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Gut gewappnet. Mit der neu entwickelten Software lässt sich etwa vorhersagen, ob es 2025 bei uns wärmer oder nasser sein wird.
© picture alliance/die KLEINERT.de /Thomas Kuhlenbe

Klimaforschung: Wie wird das Wetter in zehn Jahren?

Meteorologen der Freien Universität waren an der Entwicklung eines Prototyps zur mittelfristigen Klimaprognose beteiligt.

Die Fragen, ob morgen der Wintermantel gegen die Übergangsjacke getauscht werden kann, ob ein Regenschirm eine gute Idee ist oder der Arbeitsweg besser mit Rad oder Bahn angetreten werden sollte, beantworten die Wetterberichte bereits hinreichend und – je kurzfristiger, desto besser – auch mit großer Sicherheit. Doch es sind nicht die einzigen Fragen, die von Belang sind. Viel geforscht wird auch zu dem Aspekt, wie sich das Klima in den nächsten Jahrhunderten insgesamt verändern wird, wo es wärmer wird, wie sehr der Meeresspiegel steigen und in welchen Regionen die Anzahl von Wetterextremen zunehmen könnte.

Zwischen den Kurz- und Langzeitprognosen klafft allerdings derzeit eine große Lücke: Mittelfristige Vorhersagen – in der Größenordnung von zehn Jahren – sind bisher kaum möglich. Gerade sie sind aber für Wirtschaft, Medizin und Politik sehr wichtig. „Denken Sie nur an den Energiesektor: Brauchen wir mehr oder weniger Windkraft- und Solaranlagen, und wenn wir mehr brauchen, dann wo? Wie viel Energie wird wann an welchen Orten erzeugt?“, sagt Ulrich Cubasch, Professor für Meteorologie an der Freien Universität Berlin.

Zusammen mit vielen Kolleginnen und Kollegen schließt er gerade die zweite Phase des Projekts „Mittelfristige Klimaprognosen“ (MiKlip) ab, das vom Bundesforschungsministerium mit fast 40 Millionen Euro finanziert wird. Die Wissenschaftler-Teams erforschen, ob verlässliche Vorhersagen für die nächsten zehn Jahre möglich sind. In einer ersten Phase, die 2015 endete, hat sich bereits gezeigt, dass das mit den heute verfügbaren Daten durchaus machbar ist. Ziel der jetzt endenden zweiten Phase war es, einen Software-Prototyp für solche Vorhersagen zu erstellen und ihn dem Deutschen Wetterdienst zur Verfügung zu stellen.

Versicherungen passen anhand der Vorhersagen ihre Prämien an

Zwei der fünf Forschungsbereiche des Projektes werden an der Freien Universität koordiniert. Dort arbeiten mehr als ein Dutzend Forscherinnen und Forscher an MiKlip. „Natürlich werden wir nie sagen können, wie warm es an einem bestimmten Tag im Jahr 2025 sein wird und ob dann die Sonne scheint oder es regnet“, sagt Cubasch, „aber wir können sagen, um wie viel Grad es im Durchschnitt wärmer wird, wie sich die Niederschlagsgebiete verschieben, und wir können die Veränderungen des Golfstroms vorhersagen.“ Die Nachfrage nach solchen Prognosen sei groß, versichert Cubasch, der auch Mitglied im Weltklimarat der Vereinten Nationen ist: Versicherungen etwa passten ihre Prämien an die Wahrscheinlichkeit von großen Stürmen oder starken Regenfällen an. Landwirte wollten wissen, ob sie künftig besser Pflanzen anbauen, bei denen es mehr auf Dürreresistenz ankommt als auf Winterhärte. Reedereien wüssten gern, wann die Arktis wo schiffbar ist, Krankenhäuser müssten sich möglicherweise auf Hitzeperioden und die damit verbundenen Kreislaufprobleme einstellen.

Um eine verlässliche Zehn-Jahres-Prognose, auch „dekadische Vorhersage“ genannt, erstellen zu können, entwickelten die Forscherinnen und Forscher ein mathematisches Modell, das mit sehr vielen Daten gefüttert wird. Die Daten stammen von Wetterballons, Satelliten und unzähligen Sensoren, vor allem in den Ozeanen. Dort schwimmen mittlerweile sehr viele solcher Mess-Bojen. Auch solche, die tauchen, unter Wasser Strömungen und Temperaturen messen, dann in regelmäßigen Abständen emporkommen und ihre Ergebnisse an Satelliten senden. Auch viele Handelsschiffe erstellen Messungen, die zu dem riesigen Datensatz beitragen, auf den die Klimaforscher zugreifen können. Jetzt, zum Ende des Projekts, ist nicht nur das Modell erstellt, sondern auch der Software-Prototyp.

„Wir haben testweise zurückliegende Jahre durchgerechnet, etwa die Zeit von 1961 bis 2013 – und die Ergebnisse stimmten mit der Realität sehr gut überein“, sagt Ulrich Cubasch. „Dabei haben wir viel gelernt, insbesondere, wie wichtig die Ozeane für eine zutreffende Prognose sind.“ Erst seit etwa zehn Jahren seien genügend Daten und eine ausreichende Rechenleistung verfügbar, um die Ozeane einbeziehen zu können. Seither, sagt der Klimaexperte, habe die Entwicklung von Prognosemodellen einen Sprung gemacht.

Der Deutsche Wetterdienst will die Software für seine Arbeit nutzen

Der im MiKlip-Projekt neu entwickelte Prototyp soll nun vom Deutschen Wetterdienst für mittelfristige Prognosen genutzt werden. Die Forschungsergebnisse würden veröffentlicht, aber wegen des immensen Rechenaufwandes werde wohl nur der Wetterdienst die Programme einsetzen, sagt Cubasch. „Eine Versicherung oder ein Landwirtschaftsbetrieb werden sich diesen Aufwand nicht leisten wollen oder können; sie nutzen lieber die Prognosen der Dienste.“

MiKlip ist demnach auf der Zielgeraden. Eine erste Testvorhersage für den Zeitraum 2018 bis 2027 wird unter www.fona-miklip.de bereits angeboten. Ende Mai findet die abschließende Konferenz im Harnack-Haus der Max-Planck- Gesellschaft in Berlin-Dahlem statt. Zu diesem Zeitpunkt werde der Deutsche Wetterdienst die Software möglicherweise schon in einer Pilotphase im Einsatz haben, rechnet Ulrich Cubasch.

Die entscheidenden Fragen seien nun, ob das Interesse aus der Wirtschaft für die dekadische Prognose wirklich existiere und ob es groß genug sei, dass der Wetterdienst mit diesen Prognosen Geld verdiene. Dass sich ein einzelnes Unternehmen die nötige Rechenkraft und die Software selbst installiere, hält er für unwahrscheinlich; deshalb war der Wetterdienst auch von Anfang an am Forschungsprojekt beteiligt. Nur dort sitzen auch Klimaspezialisten, die solche Modellierungen überhaupt seriös betreiben können. „Es wäre wirklich bedauerlich, wenn das Ergebnis von so viel Arbeit in der Schublade endete“, sagt der Meteorologe. Der wissenschaftliche Gewinn sei aber bereits jetzt immens und unverzichtbar.

Sven Lebort

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