Analyse des Historikers Wolfgang Benz: Wie Gauland sich an Hitlers Rede anschmiegt
Der eine denkt wie der andere: Gaulands Text über Populismus liest sich, als habe er sich den Text der Hitler-Rede auf den Schreibtisch gelegt.
Die politische Karriere Adolf Hitlers begann nicht mit den Menschheitsverbrechen, deren Folgen wir immer noch zu tragen haben. Hitler trat als Populist in die politische Arena, betörte das Volk und sorgte, zur Macht gekommen, dafür, dass alles in Scherben fiel. Den Begriff Populismus gab es noch nicht, man sprach von Demagogen oder politischen Scharlatanen, wenn maulheldige Menschheitserlöser vor Kleinmütigen und Angstgeplagten auftraten und die Novemberverbrecher, den Versailler Vertrag, das „System“ der Demokratie, die „Juden“ schuldig sprachen für alles Ungemach, das politisch, ökonomisch, sozial und emotional zu beklagen war.
Warum Populismus sein muss, erklärt uns jetzt die „Frankfurter Allgemeine“ (FAZ) beziehungsweise deren Gastautor Alexander Gauland. Er ist Experte, aber vor allem Praktiker im Fach Demagogie. Der Chefintellektuelle der AfD, der im Bundestag mit feinsinnigen historischen Vergleichen glänzt, beweist mit schlagenden Argumenten die Sinnhaftigkeit des Populismus. Der „FAZ“-Autor hat berühmte Vorbilder wie den Kapuziner-Barfüßermönch Abraham a Sancta Clara, der im 17. Jahrhundert bei derben Predigten dem Volk aufs Maul schaute. Gauland hat sich in seiner Argumentation gegen die „globalistische Klasse“ aber von einem anderen inspirieren lassen, als er schrieb, die „Heimat“ gehe verloren. Unter Heimat will er inneren Frieden, Rechtsstaat, soziale Sicherheit, Gleichberechtigung der Frau, Meinungs- und Religionsfreiheit verstanden wissen. Gauland nimmt Anleihen bei Adolf Hitler.
Gaulands Einsichten sind nicht neu
Die Schuld am drohenden Verlust der Heimat trägt laut Gauland eine weltweit agierende Elite: „Ihre Mitglieder leben fast ausschließlich in Großstädten, sprechen fließend Englisch, und wenn sie zum Jobwechsel von Berlin nach London oder Singapur ziehen, finden sie überall ähnliche Appartements, Häuser, Restaurants, Geschäfte und Privatschulen. Dieses Milieu bleibt sozial unter sich, ist aber kulturell ‚bunt’.“ Beklagenswerte Folge, so Gauland, sei, dass „die Bindung dieser neuen Elite an ihr jeweiliges Heimatland schwach ist“. Und deshalb brauche es den Populismus und die AfD, in der sich bürgerliche Mittelschicht und Zukurzgekommene („einfache Menschen“) gegen das Establishment stemmen.
Gaulands Einsichten sind nicht neu. Vor bald hundert Jahren begann der Gefreite Adolf Hitler in München seine Mission für Volk und Heimat, gegen überstaatliche Mächte und internationale Verschwörer. Im November 1933, im ersten Jahr seiner Kanzlerschaft, warnte er in Berlin Siemens-Arbeiter vor der „kleinen wurzellosen Clique, die die Völker gegeneinander hetzt“. „Es sind das die Menschen, die überall und nirgends zuhause sind, sondern die heute in Berlin leben, morgen genauso in Brüssel sein können, übermorgen in Paris und dann wieder in Prag oder Wien oder in London, und die sich überall zu Hause fühlen.“ (Zuruf aus dem Publikum: „Juden!“)
Nicht der Wortlaut stimmt überein - aber die vorgetragene Ideologie
Die Hitlerrede am 10. November 1933 im Dynamowerk in Berlin-Siemensstadt ist als Film erhalten. Und der Wortlaut ist, dem Bundesarchiv sei Dank, transkribiert verfügbar. Keineswegs soll dem „FAZ“-Autor Gauland unterstellt werden, er habe wörtlich bei Hitler abgeschrieben. Wenig wahrscheinlich ist auch, dass ein anonymer Mitarbeiter dem vielbeschäftigten Parlamentarier als Ghostwriter geholfen hat. Trotz der auffälligen Übereinstimmung von Argumentation und Diktion handelt es sich aus formal-juristischen Gründen wohl nicht um ein Plagiat. Denn nicht der Wortlaut stimmt überein, sondern „nur“ die vorgetragene Ideologie.
