Universitärer Austausch in Zeiten von Covid-19: Wissenschaft kann man nicht alleine
Die Kluft wächst: Weltweit verbreitet sich die wissenschaftliche Not – die privilegierte deutsche Forschung ist gefordert.
Das französische Wort für staatlich verordnete Ausgangssperren lautet seit März 2020 „confinement“. Das ist ein alter, fast ausgestorbener Begriff, der Abkapselung meint und nach muffiger Luft riecht, in dem aber, wie zum Trost, sein Gegenteil miteingeschlossen ist: „confins“ nämlich, laut Wörterbuch „die weiteste Ferne, die äußerste Grenze, das Ende der Welt“.
Hier wohnen in einem einzigen Wort zwei gegensinnige Kräfte, der maximale Rückzug und der offene Horizont. Sie gehören zusammen und flüstern: Was die Sprache kann, werdet ihr Menschen auch schaffen!
Reduktion und Öffnung zugleich. Einschränkungen und Vernetzungen. Weniger und mehr. Gerade Universitäten sind aufgefordert, Wege aus der Isolation zu zeichnen.
Glückselige Forschung hier, zerkrachende Systeme dort
Ich meine nicht die Isolation von Forscherinnen und Forschern, Lehrkräften und Studierenden im deutschen Wissenschaftssystem. Innerhalb weniger Tage haben es Unis hierzulande geschafft, so jedenfalls in meiner Wahrnehmung, neue Kommunikationskanäle zu erproben, ganze Verwaltungen fürs Homeoffice zu begeistern, Verfahren wiederaufzunehmen, Lösungen zu finden, die elektronische Lehre zu einem fröhlichen Experiment zu machen und zusätzliche Millionen für die notwendige Covid-Forschung auszuschreiben.
Allein mein Institut erarbeitet derzeit drei internationale Großanträge simultan. Wir führen unbeschwert sozialdistanzierte Bewerbungsgespräche für eine feine Sache mit dem Pitt Rivers Museum in Oxford. Uns geht es gut manche meinen gar errötend: besser als je zuvor. Mehr Licht, mehr Luft. Wir bleiben zu Hause und wir schaffen das.
Doch wie fühlt es sich an, in einer Hochburg wissenschaftlicher Glückseligkeit zu sitzen, wenn da draußen in der Welt die Wissenschaftssysteme zusammenkrachen?
Wenn im Angesicht des Todes die seit Jahren unterernährten Universitäten in Frankreich, Italien oder – seit dem Brexit – Großbritannien ihre knappen Ressourcen nun für medizinische Studien mobilisieren müssen und andere Wissenschaftsbereiche dafür trockenlegen werden?
Den Dialog mit dem globalen Süden aufrechterhalten
Wie wollen wir Kolleginnen und Kollegen in Paris, Rom oder London erklären, dass wir zwar auch in Zukunft auf ihre Gedanken angewiesen sind und mit ihnen kooperieren möchten, deutsche Forschungsgelder in der Regel aber nur in Deutschland fließen dürfen?
Und wie werden wir den so guten und belebenden, erst vor Kurzem in Fahrt gekommenen Dialog mit Intellektuellen und Akademikern aus dem sogenannten globalen Süden fortsetzen und intensivieren, wenn Abschottung und Reisebarrieren für Jahre den Kontakt erschweren?
Mir fällt noch keine Antwort ein. Doch ich stelle mit Sorge fest, dass das Gefälle zwischen dem wissenschaftlichen Luxus hier und der sich verbreitenden universitären Not im europäischen Ausland und darüber hinaus immer schwerer auszuhalten ist.
Und dass Konferenzen im Netz nur gut sind, wenn man sich vorher kennt und alle Partner erschwingliches Internet und stabilen Strom haben. Dass in Paris, Oxford und Johannesburg unsere Kollegen derzeit nicht in der Lage sind, mit uns glücklichen Deutschen an Forschungsanträgen zu basteln, weil die Formen und Folgen der Pandemie dort tausend Mal brutaler sind als hier.
Lokalität und gleichzeitig Pflege reichhaltiger Beziehungen
Ich stelle außerdem fest, dass hierzulande die Schließung der Grenzen und die Mobilitätseinschränkungen den prekären wissenschaftlichen Nachwuchs, darunter viele junge Europäerinnen und Europäer, viel härter treffen als andere an der Universität.
Eine führende Wissenschaftsnation wie Deutschland, eine Stadt wie Berlin haben nichts davon, wenn in unmittelbarer Nachbarschaft historisch gewachsene Wissenschaftslandschaften aussterben oder covid-bedingt der Austausch mit Persönlichkeiten aus entfernten Regionen entfällt.
Wir sind aufgefordert, diese scheinbar gegensinnigen Dimensionen unseres Wirkens zusammenzudenken: Die erzwungene, heilversprechende Rückkoppelung ans Lokale auf der einen Seite. Die unerlässliche, großzügige Pflege reichhaltiger Beziehungen mit entfernten Wissenschaftsregionen auf der anderen Seite. Es geht ums Überleben. Wissenschaft kann man nicht alleine.
Bénédicte Savoy