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Punk-Gebet. Die feministische Band Pussy Riot im Januar 2012.
© Reuters

Feminismus und Gender: „Werd’ Feministin!“

Der Feminismus lebt - wie etwa Pussy Riot und One Billion Rising beweisen. Doch Neoliberalismus und Gendertheorien, nach denen das Geschlecht gesellschaftlich keine Rolle mehr spielen soll, erschweren das Engagement.

„Jungfrau Maria!“, betete die russische Punkband Pussy Riot vor anderthalb Jahren in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale: „Räum Putin aus dem Weg! – Werd’ Feministin, werd’ Feministin, werd’ Feministin!“ – Putin nahm die Performance in bunten Strumpfmasken übel. Maria Aljochina und Nadeschda Tolokonnikowa sitzen im Arbeitslager.

Zum Glück drohen aufmüpfigen jungen Frauen in Deutschland solche Strafen nicht. Vermutlich ist es auch kein Zufall, dass die feministischen Flehrufe an Maria gar nicht erst aus dem Berliner Dom erklangen. Hierzulande bilden Kirchen und Staat keine offen repressive Allianz gegen die Freiheit der Frauen mehr, die solchen Widerstand heraufbeschwören würde. Deutschland wird sogar von einer Frau regiert, einer, die sich öffentlich beim Patriarchen Putin für Pussy Riot starkmachte. Angela Merkel trug dabei übrigens wie meistens eine Hose zur Jacke – ein Outfit, mit dem die SPD-Abgeordnete Lenelotte von Bothmer 1970 im Bundestag einen Eklat auslöste. Darüber kann man heute nur noch lachen. Frauen in Deutschland geht es im globalen Vergleich ziemlich gut.

„Was wollen Sie noch?“ lautet also der Titel des aktuellen Hefts der „Feministischen Studien“, die Frage der vielen aufnehmend, die den Feminismus nach seinen Erfolgen inzwischen (erst recht) für überflüssig halten. Die Zeitschrift, ein Organ für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung, ist 30 geworden. Die 31 in der Jubiläumsausgabe versammelten Autorinnen geben darum eine Zwischenbilanz über die Lage des Feminismus und der feministischen Theorie. Sie fällt ambivalent aus.

So hat der Staat zwar inzwischen klassische feministische Themen auf seine Agenda gesetzt. Frauen sollen ökonomisch vom Mann unabhängig werden, ein milliardenschweres Kitaprogramm ist auf dem Weg. Doch handelt es sich bei den Entwicklungen nicht eher um eine feindliche Übernahme?, fragen die Wissenschaftlerinnen. Das übergreifende feministische Ziel einer solidarischen Gemeinschaft, in der sozial gewirtschaftet wird, bleibt auf der Strecke: „Fragmentiert und eingebettet in neoliberale Diskurse ist das gesellschaftskritische Potenzial dieser feministischen Forderungen weitgehend verloren gegangen“ (Irene Dölling, Potsdam).

Freiheit und Individualität verspricht das zunehmend deregulierte System. Doch Freiheit bedeutet hier die Freiheit von einer Festanstellung, Individualität wird verstanden als die Individualität der Ich-AG, die sich für nichts als das eigene Fortkommen interessiert. Unter diesen Umständen degeneriert der Feminismus zu einem „neobürgerlichen Eliteprojekt“ (Sabine Hark, Berlin).

„Danke, emanzipiert sind wir selber“

Diesem verpflichtet sind demnach Frauentypen wie Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU), die den Feminismus für überflüssig hält: „Danke, emanzipiert sind wir selber“, heißt der Titel ihres Buches. Frau kommt alleine zurecht: „Wirkte es ehemals befreiend, bestimmte individuelle Lagen als geschlechtstypische zu benennen, wird es heute als übergriffig empfunden, einer Studentin ihre biographische Situation als eine geschlechtsspezifische anzusinnen. Statt consciousness raising nun eben karriereorientiertes Einzelcoaching“ (Friederike Kuster, Wuppertal). Erfolg oder Misserfolg – die Ursachen liegen demnach allein im persönlichen Bereich. Gesellschaftliche Ursachen werden „vernachlässigt oder ausgeblendet“ (Ilse Lenz, Bochum).

Das in der Bundesrepublik noch neue Phänomen einer wachsenden Zahl von gut gebildeten berufstätigen Frauen lässt die Gesellschaft moderner erscheinen, als sie tatsächlich ist. Frauen stoßen weiter an gläserne Decken, sie sind im Schnitt stärker von der Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse und von Altersarmut betroffen und erledigen noch immer einen weit größeren Teil der Hausarbeit, stellen die Autorinnen der „Feministischen Studien“ fest.

Auch sonst bleibt die Geschlechterhierarchie stabil: Pornografie und Prostitution blühen weiter. Und noch im Jahr 2013 können wohl nur wenige Frauen von sich sagen, noch nie sexuell belästigt worden zu sein – der FDP-Politiker Rainer Brüderle ist als dirty old man kein Auslaufmodell, wie zuletzt der Twitter-Hashtag „Aufschrei“ mit Tausenden von Beiträgen ins öffentliche Bewusstsein rückte.

Der Widerstand gegen den allgegenwärtigen Sexismus artikuliert sich zuerst jenseits der „Mainstream-Medien“, von den Feministinnen auch „Malestream-Medien“ genannt. Damit zeigt er „unverkennbar Affinitäten mit Protestformen des Feminismus der 70er“ (Sabine Hark, Berlin): nämlich in den Aktionen von Pussy Riot und Femen, den Slut Walks oder in One Billion Rising, dem weltweiten Tanz der Massen zur Anprangerung von Gewalt gegen Frauen.

