Verlage und Open Access: „Wir unterstützen freien Zugang zur Forschung“
Wissenschaftsverlage stehen wegen ihrer teuren Zeitschriften in der Kritik. Angelika Lex, Vizepräsidentin des Elsevier-Verlags, verteidigt im Gespräch die Preise und begründet sie mit der aufwendigen Aufbereitung von Forschungsmaterial.
Frau Lex, Elsevier ist einer der renommiertesten wissenschaftlichen Verlage der Welt. Aber als der britische Mathematiker Timothy Gowers letztes Jahr zu einem Totalboykott Ihrer 2500 Zeitschriften aufrief, schlossen sich tausende Wissenschaftler an. Warum stehen Sie derart in der Kritik?
Das hat sicher damit zu tun, dass wir in der Vergangenheit zu wenig mit der wissenschaftlichen Community kommuniziert haben. Seit dem Boykottaufruf haben wir viele persönliche Gespräche geführt und Veranstaltungen organisiert, um besser zu verstehen, woher die Kritik kommt. Und um den Mehrwert von wissenschaftlichen Verlagen wie Elsevier zu erklären. Denn viele Vorwürfe basieren auf Missverständnissen.
Die Vorwürfe lauten: Die Preise für Ihre Fachzeitschriften, die vor allem von Universitäten abonniert werden, seien massiv überteuert. Teilweise müssen die Bibliotheken pro Jahr und Titel fünfstellige Beträge zahlen.
Natürlich haben wir große Zeitschriften, die viel kosten. Aber wenn man die Preissetzung pro Artikel vergleicht, dann befindet sich Elsevier im Vergleich zu anderen wissenschaftlichen Verlagen weltweit im unteren Viertel. In der Mathematik, aus der die meiste Kritik kam, haben wir die Preise einiger Journale gesenkt und den Preis außerdem mittlerweile auf 11 Dollar pro Artikel justiert.
Warum sind wissenschaftliche Zeitschriften überhaupt so teuer? Die Autoren erhalten kein Honorar, die Wissenschaftler, die die Qualitätskontrolle, die sogenannte „Peer Review“ übernehmen, ebenfalls nicht.
Wir bekommen bei Elsevier sehr viel mehr Einsendungen, als Artikel gedruckt werden, insgesamt sind es rund eine Million Einreichungen jährlich. Davon publizieren wir rund 350 000 Artikel. Zeitschriften wie „Cell“ oder „The Lancet“ haben Ablehnungsraten von 95 bis 96 Prozent. Dieser ganze Prozess der Qualitätsprüfung muss organisiert und gemanagt werden, damit eine hochqualitative Publikation schnell und effizient publiziert werden kann. Außerdem investieren wir viel Geld in innovative digitale Neuentwicklungen.
Elsevier und andere wissenschaftliche Fachverlage haben aber auch jahrzehntelang hohe Renditen eingefahren – auch indem sie die Preise für Zeitschriften in die Höhe getrieben haben. War das eine Blase, die irgendwann platzen musste?
Es gab vor allem in den siebziger bis neunziger Jahren enorme Preissteigerungen. Elsevier hat sich aber Anfang 2000 ganz bewusst von diesen Preissteigerungen verabschiedet. Andere Verlage haben seit 2000 deutlich höhere Preissteigerungen als Elsevier vorgenommen.
Sie sprachen von innovativen Neuentwicklungen. Meinen Sie damit wissenschaftliche Datenbanken?
Das sind zum einen Datenbanken, aber auch generell die Digitalisierung von Informationen. Online-Publikationen ermöglichen neue Formate, zum Beispiel die Verknüpfung von Forschungsliteratur mit Primärdaten. Wenn Sie einen Artikel lesen, dann können Sie mit einem Klick direkt auf die Primärdaten zurückgreifen. Wir arbeiten in enger Partnerschaft mit Institutionen, die ebenfalls Datenbanken betreiben und verlinken uns untereinander. Unser Ziel ist es, Wissenschaftler zu unterstützen, dass sie schneller und effektiver forschen können.
Das klingt gut. Aber umgekehrt betreiben viele Verlage politische Lobbyarbeit, um digitale Zugänge immer weiter zu beschränken. Ein Beispiel sind die digitalen Semesterapparate, die einige Verlage den Universitäten untersagen möchten. Mit freiem Flow des Wissens hat das nicht viel zu tun.
Das muss man differenzierter sehen. Auf der einen Seite betreibt Elsevier, wie die meisten anderen wissenschaftlichen Verlage auch, eine sehr liberale Veröffentlichungspolitik bei Zeitschriftenartikeln. Wissenschaftler dürfen ihre bei Elsevier erschienenen Artikel mit anderen teilen, sie verschicken, die Autorenversion auf ihre Webseite oder auf die Webseite ihrer Universität stellen. Anders sieht das bei Exzerpten aus Büchern aus – und um die geht es ja bei den Semesterapparaten.
Die Digitalisierung der Bibliotheken schreitet voran, aber Studierende werden dazu gezwungen, sich umständlich Papierkopien zu besorgen? Das wird doch irgendwann absurd.
Wir hängen zurzeit zwischen einer Printwelt und einer digitalen Welt. Die digitale Welt bietet unheimlich viele Möglichkeiten. Die Frage ist nur, wie wir das komplexe Ökosystem der Wissenschaft so weiterentwickeln können, dass es allen Vorteile bietet. Dazu gehört natürlich auch der Student, der an seiner Universität so effizient wie möglich arbeiten will. Deshalb ist es wichtig, dass sich alle Beteiligten an einem Tisch setzen.
Die Forderungen vieler Wissenschaftler gehen längst über Runde Tische hinaus. Vom Staat finanzierte Forschung sollte grundsätzlich frei zugänglich sein.
Elsevier hat schon vor einigen Jahren angefangen, im Open-Access-Bereich aktiv zu werden. Wir denken aber auch, dass es bei unterschiedlichen Nutzergruppen unterschiedliche Bedürfnisse gibt. Deshalb bieten wir für viele Zeitschriften weiterhin das Subskriptionsmodell an. Wir haben aber auch schon 33 Golden-Open-Access-Zeitschriften im Programm.
Hinter der Formulierung „Golden Open Access“ versteckt sich ein neues Geschäftsmodell: Wissenschaftler zahlen dem Verlag Geld, damit der Artikel später für die Öffentlichkeit frei zugänglich ist. Ist das nicht eine Mogelpackung?
Die Forderung, dass öffentlich geförderte Forschung frei zugänglich sein soll, unterstützen wir voll und ganz. Nur wie setzt man das konkret um? Forschung und Publikation sind zwei unterschiedliche Prozesse. Um aus rohem Forschungsmaterial publizierbare Texte zu machen, braucht es bestimmte Qualitätsmechanismen. Da kommt der Mehrwert des Verlags hinzu. Der Verlag sorgt auch dafür, dass es eine anerkannte Version der Forschungsarbeit gibt, die als Referenz benutzt werden kann. Und dass diese Version auch in 100 Jahren in einem entsprechenden Archiv verlässlich zur Verfügung steht. Im Subskriptionsmodell zahlt der Leser für diese Leistungen des Verlags, im Open-Access-Modell zahlt der Autor.
Das Wissen kann also Ihrer Meinung nach nie ganz umsonst sein?
Es ist heute schon möglich, alle erdenklichen Inhalte ins Netz zu stellen. Nur wie können Sie als Nutzer dann sicher sein, dass Sie Informationen finden, auf die Sie sich verlassen können? Für Mediziner zum Beispiel ist es absolut lebenswichtig, verlässliche Daten vorzufinden.
Astrid Herbold
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