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Das Skelett eines Urlöwen wird in einem Museum von einer Frau installiert.
© Imago

Kleine Fächer an Universitäten: Wo die Orchideenfächer gedeihen

Die kleinen Fächer sind in Deutschland an vielen Uni-Standorten weiter bedroht. Doch die jetzt aktualisierte Kartierung der Orchideen-Fächer verzeichnet auch positive Entwicklungen.

Turkologen und Judaisten, Altorientalisten und Japanologen haben im Frühjahr auf dem Campus der Freien Universität Berlin ihre Umzugskisten gepackt. Aus den Dahlemer Villen, in denen sie jahrzehntelang untergebracht waren, siedelten sie in die „Holzlaube“ im zentralen Uni-Komplex für die Geisteswissenschaften an der Habelschwerdter Allee über. Mit dem Neubau hebt die FU ihre kleinen Fächer heraus, will die Arbeitsbedingungen durch eine gemeinsame Bibliothek verbessern. Eingepackt hat auch die Indische Kunstgeschichte – ein gutes halbes Jahr vor dem großen Umzug. Und sehr wahrscheinlich für immer.

Aus für die Indische Kunstgeschichte in Berlin

Als die Professuren und Standorte in den kleinen Fächern vor vier Jahren erstmals bundesweit dokumentiert wurden, galt die Indische Kunstgeschichte bereits als Sorgenkind. An der Uni Bonn hatte man sie nach 2007 von einer vollen Professorenstelle auf eine Drittelzuständigkeit gekürzt. Daneben war das Fach nur noch an der FU vertreten. Doch die Aufmerksamkeit, die die von der Hochschulrektorenkonferenz und vom Bundesforschungsministerium ins Leben gerufene Kartierung auf bedrohten Fächer lenken soll, hat der Indischen Kunstgeschichte nicht geholfen. Vor einem Jahr gingen auch am FU-Institut die Lichter aus – begleitet von Protesten der Museumsleute. Sie befürchten zu Recht, dass ihren Sammlungen der Nachwuchs ausgeht. Jetzt kann das Fach den zweifelhaften Anspruch erheben, das wohl allerkleinste der Orchideenfächer zu sein.

Die Kartierung von 2011 hatte die Potsdamer Arbeitsstelle unter der Leitung des Slavisten Norbert Franz unternommen. Nach der Vorlage des ersten Berichts lief die Förderung vom Bund aus, Rheinland-Pfalz sprang ein und teilt sich heute die Finanzierung mit der Uni Mainz. Das dortige Team legt jetzt eine erste Aktualisierung vor. Das Schicksal der Indologie ist darin eines der Negativbeispiele für die aktuelle Entwicklung.

Besonders gefährdet sind alte Kulturen und Sprachen

Abgebaut würden weiterhin vor allem Fächer in den Alten Kulturen und Sprachen, beobachtet Projektleiterin Mechthild Dreyer, Professorin für Philosophie des Mittelalters und Vizepräsidentin für Studium und Lehre an der Uni Mainz. Stark verloren hat etwa die Indogermanistik: 1997 gab es noch 22 Professuren an 23 Standorten, heute sind es 12,5 an 13 Standorten. Eine Professur fiel noch in den vergangenen vier Jahren weg – an der FU Berlin. Gestrichen wird auch bei der Sprachlehrforschung, hier wurden seit 1997 von einst neun Professuren sieben nicht wieder besetzt.

Eine dramatische Entwicklung, ist doch die indogermanische beziehungsweise indoeuropäische Sprachfamilie mit drei Milliarden Sprechern die weltweit reichste. Überhaupt handelt es sich bei den kleinen Fächern oft um Grundlagenfächer, die elementar für das Verständnis der Geistes- und Kulturgeschichte sind.

Fächersterben? So will es die Arbeitsstelle nicht sehen

Doch das Mainzer Team hält nichts vom Bild des „Aussterbens“. „Selbstverständlich sind das Einschnitte, die nicht übersehen werden dürfen. Aber wir sollten wissenschaftliches Wissen nicht als ‚festes Gut’ ansehen, sondern die prinzipielle Dynamik von Wissenschaft mitdenken“, sagt Mitarbeiterin Katharina Bahlmann, eine Kunsthistorikerin. Disziplinäre Forschung fände nicht nur dort statt, wo es eine ausgewiesene Professur oder ein Fachinstitut gibt. Vorbildlich sei etwa der Jenaer Indogermanist Martin Joachim Kümmel, der Lehrmodule aus seinem Fach in andere Studiengänge transferiere. So sei es ihm möglich, eine Handvoll Studierender genuin indogermanistisch auszubilden, gleichzeitig aber viele im interdisziplinären Diskurs. Dreyer verweist darauf, dass sich etwa die Kunstgeschichte insgesamt globaler aufgestellt habe. An regionalen Spezialgebieten festzuhalten, entspreche einem „Schubladendenken“.

