion „draufsetzen“.

„Kinder haben in den ersten beiden Lebensjahren sehr oft fieberhafte Infektionen, vor allem im Mittelohr, im Hals und in den Atemwegen. Dabei handelt es sich zumeist um Virusinfektionen. Nur in einem kleinen Teil der Fälle liegt tatsächlich eine behandlungsbedürftige bakterielle Infektion vor“, sagt Berner. Dennoch, etwa 90 Prozent der Antibiotika im ambulanten Bereich werden laut dem Dresdner Mediziner für Atemwegsinfektionen verschrieben.

Mittelohrentzündung: Manchmal kann man abwarten

„Inzwischen steht fest, dass man bei Mittelohrentzündung, Halsentzündungen, Atemwegserkrankungen sowie Lungenentzündung Antibiotika ruhig zurückhaltender einsetzen kann“, berichtet der Kinderarzt. Wenn beispielsweise ein Kind, zwei Jahre oder älter, eine Mittelohrentzündung hat, kann man in der Regel ein bis zwei Tage warten. Wichtig ist, dass die Eltern ihr krankes Kind bei Verschlechterung oder ausbleibender Besserung für eine erneute Untersuchung beim Arzt vorstellen müssen. Eine eitrige, fieberhafte Mittelohrentzündung beim jungen Säugling erfordert dagegen eine antibiotische Therapie, denn hier können sich rasch Komplikationen einstellen.

Weiterhin wurde früher bei Mandelentzündungen wegen des Risikos für Gelenke, Herz und Nieren und wegen eines möglichen rheumatischen Fiebers regelhaft ein Antibiotikum verordnet. Das ist unnötig. Lediglich bei Mandelentzündungen, bei denen A-Streptokokken nachgewiesen werden, kann ein Antibiotikaeinsatz sinnvoll sein. „Nach neueren Erkenntnissen wird aber auch hier das Risiko für Folgeerkrankungen und der Nutzen einer antibiotischen Therapie deutlich überschätzt – auch auf Ärzteseite. Daher muss die Verordnung in jedem Einzelfall genau überlegt werden. Und Kinder unter zwei Jahren bekommen definitiv keine Streptokokkenangina“, stellt Berner klar.

Bei schweren Entzündungen mit Bakterien sind Antibiotika unverzichtbar

Unbedingt nötig ist ein Antibiotikum laut Prelog bei bakteriell bedingten Harnwegsinfekten, weil ansonsten das Risiko einer eitrigen Nierenbeckenentzündung und im Weiteren einer Blutvergiftung besteht. Das gilt zudem bei eitrigen Entzündungen der Haut und Weichgewebe, der Gelenke und Knochen und bei einer schweren Lungenentzündung mit Abhörbefund und hohen Entzündungszeichen oder mit einer beim Röntgen zu sehenden Infektion, lautet Prelogs klare Aussage. Der sofortige Einsatz von Antibiotika bei Verdacht auf eine eitrige Hirnhautentzündung und bei einer Blutvergiftung kann zudem lebensrettend sein.

Wie ist es möglich, die Entscheidung für oder gegen ein Antibiotikum zu treffen? Es existieren mehrere Hilfestellungen. „Für die Mandel- und Rachenentzündung mit Halsschmerzen existiert für den Arzt ein Punktebewertungssystem, anhand dessen er eine Erkrankung einschätzen kann. Aber das kostet Zeit“, erläutert Martina Prelog. Zusammen mit den klinischen Krankheitszeichen und einem Abstrich sei eine Entscheidung für oder gegen Antibiotika-Therapie möglich. Auf einen Rachenabstrich allein dürfe man sich nicht verlassen. „Seine Empfindlichkeit schwankt zwischen 50 und 90 Prozent. Und selbst wenn ein Bakterium nachgewiesen wird, heißt das noch nicht, dass es an der Infektion beteiligt ist“, gibt Berner zu Bedenken.

Häufig die beste Wahl: Einfache Mittel

Wenn ein Antibiotikum nötig ist, stellt sich die Frage welches. In der Vergangenheit wurden zu oft Cephalosporine sowie Makrolide verwendet, die an sich Breitbandantibiotika darstellen, aber nicht leichtfertig verschrieben werden sollten. Wegen der drohenden Resistenzbildung sollten sie möglichst selten verwendet werden, damit sie im Notfall noch schlagkräftig sind. „Da Antibiotika am häufigsten bei Atemwegsinfektionen eingesetzt werden, bei denen einfache Mittel wie Amocxicillin gut helfen, sollte die Wahl auf sie fallen, wenn eine antibiotische Therapie sein muss“, rät Berner.

Es sei noch einmal betont, dass Antibiotika keine Zuckerpillen sind. Sie können für die im Darm lebenden Mikroorganismen Folgen haben, die komplexer sind als bislang angenommen. Offenbar nimmt die Vielfalt der Darmflora ab, manche Bakterienarten verschwinden ganz, so dass insgesamt die Zahl der Arten kleiner wird. Offenbar ist es für den Menschen gesünder, eine große Anzahl verschiedener Bakterientypen im Darm zu beherbergen. „So gibt es deutliche Hinweise für einen Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Antibiotika im ersten Lebensjahr mit negativen Folgen für das Immunsystem sowie mit rheumatischen Erkrankungen, Übergewicht, allergischen Erkrankungen und Diabetes“, berichtet Berner.

Auch aus diesem Grund ist es wichtig, Antibiotika nur dann zu verwenden, wenn sie wirklich nötig sind. „Kinder, die ein Antibiotikum brauchen, sollen es auch bekommen. Aber dann muss es auch wirksam sein. Es ist die Aufgabe von uns allen, dafür Sorge zu tragen, dass die Keime auch in Zukunft noch auf diese Medikamente ansprechen“, sagt der Kinderarzt Berner.

Gerlinde Felix

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