Zukünftiger Esa-Chef Johann-Dietrich Wörner: „Wir wollen einen weiteren Astronauten“
Johann-Dietrich Wörner, der künftige Chef der europäischen Raumfahrtagentur Esa, im "Tagesspiegel"-Interview über Missionen zu Mond und Mars, Weltraumtourismus und die schwierige Kooperation mit Russland.
Herr Wörner, viele Länder planen Missionen zu Mond und Mars, die Europäer wollen nun gemeinsam mit Russland einen neuen Anlauf für eine robotische Landung wagen. Wann wird der erste europäische Astronaut zum Mond fliegen?
Europa liefert der Nasa ein Servicemodul für ihr neues „Orion“-Raumschiff, das 2018 einen weiteren Testflug absolvieren soll. Damit haben wir einen Fuß in der Tür. Ich habe erst vor wenigen Tagen in den USA erneut klargemacht, dass Europa nun nicht die Blaupausen dafür überreichen wird, sondern eine langfristige Kooperation sucht, sprich: weitere Module für künftige Orion-Flüge bauen möchte. Damit ergäbe sich die Möglichkeit, dass ein Europäer bei der geplanten Mondumrundung der Amerikaner in sieben Jahren dabei sein könnte.
Wird das Alexander Gerst sein?
Er hat große Chancen, noch mal ins All zu kommen. Ob zur Internationalen Raumstation ISS oder zum Mond, das wird sich zeigen. Wir wollen darüber hinaus einen weiteren deutschen Astronauten in das aktive Esa-Astronautenkorps einbringen. Alex ist jetzt 38, das ist kein Alter für den Job, aber wir müssen bereits heute an die Zukunft denken.
Wann wird die Suche nach Kandidaten beginnen?
Einen Zeitplan gibt es noch nicht. Wir haben das vom DLR aus angeregt und der amtierende Esa-Generaldirektor Jean-Jacques Dordain hat mir bestätigt, dass das Vorhaben von der Esa unterstützt wird. Das ist eines der Themen, die im nächsten Jahr wichtig werden.
Das Fernziel der bemannten Raumfahrt ist der Mars. Was soll die Menschheit dort? Die Roboter werden doch immer besser.
Das lässt sich ganz philosophisch beantworten: Der Mensch will einfach wissen, wie das Weltall aussieht, und er wird es sich nicht nehmen lassen, das auch persönlich zu überprüfen. Das gleiche Thema haben Sie, wenn Sie den Mount Everest besteigen oder in die Tiefsee vordringen oder die Polargebiete erkunden. Man kann genauso gut sagen, was will der Mensch in der Antarktis, dort kann man doch mit Robotern herumfahren. Aber offensichtlich ist es beim Menschen so, dass die Neugier eine unglaubliche Triebfeder ist.
Flüge ins Weltall sind um vieles aufwendiger.
Ja, aber Menschen können dort Dinge tun, die hier auf der Erde unmöglich sind. Schauen Sie sich nur die wissenschaftlichen Experimente an, die auf der Internationalen Raumstation (ISS) in der Schwerelosigkeit gemacht werden. Bei der Planetenerkundung gebe ich Ihnen recht, die wird auf absehbare Zeit Robotern vorbehalten bleiben. Weil wir Menschen nicht dorthin bringen können. Ich glaube aber, dass sich die robotische und die astronautische Raumfahrt langfristig nicht ausschließen, sondern ergänzen werden.
Beim Mars wird das lange dauern, Mitte der 2030er Jahre will die Nasa Astronauten dorthin bringen.
Ich glaube, das wird noch länger dauern, 30, 40 Jahre bestimmt. Damit das gelingt, muss man technologisch noch einen richtig großen Sprung nach vorn machen. Nach aller Erfahrung dauert das seine Zeit. Aber ich garantiere Ihnen: Der Mensch wird zum Mars fliegen, spätestens dann, wenn es hier auf der Erde zu warm ist.
Zurück zur Gegenwart: Die Esa, die Sie von Juli an führen werden, strebt über die ISS hinaus weitere Kooperationen mit Russland an. Inwiefern belastet die Ukrainekrise die Raumfahrt?
Es steht mir nicht an, die Konflikte in der Ukraine politisch zu bewerten. Aber ich kann sagen, dass wir es in der Wissenschaft und besonders in der Raumfahrt immer verstanden haben, zusammenzuarbeiten. Ich erinnere nur an die Kopplung von „Apollo“- und „Sojus“-Raumschiffen 1975, mitten im Kalten Krieg. Ich hoffe, dass uns das auch künftig gelingt.
Russland droht immer wieder, die Station 2020 zu verlassen und womöglich eine neue mit China zu bauen. Die USA und einige Europäer wollen bis 2024 weitermachen. Ist das nicht ein Konflikt?
Ich würde es nicht Konflikt nennen, da ist Gesprächsbedarf vorhanden, der durch die neuesten Äußerungen der Russen verstärkt wurde. Wir werden deshalb zu Beginn des nächsten Jahres die Kommunikation intensivieren.
Was ist Ihr wichtigstes Ziel für die vierjährige Amtszeit als Chef der Esa?
Ich möchte die Gesellschaft mehr einbeziehen. Oft war es so, dass Missionen geplant wurden und im Nachhinein haben wir erklärt, warum wir sie machen. Wir müssen die Bevölkerung und die Geldgeber aus der Politik stärker einbinden in die Frage, was wollen wir im Weltraum erreichen? Es klingt trivial, ist aber eine schwere Aufgabe, die Bedürfnisse der einzelnen Bürger und der Wissenschaftler aufzunehmen und daraus die richtigen Konsequenzen für unsere Arbeit abzuleiten. Das bedeutet aber auch, dass sich die Raumfahrt einem Paradigmenwechsel unterziehen muss. Dazu kommt der Fakt, dass der Tourismus eine größere Rolle spielt, ebenso die weitere Kommerzialisierung der Raumfahrt.
Unterstützen Sie Pläne für Weltraumtourismus, wie ihn etwa Richard Branson vorantreibt?
Ich brauche das gar nicht zu unterstützen, das kommt von ganz allein. Man muss nur ein wenig zurückschauen. Schiffe wurden gebaut, um Güter zu transportieren, heute gibt es zudem Kreuzfahrttourismus. Und das obwohl hin und wieder Katastrophen passieren.
Sie meinen das Unglück der „Costa Concordia“ vor drei Jahren. Auch Bransons „Space Ship Two“ stürzte bei einem Testflug im Herbst ab.
Das hat einige vorübergehend abgeschreckt, aber ich glaube trotzdem, dass die Gesellschaft, zumindest Teile davon, ein Bedürfnis danach hat. Noch sind die Kosten extrem hoch, aber das wird sich ändern. Nehmen wir den Flugverkehr. Anfangs war das etwas sehr Elitäres, heute fliegt fast jeder. Diese Entwicklung wird auch die Raumfahrt nehmen.
Das Interview führte Ralf Nestler.