Mitentscheidend ist auch das Desinteresse der Studierenden

Strategische Überlegungen dürften allerdings nur selten hinter den Streichungen stehen. Neben Sparzwängen kann auch die studentische Nachfrage entscheiden. Fächer in den historischen Geisteswissenschaften haben es heute schwerer, weil die Studienanfänger nur selten sprachliche Voraussetzungen wie das Große Latinum oder das Graecum mitbrächten, es also an der Uni nachholen müssten, sagt Dreyer. Nur wenige seien bereit, zusätzlich Altaramäisch oder andere alte Sprachen zu lernen. Doch je besser ein Fach sich vernetze, desto attraktiver sei es auch für Studierende. Das zeige das von der Uni Göttingen initiierte Projekt Pons. Darin erkennen Archäologie-Standorte gegenseitig Studienleistungen an, der Nachwuchs kann sich aus dem breiten Angebot an Spezialisierungen bedienen.

Wer genau hinschaut, kann Warnsignale sehen

Müsste eine Einrichtung, die die Entwicklung der kleinen Fächer verfolgt, nicht Alarm schlagen, wenn eine Professur vor der Streichung steht? Nein, die Arbeitsstelle sehe sich ausdrücklich nicht als Warnerin, sondern als wissenschaftliche Dokumentationsstelle, die Zahlenmaterial zusammenstellt, aus dem die Hochschulpolitik ihre Schlüsse ziehen könne, sagt Dreyer. Wer genau hinschaut, kann durchaus Warnsignale erkennen. Aus den Angaben zu den Uni-Standorten geht hervor, ob eine Stelle vakant ist, nachdem ihr letzter Inhaber in den Ruhestand verabschiedet wurde. So ist bei der Keltologie in Bonn, bei der Ukrainistik in Greifswald und beim Christlichen Orient in Halle noch nicht klar, ob die Professuren neu besetzt werden.

Auch wenn es für von Schließung bedrohte Institute wenig tröstlich ist: Andere Orchideen gedeihen vergleichsweise prächtig, auch dank politischer Konjunkturen. Hinzugewonnen haben etwa die Angewandte Sprachwissenschaft sowie die Islamische und die Ostasiatische Kunstgeschichte. Überhaupt wachsen die Regionalwissenschaften, insgesamt nahm die Zahl ihrer Professuren in den vergangenen 18 Jahren um 25 Prozent zu. Insbesondere profitieren die Disziplinen, die sich auf Asien beziehen: Die Zahl der Professuren in den Südasienstudien verdoppelte sich auf 13.

Unschärfen bei der Darstellung der Gender Studies

Zuwächse verzeichnet auch die Gender-Forschung – laut Dokumentation von 29,5 Stellen 1997 auf aktuell 56 Stellen. Dabei wird aber nicht zwischen der alleinigen Denomination einer Stelle und einem Schwerpunkt unterschieden, etwa durch Stellenbeschreibungen wie Neuere deutsche Literatur mit besonderer Berücksichtigung der Gender Studies. Die Arbeitsstelle gibt zu, dass bei ihren Zahlen Vorsicht geboten sei. Tatsächlich existieren bundesweit an Universitäten rund 140 Professuren mit Bezug auf Geschlechterforschung. Davon hat aber nur halbes Dutzend eine alleinige Gender-Denomination, zudem handelt es sich oft um Gastprofessuren oder befristete Stellen.

Jenseits von solchen Unschärfen der Kartierung gibt es ein Wechselspiel von Professuren und Standorten innerhalb der Fächer: Die Technikgeschichte etwa wurde 2011 in Aachen gestrichen, aber in Stuttgart neu eröffnet, die Mongolistik fiel in Bonn weg und bekam an der LMU München eine neue Stelle. Und etwa bei der Paläontologie, die 17 Professuren verloren hatte, scheint der Abbau vorerst gestoppt. „Insgesamt weitgehend stabil“ lautet deshalb das Fazit der Mainzer Arbeitsstelle zur Lage der kleinen Fächer.

Gleichwohl sind die kleinen Fächer gerade in Ostdeutschland weiter in Bedrängnis. Zwar dürfen die schon zur Schließung vorgesehene Theaterwissenschaft und die Archäologie in Leipzig unter der neuen Landesregierung wieder hoffen. Gleichzeitig aber gibt es Überlegungen, Archäologie-Standorte in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt zu einem Antikenzentrum zusammenzuführen. Beschlossen ist dies schon für die Medizingeschichte, die in einem „Mitteldeutschen Forschungszentrum“ konzentriert wird.

Steich-Uni Greifswald: Prostest ist wohl vergebens

Akut bedroht sind auch etliche Fächer an der Uni Greifswald, darunter nicht nur die Ukrainistik, sondern auch Musikwissenschaft, Baltistik und Slavistische Literaturwissenschaft. Professuren und Studierende fürchten um die Vielfalt an der Universität und in der Stadt. Ganz zu schweigen von dem Paradox, mitten in der Russland-Krise erneut Osteuropa-Kompetenz zu streichen. Gute Argumente – doch die Greifswalder Strukturkommission sieht sich gezwungen, den vom Land verordneten Stellenabbau zu vollziehen.

Andere Länder machen vor, dass es anders geht. Baden-Württemberg hat im März die mit einer Million Euro jährlich ausgestattete „Landesinitiative ,Kleine Fächer’“ gestartet. Das Land leistet sich eine eigene Forschungsstelle, die Unis im Umgang mit den empfindlichen Orchideen beraten soll. Auch Rheinland-Pfalz hegt sie über die Finanzierung der zentralen Arbeitsstelle hinaus. Sie erhalten eine fixe, von üblichen Kriterien wie der Zahl der Studierenden und der Absolventen unabhängige finanzielle Grundausstattung.

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