Während die Besetzung feministischer Themen durch den Staat den Blick darauf verstellt, dass zwischen den Geschlechtern weiter deutliche soziale Asymmetrien herrschen, trägt nach Meinung vieler Autorinnen in den „Studien“ auch die Genderforschung zur Vernebelung der Tatsachen bei. In den vergangenen beiden Jahrzehnten ist die Genderforschung an die Stelle der feministischen Frauenforschung getreten – ein Umstand, der in dem Heft breit problematisiert wird.

"Gender" löst die Frau auf - für den Feminismus ein Problem

Punk-Gebet. Die feministische Band Pussy Riot im Januar 2012.
Punk-Gebet. Die feministische Band Pussy Riot im Januar 2012.
© Reuters

Denn zwar wird die Genderforschung von antifeministischen Herrenrechtlern als theoretische Speerspitze des Feminismus wütend bekämpft. Doch viele feministische Wissenschaftlerinnen befürchten im Gegenteil, dass die Genderforschung feministische Kraft in luftigen theoretischen Höhen verloren hat. Während „die Gender Studies bisweilen ein Auskommen an den Universitäten gefunden haben“, will „keine_r mehr so recht feministische Theorie betreiben“ (Hark).

Zwei Ursachen sehen die Autorinnen des Hefts: Im Streben nach akademischer Anerkennung hat sich die Geschlechterforschung darum bemüht, „den Geruch des Politischen, einer kritischen Gesellschaftstheorie abzustreifen“ (Ute Gerhard, Frankfurt/M.) – und ist damit zu ihrem Nachteil den scheinobjektiven normal sciences ähnlicher geworden.

Schwerer aber noch wiegt es nach Meinung einer Reihe von Autorinnen der „Studien“, dass „Gender“ den Gegenstand feministischer Forschung, nämlich die Frau, zum Verschwinden gebracht hat. Dass es „die Frau“ nicht gibt, sondern dass Frauen sehr verschieden sind und vor allem als Projektionsflächen für allerlei (männliche) Wünsche dienen, hatte schon die Frauenbewegung bemerkt.

Die poststrukturalistische Gendertheorie lenkte zu Beginn der neunziger Jahre das Augenmerk aber immer radikaler darauf, wie „Frauen“ und „Männer“ in performativen Akten erst kulturell hervorgebracht werden, vergleichbar einem Auto, das am Fließband zusammengesetzt wird. Von dieser Erkenntnis wurde nicht nur das soziale Geschlecht (gender), sondern sogar das biologische (sex) erfasst, das ebenfalls als kulturelles Konstrukt entlarvt wurde – schließlich realisiert sich auch der Körper erst im kulturellen Akt seiner Wahrnehmung.

Geschlecht soll gesellschaftlich keine Rolle mehr spielen

Die Einsicht, dass es einheitliche Subjekte wie „Frauen“ oder „Männer“ gar nicht gibt, hat plumpe Annahmen als solche entlarvt. Doch in Zweigen der Gender-, Diversity- und Queer-Studies gilt es nun in der Konsequenz als politisch unerwünschter Akt, geschlossene Identitäten zu erzeugen – etwa, indem die „Frauen“-Beauftragte mit ihrem noch so gut gemeinten Engagement Personen auf einen Minderheitenstatus festlegt und damit auch noch Hierarchisierungen gegenüber anderen Minderheiten schafft. An diesem Punkt kann sich Genderforschung aber ungewollt mit den neoliberalen Vorstellungen einer Kristina Schröder verbinden: Man sollte nicht versuchen, einer Person eine „Frau“ überzuhelfen, Geschlecht soll gesellschaftlich keine Rolle mehr spielen.

Für den Feminismus ist das ein Problem: „Die dekonstruktivistische Infragestellung der Geschlechter hat es vielleicht noch mehr als männliche Machtmonopole, Kleidervorschriften und Diskreditierungen des Weiblichen vermocht, die Existenz von Frauen als erkennbare Subjekte, als soziale und politische Kategorie zu vernichten“ (Gabriele Kämper, Berlin).

In der Wissenschaft ist Gender eher ein stumpfes Schwert: „So hat Gender beispielsweise bisher kaum dazu geführt, Literaturgeschichte als Geschichte von Geschlechterbeziehungen wirksam zu hinterfragen oder gar neu zu schreiben. (…) Männlichkeitskonstruktionen in der Literatur sind immer noch wenig erforscht, Autoren geschlechtslose Wesen. Gleichzeitig wurden historische Untersuchungen zu Frauen und insbesondere zu Leben und Werk von Autorinnen unter Ideologieverdacht gestellt. So führte der Erfolg der Gender Studies zum (erneuten) Verschwinden der Frauen aus der Literaturgeschichte“ (Anne Fleig, Berlin).

Wie geht es weiter? „Mehr Empirie, mehr Bezug auf Praxis, mehr Adressierung an die alteingesessenen Disziplinen“, fordert Hilge Landweer (Berlin). Glaubt auch niemand mehr daran, dass es die Frau in ihrer Essenz gibt, so empfiehlt sich doch ein „strategischer Essentialismus“, um einen „Weltbegriff feministischer Kritik“ zu ermöglichen (Gudrun-Axeli Knapp, Hannover). Die feministische Forschung, die im Neoliberalismus und in der Gendertheorie ihr „Bewusstsein verlor“, soll wieder zu sich kommen (Fleig). Oder in den Worten von Mechthild Veil (Frankfurt): Die Wissenschaft soll wieder „mehr Feminismus wagen“.

Anja Kühne

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