Doch Gaulands Text ist ganz offensichtlich eng an den Hitlers angeschmiegt. Es handelt sich um eine Paraphrase, die so wirkt, als habe sich der AfD-Chef den Redetext des Führers von 1933 auf den Schreibtisch gelegt, als er seinen Gastbeitrag für die „FAZ“ schrieb. Dabei modernisierte er die Kritik an der „wurzellosen internationalen Clique“, indem er sie „globalistische Klasse“ nennt, für den heutigen Sprachgebrauch. Nach dieser Methode wird aus den Städten Berlin, Brüssel, Paris, Prag, Wien oder London, zwischen denen die Internationalen bei Hitler hin und her ziehen, bei Gauland Berlin, London und Singapur. Weitere Parallelen ergeben sich aus dem direkten Textvergleich.
Es weht derselbe Geist wie 1933
Damit wird offenbar, dass der eine so denkt wie der andere, dass die Vermutung zutrifft, bei der „Alternative für Deutschland“ handele es sich gar nicht um die verheißene Novität einer dringend nötigen Fundamentalopposition, sondern um einen aufgemotzten Ladenhüter – mit der völkischen Bewegung, der NSDAP und ihren Epigonen als Blaupause.
Bei Hitler hieß es über die von ihm geargwöhnten Drahtzieher gegen Deutschland: „Es sind die einzigen, die wirklich als internationale Elemente anzusprechen sind, weil sie überall Geschäfte betätigen können, aber das Volk kann ihnen gar nicht nachfolgen, das Volk ist ja gekettet an seinen Boden, ist gekettet an seine Heimat, ist gebunden an die Lebensmöglichkeiten seines Staates, der Nation. Das Volk kann ihnen nicht nachgehen.“ Und bei Gauland lesen wir über die Opfer der Globalisierung, es seien „diejenigen, für die Heimat noch immer ein Wert an sich ist und die als Erste ihre Heimat verlieren, weil es ihr Milieu ist, in das die Einwanderer strömen. Sie können nicht einfach wegziehen und woanders Golf spielen.“ Nach der Lektüre und der feierlichen Versicherung, man halte nicht alle AfD-Wähler für runderneuerte Nazis, darf man wohl doch vermuten, dass derselbe Geist weht wie einst 1933.
Es gibt auch Unterschiede
Um den gravierenden Unterschied nicht außer Acht zu lassen: In der NSDAP war Antisemitismus Kern der Ideologie. In der AfD gibt es auch Antisemiten, von denen sich die Partei aber trotz allen Händeringens nicht trennen mag. In der Hitlerpartei gab es jedoch keine Juden, weil die ja unter anderem an Hitlers Vorstellung von Globalisierung schuld waren. Das nannte man damals „Internationales Judentum“ oder „Alljudah“.
Die Populisten der Gaulandpartei sind liberaler. Seit neuestem gibt es eine Gruppe „Juden in der AfD“. Eine Handvoll nur, deren Berechtigung, sich Juden zu nennen, einer rabbinischen Prüfung möglicherweise nicht standhält. Eine Provokation, wie sie zum Geschäftsmodell der Populisten gehört, aber angesichts des Gleichklangs von Hitlerrede 1933 und Gaulandtext 2018 besonders bemerkenswert.
Der Autor ist Historiker und ehemaliger Direktor des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin.