Wissenschaftsförderung: Wissenschaftler sollen frei arbeiten können
Der Dialog mit dem Nahen Osten ist wichtig — ein Gespräch mit dem Vorstand der Fritz Thyssen Stiftung Jürgen Chr. Regge.
Unter den privaten Wissenschaftsfördereinrichtungen in Deutschland zählt die Fritz Thyssen Stiftung zu den größten. Seit 1959 unterstützt sie weltweit vor allem geisteswissenschaftliche Forschung an Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen mit besonderer Berücksichtigung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Seit 2006 finanziert sie mit etwas mehr als zwei Millionen Euro das auf fünf Jahre angelegte Forschungsprogramm „Europa im Nahen Osten – der Nahe Osten in Europa“.
Herr Regge, welche Stellung nimmt die Finanzierung des Programms unter den von der Fritz Thyssen Stiftung geförderten geisteswissenschaftlichen Vorhaben ein?
Dieses Programm ist derzeit das größte Einzelprogramm der Stiftung. Normalerweise sind die Programme der Stiftung eher kleineren Typs und auf Projekte bezogen. Üblicherweise fördert sie zwei oder drei Jahre, aber ein Fünfjahresprogramm ist auch ein größeres Unterfangen für eine private Einrichtung. Wenn man in diesem Rahmen etwas erreichen will, muss man auch eine mittlere Dauer einplanen.
Unter anderem wird der Aufenthalt von Wissenschaftlern aus Ländern des Nahen Ostens in Berlin zu Forschungszwecken finanziert. Warum?
Nach der zweiten Intifada hat auch das Gespräch in den Wissenschaften zwischen Israelis und arabischen Staaten sehr gelitten. Es ist die Zivilgesellschaft, die unter der Situation am meisten leidet. Wissenschaftler sind Teil der Zivilgesellschaft. Sie sollten die Chance haben, das wissenschaftliche Arbeiten weiter betreiben zu können. Dazu gehört auch die Pflege internationaler Kontakte. Es ist, glaube ich, Aufgabe einer privaten Stiftung, diese Arbeiten zu unterstützen, immer dann, wenn Staaten nur unter großen Mühen fördern können, um nicht der Einflussnahme bezichtigt zu werden.
Die Fritz Thyssen Stiftung finanziert im Rahmen des Forschungsprogramms auch die Ausrichtung von Sommerschulen. Die erste fand 2006 in Beirut statt, kurz nach Aufhebung der Luftblockade. Warum dort?
Diese Sommerschulen sollen in der Region stattfinden, um möglichst vielen Wissenschaftlern aus den Ländern des Nahen Ostens auch die Teilnahme zu ermöglichen. Würde man das in Berlin machen, wäre es zweifelhaft, ob manche dieser Wissenschaftler die Reise nach Berlin unternehmen könnten. Beirut ist für die Stiftung auch ein Traditionsort. Dort hat die Stiftung seit den 60er Jahren den Aufbau des Orientinstituts intensiv gefördert.
Es gibt also noch andere Initiativen, die Sie in den Ländern des Nahen Ostens unterstützen?
Ja. Das Orientinstitut mit Sitz in Beirut und Istanbul ist ein Beispiel. Wir haben auch sehr intensiv in Jordanien gefördert. Wir unterstützen seit Gründung der Stiftung Aktivitäten in Israel. In der Archäologie sind wir in allen Ländern des Vorderen Orients vertreten. Die Unterstützung von Projekten im Nahen Osten findet man in einigen unserer Fördergebiete. So haben wir ein Programm Internationale Beziehungen, in dem auch unter Sicherheitsaspekten politikwissenschaftliche Arbeiten gefördert werden, wie beispielsweise die Arbeit der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Zu den drei Trägern des aktuellen Programms gehören neben der Stiftung das Wissenschaftskolleg zu Berlin und die Berlin – Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Gibt es so etwas wie eine Aufgabenverteilung?
Im Grundsatz dient das Projekt der Förderung der universitären Forschung. So arbeiten die Stipendiaten überwiegend an den einschlägigen Instituten der Freien Universität, die eigentlich als weiterer Partner des Programms genannt werden müsste. Das Wissenschaftskolleg und die Akademie sind außeruniversitäre wissenschaftliche Einrichtungen, die den Wissenschaftlern zusätzliche Instrumente für ihre Forschung aber auch für deren Verbreitung bereitstellen können.
Das erste akademische Jahr im Förderprogramm ist vorbei. Welche Erwartungen haben Sie?
Die Erwartungen sind natürlich auf wissenschaftliche Ergebnisse gerichtet. Wir haben erste positive Rückmeldungen. Die Erfolge der Stipendiaten werden sie ermutigen, die gewonnenen Kontakte nach ihrer Rückkehr in ihre Heimatländer weiter zu pflegen. Ich erhoffe mir, dass nach Abschluss des Akademiejahres dieses Programm wissenschaftlich noch weiter Fahrt aufnimmt. Die Vortragsveranstaltungen werden teilweise doch ein wenig schwach besucht. Dieses Programm muss Außenwirkung erzielen! Es soll signalisiert werden, dass auch unter dem Druck der politischen Verhältnisse wissenschaftliches Arbeiten möglich ist. Es ist wichtig, dass die Öffentlichkeit von diesen Initiativen weiß, weil sonst das Bild des Nahen Ostens überwiegend durch Schreckens- und Terrormeldungen geprägt würde.
Sind hier nicht auch Bund und Länder gefordert, sich finanziell langfristig in Vermittlungsprogrammen zu engagieren?
Es wäre wünschenswert, wenn das intensiviert werden könnte. Ich habe meine Zweifel. Ich glaube, dass die Programme nur sehr kurzfristig angelegt sind; dass sie, wenn sie abgeschlossen sind, dann in der Wirkung als abgeschlossen angesehen werden und man keine Beständigkeit der Förderung erwarten kann. Wenn sich etwas ändern soll, müssten auch die Voraussetzungen in den Universitäten stark verbessert werden. Es müssten mehr Regionalstudien vor allem mit Bezug auf den Islam und auf die Länder der Region entwickelt werden, statt sie zu schließen. Sonst wird man immer wieder projektförmig neu beginnen müssen. Private Stiftungen können das nicht leisten und können sich auf Dauer nicht für eine Aufgabe binden, wollen sie nicht ihre Flexibilität verlieren.
Das Gespräch führte Bettina Mittelstraß.
Zur Person:
Jürgen Chr. Regge, Studium Fachhochschule für Bibliothekswesen Köln, Studium der Rechtswissenschaften, seit 1974 in der Fritz Thyssen Stiftung tätig, seit 2002 im Vorstand
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