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Kleeblatt
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Philosophie: „Wohlfühlglück ist nichts von Dauer“

Wir sollten akzeptieren, dass es gute und schlechte Tage gibt, sagt der Philosoph Wilhelm Schmid.

Herr Schmid, Sie gelten als einer der wenigen Gelehrten, die von ihren Büchern leben können. Wie viel trägt Geld zum Glück bei?

Bis zu einem bestimmten Punkt ist Geld produktiv – dann nicht mehr. Aber der Sinn des Lebens – und der ist wichtiger als Glück – hat mit Geld absolut nichts zu tun. Viele Menschen projizieren ihre Lebensträume aufs Geldverdienen – und sind nachher unglücklicher als vorher.

Wer ist glücklicher – die Reichen oder die Armen?

Die Chance auf Glück sinkt mit dem Reichtum. Ich erlebe das in Zürich …

… wo Sie als „philosophischer Seelsorger“ regelmäßig in einer Klinik arbeiten …

... und es hat mich verblüfft, dass gerade die Menschen, die zu viel haben, eher zu den Unglücklichen zählen. Leider lässt sich das denjenigen, die glauben, zu wenig zu haben, nur schwer vermitteln!

Warum ist die Glücksfrage gerade heute und gerade im Westen so virulent, wo doch keiner hungern muss?

Die Moderne hat uns gelehrt, die Maximierung von Lust und Minimierung von Schmerz für Glück zu halten. Auf unterschiedlichen Wegen versprachen Kapitalismus und Kommunismus, das größte Glück der größten Zahl zu erreichen. Als einer der beiden 1989 in die Knie ging, wollte auch der andere von diesem Ziel nichts mehr wissen. Seither suchen viele Menschen danach, das versprochene Glück wenigstens privat zu realisieren.

Wir im Westen sind heute eher unglücklich als glücklich?

Das hängt davon ab, wie Sie Glück definieren.

Wie definieren Sie denn Glück?

Ich halte am meisten von einem Glück der Fülle, das der Polarität des Lebens Rechnung trägt, also die positiven und negativen Seiten des Lebens umfasst. Heute allerdings orientiert man sich eher am „Wohlfühlglück“. Das Wohlfühlglück ist freilich abhängig von einzelnen Momenten, nichts von Dauer. Viele Menschen meinen, dass die Reichen und Berühmten dauerhaft im Wohlgefühl leben, aber gerade die tun das am wenigsten ...

… wie etwa Robbie Williams, der zum Glück 36 Espressi am Tag braucht ...

... und sie glauben, sie müssten nur noch diese und jene Stellung beim Sex ausprobieren, dann wären sie glücklich! Dabei handelt es sich aber um eine momentane Lust, und auf Lust folgt immer Alltag, Auszeit, Unlust. Es liegt am Leben selbst, dass es zwischen Positivität und Negativität schwankt. Wer diese Polarität nicht annehmen will, macht sich unglücklich.

Glück im Sinne eines erfüllten Lebens hängt von der geistigen Haltung ab?

Ja, von der Überlegung, was eigentlich Leben ist, und ob ich damit einverstanden sein kann. Das Dumme am modernen Glücksbegriff ist, dass er das Negative ausschließt. Dieser Glücksbegriff macht die Menschen systematisch unglücklich – und das beunruhigt mich.

Ist nicht die Polarität zu überwinden?

Nein, es kann nur darum gehen, mit ihr umgehen zu lernen. Erst wenn ich begreife, dass zum Positiven immer auch Negatives gehört, muss ich nicht mehr den Eindruck haben, dass ich aus dem Leben herausfalle, wenn es momentan keinen Spaß macht, vielleicht sogar Schmerz bereitet. Und aus der Kontrasterfahrung kommt erst die Fähigkeit zu wirklichem Genuss.

In Ihrem neuen Buch zeigen Sie, dass es meistens um Sinn geht, wenn von Glück die Rede ist. Wo ist noch Sinn zu finden im Zeitalter der Freiheit?

Es gibt ja zwei Arten von Freiheit, die negative des Freiseins von etwas, und die positive des Freiseins zu etwas. In der Moderne ging es durchweg um die Freiheit von Zwängen, von Bindung etc. Nur: Wenn ich wirklich von jeder Bindung befreit bin, wo stehe ich dann? Im Nichts!

Freiheit nicht von, sondern in Bindung?

Eine Bindung einzugehen ist positive Freiheit, die Freiheit zu dieser Festlegung. Indem ich mich für eine ganz bestimmte Bindung entscheide, gebe ich der Freiheit, die an sich unbestimmt ist, erst eine Form und meinem Leben einen Sinn. Sinn ist dort, wo Zusammenhang ist.

Die heutige Singlegesellschaft ist also eine Gesellschaft von Unglücklichen?

Das Singleleben ist nicht etwa ein Leben ohne Bindung; eine große Rolle spielt da die Bindung der Freundschaft, und die ist ganz sicher sinnstiftend, ein starker Zusammenhang. Schwieriger ist es vielleicht bei One-Night-Stands: Zwischen Menschen, die sich am Abend erst kennenlernen und am nächsten Morgen schon wieder trennen, kann es keinen großen Zusammenhang geben. Da droht die Sinnlosigkeit.

Die Glücksfrage hat neben der sozialen vor allem eine geistige Dimension. In Ihrem Buch sprechen Sie häufig von Transzendenz, also Überschreitung des Gegebenen.

Wenn wir davon ausgehen, dass es nur dieses eine Leben gibt, werden wir in Lebensstress geraten. Der Tod bedeutet ja, dass mir die Fülle der Möglichkeiten genommen wird, all das zu verwirklichen, was ich noch nicht tun konnte. Deshalb die Bedeutung der Frage nach einem Leben darüber hinaus, nach Transzendenz.

Sie glauben an ein Leben nach dem Tod?

Ich halte es für sehr wahrscheinlich und deshalb lebe ich auch so. Viele Menschen heute sind doch so unglücklich, weil sie sehen, dass es viel mehr Möglichkeiten gibt, als sie in einem Leben jemals verwirklichen können. Deshalb haben sie so große Probleme mit dem Älterwerden.

Exakt aussagen lässt sich darüber aber nichts – ziemlich unbefriedigend.

Ich denke, die bloße Annahme einer Möglichkeit jenseits der konkreten Lebenswirklichkeit ist befriedigend genug. Ansonsten gibt es ja eine ganze Reihe von Angeboten zur konkreten Sinngebung: Die Religionen stehen dafür ein. Letztlich muss aber jeder seine eigene Wahl treffen.

Ein objektives Postulat erheben Sie nicht?

Es genügt, sich ernsthaft mit der Frage nach dem Sinn auseinanderzusetzen, auf allen Ebenen, auf der er zur Verfügung steht. Das fängt bei der Sinnlichkeit an, die aus guten Gründen den Sinn in ihrem Namen trägt. Viele Menschen haben aber schon ein Problem mit dem Bewegungssinn. Sie meiden Bewegung und machen auch von den anderen Sinnen immer weniger Gebrauch. Dabei ist der ganze Körper auf Bewegung angelegt, und der Geist ebenso. Forschungen belegen, dass Menschen, die sich von klein an viel bewegen, auch geistig beweglicher werden.

Sie selber sind vierfacher Vater. Fühlen Sie sich sinnerfüllt?

Mit vier Kindern sehen Sie das Leben in seiner Fülle vor sich ausgebreitet. Sinn erfahren wir in hohem Maße in seelischen Beziehungen - in Liebe, Freundschaft, Familie. Liebende stellen nie die Frage nach dem Sinn des Lebens, sie erfahren ihn.

Herr Schmid, Sie schreiben seit Jahren über das Glück. Sind Sie ein Glücksprophet?

Nein. So etwas gibt es nicht. Jeder Philosoph weiß, dass er auch nur ein Mensch ist und sich irrt wie alle anderen. Wenn Ihnen jemand ein konkretes Glücksrezept anbietet, ist das ein sicheres Zeichen dafür, dass Sie ihm nicht folgen sollten. Wichtiger als Glück ist ohnehin Sinn, und an dem lässt sich arbeiten.

In Ihrem Buch steht, dass man eigentlich erst im Leiden zum Denken kommt. Burn-out als Tor zum Glück?

Oft sehen die Menschen erst in der Verzweiflung die Notwendigkeit, ihr Leben neu zu definieren. Deshalb kommt es wohl auch zum Burn-out: Weil die Frage nach dem Sinn zu lange unbeantwortet geblieben ist. Dann allerdings geht es darum, sich dieser Frage zu widmen, statt zu Medikamenten oder Drogen zu greifen, um möglichst schnell wieder so weiterzumachen wie bisher.

Was ist Ihr persönlicher Weg zum Glück?

Ich folge da Aristoteles und halte die Mitte, indem ich mal ins eine und dann wieder ins andere Extrem falle, mal zufrieden, dann wieder unzufrieden bin, mich mal in meine Arbeit vergrabe und dann wieder mit den Kindern was unternehme. In der Summe ergibt das ein sehr erfülltes Leben.

Das Gespräch führte Konstantin Sakkas

Wilhelm Schmid (54) ist außerordentlicher Philosophieprofessor an der Universität Erfurt und Buchautor. Gerade erschienen: Glück. Alles, was Sie darüber wissen müssen ... (Insel-Verlag).

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