40 Jahre Mondlandung: "Wir waren blauäugig und naiv"
Nasa-Manager Jesco von Puttkamer über den Wettlauf zum Mond und eine Rakete aus sechs Millionen Teilen
Wie sind Sie mit dem Apollo-Programm in Berührung gekommen?
Das ist nun 47 Jahre her. Ich war Student an der Technischen Hochschule in Aachen und überzeugt, dass die Raumfahrt eine Zukunftshoffnung darstellt. Deswegen wollte ich einen Beruf auf diesem Gebiet ergreifen, um irgendwie an dieser Evolution der Zivilisation mitzuarbeiten. So habe ich Maschinenbau studiert – Raketenbau war damals wegen des verlorenen Krieges und der alliierten Verbote noch nicht möglich – und einfach Wernher von Braun angeschrieben. Er hat mich dann 1961 eingeladen, nach Huntsville in Alabama zu kommen. Und 1962, als ich Diplomingenieur war, bin ich hinüber und seinem Team beigetreten. Da ging ja auch sofort das Apollo-Programm los. Präsident Kennedy hatte im Mai 1961 seine Nation in seiner berühmten Rede aufgefordert, Segel zu setzen und innerhalb des Jahrzehnts einen Menschen sicher zum Mond und zurückzubringen. Das empfanden wir als eine enorme Herausforderung.
Wussten Sie als Ingenieure, wie weit die Sowjets in Wirklichkeit mit ihrem Mondflugprogramm waren?
Als Ingenieure waren wir durch die Erstleistungen genauso wie die Öffentlichkeit schockiert. Die Geheimdienste haben niemanden hinter die Kulissen blicken lassen können, weil sie es selbst nicht besser wussten. Die sowjetische Abwehr der US-Spionage war recht gut. Man hat nicht von ungefähr das heutige Baikonur als Startplatz gewählt, eine Gegend, wo auf Hunderte von Kilometer niemand Fremdes in die Nähe kam. Die wenigen Informationen, die wir hatten, kamen von den extrem hoch fliegenden Spionageflugzeugen des Typs U2 und den Spionagesatelliten des Typs Corona. Und dann war da noch die sowjetische Propaganda, die hervorragend war und funktionierte. Sie wurde einfach geglaubt.
Aber so wurden die USA ganz schön angetrieben ...
Sicher: Wenn man daran denkt, dass wir von der in Huntsville entwickelten Saturn-V-Rakete 15 produzierten und schon auf der dritten Menschen flogen, dann wird klar, wie stark wir unter Druck standen. Aber es zeigt auch, wie präzise wir gearbeitet haben und wie viel Vertrauen wir in diese äußerst komplexe Maschine mit mehr als sechs Millionen Einzelteilen hatten. Wir nahmen diesen Wettlauf wirklich ernst. Wenn man daran heute zurückdenkt und sieht, wie vorsichtig wir in unserer Zeit auf allen Gebieten geworden sind, dann kann man nur den Kopf schütteln. Wir waren, ehrlich gesagt, blauäugig und naiv in vielen Dingen, weil wir an unser Können glaubten und es dadurch auch schafften.
Waren von Braun die gewaltigen Dimensionen der Mondrakete und der notwendigen Infrastruktur bewusst?
Sicher, man hat das halt riskiert. Man hatte Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und in die eigenen Stärken. Die Träger wurden immer größer. Es wurden Flugerprobungstests durchgeführt, die zeigten, dass man auf dem richtigen Weg war. Wir haben sehr, sehr viel Geld in Bodenversuchsanlagen gesteckt. Es war eine von Wernher von Brauns Vorbedingungen, ja seine Hauptforderung, dass nichts fliegen darf, das nicht gründlich am Boden getestet worden war. Und so wurden am Boden zum Beispiel die riesigen Triebwerkteststände gebaut - gewaltige Anlagen, fast so hoch wie die Pyramiden. Hier wurden die ganzen Triebwerke in Stufenform gebündelt und gründlich getestet.
Diese Teststände waren dann ja wohl auch ein erheblicher Vorteil gegenüber den Sowjets.
Als man sich später dann wirklich im Wettrennen mit den Sowjets befand und die Russen versuchten, eine ebenso große Rakete zu bauen, die N1, scheiterten sie, weil sie sich aus finanziellen Gründen diese großen Bodentestanlagen nicht leisten konnten. So flog die N1 im Jahre 1969 zum ersten Mal praktisch ungetestet, worauf sie dann nach 69 Sekunden auch explodierte.
Die Nasa war sich zu Anfang nicht über die Art des Mondfluges im Klaren, oder?
