Schultest "Vera": Wie Vergleichen glücklich macht
Der Schultest „Vera“ ist umstritten. Ein Problem ist: Es gibt keine verbindlichen Richtlinien dafür, was genau die Schüler können müssen. Was der Test bringt – und was nicht.
Hat Sören Kierkegaard recht? Der dänische Philosoph behauptete vor rund 160 Jahren: „Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit.“ Viele Schüler, Lehrer und Eltern würden Kierkegaard wohl zustimmen. Die Vergleichsarbeiten (VERA), die Jahr für Jahr in Grund- und Oberschulen in ganz Deutschland geschrieben werden, sind umstritten. Auch bei einer Debatte an der Freien Universität im Rahmen der Reihe „Lauben-Lectures“ des Zentrums für Lehrerbildung wurde leidenschaftlich darüber diskutiert.
Seit vier Jahren schreiben alle Schüler der dritten und achten Jahrgangsstufen an einem bestimmten Tag in einem bestimmten Fach dieselbe Arbeit. Die Achtklässler in diesem Jahr in der ersten Fremdsprache und in Mathematik, die Drittklässler in Deutsch und Mathe.
Ein großes Problem dieser Arbeiten erläuterte Holger Gärtner vom Institut für Schulqualität der Länder Berlin und Brandenburg (ISQ): Es gibt keine verbindlichen Richtlinien dafür, was genau die Schüler können müssen. Zwar hat die Kultusministerkonferenz einheitliche Bildungsstandards für alle 16 Länder formuliert – aber nur für die vierte und für die zehnte Jahrgangsstufe. An diesen eigentlich zu hoch angesetzten Standards orientieren sich die VERA-Aufgaben für die Klassen 3 und 8. Denn bis zum Abschluss der Grundschule oder der Sekundarstufe I soll noch genügend Zeit sein, fehlende Fähigkeiten zu üben. „Ich sage deshalb vor der Vergleichsarbeit meinen Schülern: Ihr müsst nicht alle Aufgaben lösen – manche Themen haben wir ja noch gar nicht besprochen“, berichtete Gundula Meiering, Lehrerin an der Joan-Miró-Grundschule in Charlottenburg.
In der Tat sehen die Aufgaben bei VERA anders aus als in üblichen Klassenarbeiten: Nicht nur, dass Themen vorkommen, die im Unterricht noch gar nicht dran waren. Die Tests enthalten zudem viele ungewohnte Multiple-Choice-Aufgaben, und auch bei den offenen Fragen ist nur wenig Platz zum Antworten. In der Auswertung, die die Lehrer für ihre Schüler selbst vornehmen, gibt es fast immer nur die Möglichkeiten „richtig“, „falsch“ und „nicht bearbeitet“. Besonders Fachdidaktiker der geisteswissenschaftlichen Fächer kritisieren deshalb, dass VERA wesentliche Kompetenzen der Schüler gar nicht erfassen könne: etwa die Fähigkeit zur differenzierten Interpretation eines Textes oder die ethische Urteilsbildung.
In der Diskussion zum Vortrag von Gärtner und Meiering gab es noch mehr Kritik: Wenn die Ergebnisse der Vergleichsarbeiten in einem Schulranking öffentlich gemacht würden, wie es der frühere Berliner Bildungssenator Jürgen Zöllner einst angeregt hat, dann sei damit zu rechnen, dass die Lehrer reihenweise die Ergebnisse ihrer Schüler fälschen – „und genau das würde ich den Lehrern dann auch raten“, rief ein Zuhörer.
Meiering und Gärtner werben trotzdem dafür, die Vergleichsarbeiten als Chance zu begreifen: „Wenn die Aufgaben bewertet sind, fängt die eigentliche Arbeit erst an.“ Dann könnten bisherige Ziele und Methoden des Unterrichts gemeinsam mit den Lehrerkollegen hinterfragt werden und man könne den Unterricht nachhaltig verbessern. Außerdem seien die Kriterien für die Bewertung von Schülerleistungen noch nie so transparent gewesen wie heute.
Die nächste, für alle öffentliche „Lauben-Lecture“ ist am 17. Januar. Daniela Caspari (FU) spricht zum Thema: „Vom kommunikativen zum kompetenzorientierten Fremdsprachenunterricht“ (18.15 Uhr, Habelschwerdter Allee 45, Raum KL 24/222).
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