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Der Macher. Ulrich Bleyer und sein Team lockten zwei Millionen Besucher ins Haus.
© DAVIDS/Sven Darmer

Interview mit dem scheidenden Urania-Chef Ulrich Bleyer: „Wissenschaft aus erster Hand“

1,3 pro Jahr – mit dieser Nobelpreisträgerquote nimmt Direktor Ulrich Bleyer seinen Abschied.

Zur „Verbreitung der Freude an der Naturerkenntnis“ wurde vor 130 Jahren in Berlin die „öffentliche Schaustätte“ Urania gegründet. In den vergangenen 23 Jahren mehrte der Physiker Ulrich Bleyer als Direktor diese Freude – und bekommt nun dafür die Urania-Medaille verliehen, pünktlich zur Pensionierung.

Herr Bleyer, alternative Fakten, Wissenschaftsskepsis, Technikfeindlichkeit – hat es die Wissenschaft heutzutage schwerer als zur Zeit der Urania-Gründung?

Damals gab es eine unglaubliche Dynamik in Preußen. In dieser Zeit entstand die Wissenschaft, so wie wir sie heute kennen. Aber es gab auch damals schon ein Defizit: Unwissen in der Bevölkerung. Das ist heute nicht viel besser, etwa wenn bei „Wer wird Millionär?“ niemand eine Antwort darauf weiß, wie groß der Durchmesser eines Kreises mit 3,14 Kilometern Umfang ist. Damals erkannten Wissenschaftler wie Hermann von Helmholtz und Industrielle wie Werner von Siemens, dass man die Menschen für Forschung interessieren muss, um solche Lücken zu schließen. Innerhalb von elf Monaten gründeten sie eine Organisation mit Sternwarten, Museen und Theater – das erste Science Center der Welt. Und das ist heute so nötig wie eh und je. Damals war es das Schienennetz, vor dessen Folgen die Leute Angst hatten. Heute ist es das Internet. Damals wurde in der Urania erklärt, was Gleich- und Wechselstrom ist, und diskutiert, wie die Städte elektrifiziert werden sollten. Nicht der kleine Mann wurde gedrängt, sein Wohnzimmer zu elektrifizieren, sondern zuerst wurden öffentliche Gebäude und Straßen beleuchtet. Daraus könnte man heute noch viel lernen für die Debatte um die Einführung der Elektromobilität.

Heute wird Wissenschaft in „Science Slams“ und „Elevator Pitches“ in wenigen Minuten erklärt, in der Urania gibt es lange Vorträge. Spüren Sie die Konkurrenz des schnelllebigen Formats?

In einer Stadt, in der es tausende von Veranstaltungen pro Tag gibt, muss man sein Programm ohnehin mit Selbstbewusstsein vertreten. Und die Leute kommen ja zu uns, zu tausend Veranstaltungen im Jahr. Natürlich spüren wir die Konkurrenz, aber das ist nur mehr Ansporn, uns anzupassen, ohne allerdings unsere Kernkompetenz aus den Augen zu verlieren: Wissenschaft aus erster Hand, live. Derjenige, der am Kernforschungszentrum CERN die Experimente macht, muss selbst davon erzählen. Es muss nicht immer der Beste oder Berühmteste sein, aber natürlich hilft Prominenz. Wir hatten in meiner Amtszeit 30 Vorträge von Nobelpreisträgern – mehr als einen pro Jahr. Unser Publikum und unsere Redner eint die Neugier, die Begeisterung für Wissenschaft. Und diesen persönlichen Touch kriegen sie von keiner Website, keiner App.

Wie stellen Sie sicher, dass Urania für Wissenschaft steht?

Das ist nicht immer einfach. Für unser eigenes Programm haben wir das selbst in der Hand, aber die Urania muss Räume vermieten, um Geld zu verdienen. Was da im Einzelnen gesprochen wird, können und wollen wir nicht kontrollieren. Wir sind kein Zensor. Solange sich jemand an die Gesetze hält und weder Fremdenfeindlichkeit noch Rassismus verbreitet, darf er auch seine Meinung äußern, ob sie mir nun gefällt oder nicht. Dafür sind wir kritisiert worden, aber das muss man aushalten.

Ein Beispiel?

Als der Moralphilosoph Peter Singer kam, gab es große Diskussionen, weil sein Standpunkt ist, dass man schwerbehinderte Kinder ohne moralische Bedenken noch Wochen nach der Geburt einschläfern könne. Die Urania hatte den Raum aber nur vermietet an eine Organisation, die ihm einen Preis für Tierschutz verleihen wollte. Seine Moralphilosophie wertet Tiere auf und stellt sie dem Menschen moralisch gleich. In diesem Fall haben wir dafür gesorgt, dass auch die Kritiker zu Wort kommen. Allerdings erlebt man dann auch merkwürdige neue Tendenzen in der öffentlichen Debatte dieser Gesellschaft. Etwa, dass alle Behindertenbeauftragten der Bundesparteien in irgendwelche Mikrophone sprechen, die Urania möge das absagen – nur mit mir selbst hat keiner von denen gesprochen.

Nun wird Ihre Zeit an der Urania bald enden, wie hat sie begonnen?

Für die Forscher der Akademie der Wissenschaften der DDR war es selbstverständlich, sich ehrenamtlich in der Urania zu engagieren. In allen großen Städten gab es Urania-Büros, die überall im Land Vorträge organisierten. Nach der Wende wurde das alles abgewickelt – aber das Interesse der Menschen an Wissenschaft blieb. Also gründeten wir neue „Urania“-Vereine, dort und an der West- Berliner Urania hielt ich Astronomie-Vorträge. Und 1995 wurde ich gefragt, ob ich die Leitung übernehmen wolle.

Ein „Ossi“, der kurz nach der Wende die Leitung einer West-Institution übernimmt.

Das war mutig vom Vorstand. Trotzdem begrüßten mich einige Vorstandsmitglieder mit den Worten: Das geht nicht – aus der DDR, ein Physiker ohne Latinum, hat von den Geschäftsbedingungen der Bundesrepublik keine Ahnung … Nun ja, nach 24 Jahren kann man dann wohl sagen: Geht doch!

Gab es ein persönliches Urania-Highlight?

Der Preis des Fleißes sind die vielen Begegnungen mit interessanten Menschen. Eine ganz besondere Situation war die Verleihung der Urania-Medaille an Hans-Dietrich Genscher, bei der Michail Gorbatschow die Laudatio hielt. Das war mit viel Organisation verbunden, aber die Dreiviertelstunde Gespräch mit Gorbatschow auf der Fahrt von der Urania bis nach Schönefeld, das nimmt ihnen keiner mehr.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Urania?

Wenn jemand fragt, ob Berlin eigentlich ein Science Center hat, dann ist die Antwort immer: Nein. Und das ist Blödsinn. Wenn man über die Stadt eine Glocke baut, dann hätte man mit den Sternwarten, dem Naturkundemuseum, der Urania, den Planetarien, dem Technikmuseum das größte Science Center der Welt. Wenn Berlin es schafft, diese Stätten zu vernetzen, dann wäre allen geholfen.

Das Gespräch führte Sascha Karberg.

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