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Das Leistungsniveau steigt.
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Deutsche Grundschulen: „Wir können noch zulegen“

Nach den neuen Grundschul-Studien: Wilfried Bos, der Leiter von Iglu und Timss, erklärt im Tagesspiegel-Interview, wie die Grundschule noch besser wird - und warum es keinen Grund gibt, Kinder auf eine Privatschule zu schicken.

Herr Bos, im Vergleich von Iglu 2001 zu Iglu 2006 hatte sich der Schnitt der deutschen Grundschüler im Lesen verbessert. Nun liegt er wieder auf dem Niveau von 2001. In Mathematik und in den Naturwissenschaften gibt es im Schnitt eine Stagnation. Warum haben die Schüler nicht weiter zugelegt?

Stagnation sehe ich nicht. Deutschland hat seinen Platz im oberen Drittel gehalten, obwohl mittlerweile 25 Prozent mehr Kinder mit Migrationshintergrund in den Schulen sind als noch im Jahr 2001. Das ist schon eine Leistung. Das heißt aber nicht, dass wir nicht noch zulegen können.

Schon in den früheren Studien wurden Defizite bei der Förderung der stärksten und der schwächsten Schüler festgestellt, diesmal wieder. Hat die Politik nicht genug getan, um die Lehrkräfte noch kompetenter in der Binnendifferenzierung zu machen?

In der Grundschule können die Lehrer mit der Heterogenität der Schüler ja einigermaßen umgehen, sonst hätten wir die guten Ergebnisse ja nicht. Aber natürlich kann die individuelle Förderung noch verbessert werden, wenn die Lehrer noch besser geschult werden. Ein bisschen gehört es auch zum pädagogischen Ethos in Deutschland, sich stärker um die Schwachen als um die Starken zu kümmern. Wir Pädagogen sind ja alle ein bisschen Robin Hood. Bei den Schwachen, nämlich bei den Migranten, hat sich ja auch viel bewegt. Aber angesichts des drohenden Fachkräftemangels können wir es uns nicht leisten, die Stärksten nicht richtig zu fördern.

Wie machen die Lehrer das in erfolgreicheren Ländern?

Wilfried Bos ist Professor für Bildungsforschung und Qualitätssicherung an der TU Dortmund und leitet die Iglu-/Tims-Studien in Deutschland.
Wilfried Bos ist Professor für Bildungsforschung und Qualitätssicherung an der TU Dortmund und leitet die Iglu-/Tims-Studien in Deutschland.
© dpa

In diesen Ländern sind die Klassen zwar oft etwas größer, sie haben eher 25 oder 26 Kinder als 21 wie bei uns. Aber dafür können sie sich zusätzlich Sonderlehrer leisten, die sich mal um die drei Schwächsten, mal um die Stärksten kümmern können. Es wird nicht alles in den Klassenlehrer gesteckt, das hilft der Differenzierung erheblich. Das wäre in Deutschland auch möglich, wenn man das Personal, das durch den Schülerrückgang frei wird, in den Schulen lässt.

Sind die deutschen Lehrer der Herausforderung gewachsen, nun auch noch die Inklusion (lern-)behinderter Schüler bewältigen zu müssen?

Nein. Dafür müssen die Lehrer intensiv geschult werden, wir brauchen dazu große Schulentwicklungsprogramme. Dass es gut funktionieren kann, sieht man an Modellen, die wir in Deutschland haben. Man muss vor der Inklusion also keine Angst haben.

Die Grundschulen können mit der Heterogenität ganz gut umgehen. Wie ist es bei den Oberschulen?

Die tun sich damit traditionell etwas schwerer. Die deutschen Gymnasiallehrer sind fachlich exzellent ausgebildet, das ist ein großes Pfund. Aber sie gehen oft zu Unrecht davon aus, dass sie eine homogene Schülerschaft haben. Das entspricht auch ihrer Ausbildung, in der sie auf Heterogenität nicht vorbereitet werden. Das heißt aber nicht, dass die Gymnasiallehrer nicht willig sind.

Manche bildungsbürgerliche Eltern möchten, dass ihr Kind unter Mitschülern mit dem gleichen Hintergrund lernt und schicken es darum auf eine Privatschule. Halten Sie das für nachvollziehbar oder mit Blick auf die insgesamt guten Ergebnisse bei Iglu und Timss für übertrieben?

Im Einzelfall ist es sicher nachvollziehbar, aber an sich halte ich das persönlich für übertrieben. Unsere Grundschule ist gut. Im Prinzip gibt es keinen Grund, seine Kinder auf eine Privatschule zu schicken.

Die großen Schulstudien stehen wie die Bildungsstandards auch in der Kritik. Es herrscht die Sorge, es gebe zunehmend ein „teaching to the test“ in den betroffenen Fächern. Und Gebiete wie Kunst, Musik oder Sozialkunde, die nicht getestet werden, könnten in der Lehrerausbildung und im Unterricht hinten runter fallen. Sehen Sie auch negative Effekte der Studien?

Es gibt keine Medizin ohne Nebenwirkungen. Aber große Angst muss man davor nicht haben. Davon, dass die anderen Fächer in den Lehrplänen reduziert werden, habe ich noch nichts mitbekommen.

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