Man diskutierte drei Möglichkeiten. Die erste bestand darin, eine Großrakete zu bauen, die direkt von der Erde startete, zum Mond flog und wieder zur Erde zurückkehrte. Die zweite war, dass mehrere Saturn V in eine Erdumlaufbahn gestartet werden und dort das Mondfahrzeug zusammengebaut wird. Wir nannten dieses Verfahren EOR, Earth Orbit Rendezvous. Die dritte Möglichkeit war, dass man zum Mond flog, dort nur einen Teil des Raumschiffs - eine Art Fähre - landen und wieder starten ließ, um dann mit dem Apollo-Raumschiff zurückzukehren. Das nannte man LOR, Lunar Orbit Rendezvous. Es wurde also hin und her überlegt. Man hat sich dann für das LOR entschieden. Die beiden anderen wären teurer gewesen und hätten mehr Zeit gekostet.
Solch eine Saturn V war ja ein langes Gerät. Wie verhinderte man, dass sie im Flug auseinanderbricht, und vor allem: Wie wurde man mit dem Schwappen des Treibstoffes während des Fluges fertig?
Man muss eine Schwingungsanalyse vornehmen. Denn eine Saturn V ist kein starrer Bleistift, sondern ein sehr elastischer Körper, der viele Schwingungsformen annimmt. Man muss nun versuchen herauszubekommen, was die Eigenfrequenz dieser 110 Meter hohen Rakete ist, damit man nicht im Inneren ähnliche Frequenzen durch Triebwerke erzeugt, die dann durch Resonanz das Ganze aufschaukeln. Das heißt: Wenn die Turbopumpen in den Triebwerken eine bestimmte Umdrehungszahl haben, dann erzeugen sie Vibrationen von ganz bestimmten Frequenzen. Wenn die Rakete nun in diesem Frequenzbereich sensitiv ist, können sie angestoßen werden – das nennt man Resonanz – und sie schaukeln sich dann hoch, so dass schließlich die Rakete auseinanderbricht.
Wie wurde das getestet?
Wir mussten einen neuen Teststand bauen, einen 120 Meter hohen Turm, der auch heute noch in Huntsville steht. Dort hat man die gesamte Saturn V in voller Länge hineingehängt, am Heck ruhte sie in einem Quecksilberbad. Die Rakete wurde dann durch Schallwellen aus akustischen Lautsprechern in Bewegung gesetzt. Auf diese Weise hat man messen können, welches die natürlichen Schwingungen sind, auf die die Rakete reagiert. Wir haben dann festgestellt, dass das gesamte Pumpen- und Leitungssystem der ersten Saturn-V-Stufe – das sind ja riesige Rohre gewesen – durch die Turbopumpen angeregt wurden und die Triebwerke in Längsschwingungen gerieten, so dass sie die Rakete auf- und abbewegten. Das mussten wir dann verhindern, indem wir Dämpfer einbauten, also Hohlräume in diese Leitungen.
Könnte man die Saturn V heute wieder bauen? Man bräuchte doch nur die alten Pläne aus den Schubladen zu ziehen.
Das wäre viel zu teuer. Die ganzen Werkzeugmaschinen existieren nicht mehr. Die Zulieferfirmen sind ihre eigenen Wege gegangen, haben sich neu orientiert. Es müsste völlig von vorn begonnen werden. Man würde es nicht einfach übernehmen, sondern es völlig mit modernen Methoden neu durchrechnen und konstruieren. Man würde unsichere Dinge, die damals nicht bekannt waren, beseitigen müssen. Es würde also letztlich eine vollkommen neue Rakete entstehen, aus neuen Werkstoffen und vor allem einer neuen Elektronik, die es damals noch nicht gab; mit neuen Triebwerken, die leistungsfähiger und dabei leichter aber auch leiser sind. Es wäre vollkommener Unsinn, wollte man die alten Triebwerke nachbauen.
Wenn Sie Saturn V in der Raumfahrtgeschichte werten sollen, wie würde das ausfallen?
Mal von der Größe und Leistungsfähigkeit abgesehen, möchte ich vor allem die Zuverlässigkeit hervorheben. Das war ursprünglich bei der theoretischen Analyse dieses ganzen Mondprojekts nicht für möglich gehalten worden; und das haben eben Leute wie Wernher von Braun und seine Spezialisten doch hinbekommen, indem sie sich mit Wahrscheinlichkeitsrechnungen befassten, sie sich überlegten, was nötig wäre, um solch eine Riesenrakete mit Millionen von Einzelteilen zu bauen, die so sicher ist, dass man sich darauf verlassen kann. Von den dreizehn Saturn V, die geflogen sind, ist keine einzige irgendwie verloren gegangen. So etwas hat es bis heute nicht gegeben.
Das Gespräch führte Bernhard Mackowiak.
JESCO VON PUTTKAMER (75), Ingenieur und Buchautor, ging 1963 in die USA und arbeitete im Team von Wernher von Braun am Apollo-Programm, später am Space-Shuttle.