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Afghanische Flüchtlinge liegen mit ihren Familien nach ihrer Ankunft in Athen auf einem zentralen Platz. Sie waren zuvor im Lager Moria.
© Yorgos Karahalis/AP/dpa

Weltflüchtlingstag: Wer um sein Leben rennt, nimmt Corona in Kauf

Die Zahl der Flüchtlinge ist so hoch wie nie - die Bedingungen für Helfer so schlecht wie selten. Ein Gastbeitrag zum Weltflüchtlingstag.

Peter Ruhenstroth-Bauer ist Geschäftsführer der UNO-Flüchtlingshilfe, dem deutschen Partner des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR).

Der jährliche Bericht des UN-Flüchtlingshilfswerkes (UNHCR) - immer veröffentlicht um den Weltflüchtlingstag am 20. Juni - enthüllt erschreckende Zahlen: Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der Vertriebenen um fast 10 Millionen auf insgesamt 79,5 Millionen gestiegen. Das ist die höchste Zahl an geflüchteten Menschen, die jemals festgehalten wurde.

Fast so viele Menschen also wie Deutschland Einwohner hat, mehr als ein Prozent der Weltbevölkerung. Seit 2010 hat sich die Zahl der Menschen auf der Flucht verdoppelt. Die Zahl der vertriebenen Kinder – Schätzungen gehen von 30 bis 34 Millionen unter 18 Jahren aus, Tausende davon sind unbegleitet.

Meist sind es Krieg und Gewalt, die Menschen dazu zwingen, ihre Heimat zu verlassen

Hinter diesen Zahlen stehen Schicksale, stehen Menschen, stehen konkrete Geschichten. Meist sind es Krieg und Gewalt, die Menschen dazu zwingen, ihre Heimat zu verlassen. Immer dabei ist die Angst um das eigene Leben, um das Leben und das Wohlergehen der Kinder, der Familie oder von Freunden. Denn niemand verlässt freiwillig seine Heimat, sein Dorf und seine Wohnung – ohne etwas mitzunehmen und ohne Abschied. Wenn ihr Leben in Gefahr ist, flüchten die Menschen überstürzt und haben meist keine Möglichkeit, Habseligkeiten, Geld oder wichtige Ausweispapiere mitzunehmen. Und wer um das Leben der eigenen Kinder und das eigene Leben, rennt, der nimmt dann wohl auch Corona in Kauf. Oder weniger zynisch formuliert: muss Corona in Kauf nehmen. Die katastrophalen hygienischen Zustände im griechischen Flüchtlingscamps Moria bedeuten für die Menschen, dass sich mehr als 500 Bewohner eine Dusche und 160 Menschen eine Toilette teilen müssen.

Die Flüchtlinge nehmen Corona in Kauf - sie müssen das Virus in Kauf nehmen

Gleichzeitig stellen die Flüchtlinge, die zu katastrophalen Bedingungen in Griechenland ausharren nur einen Bruchteil der Menschen dar, die weltweit auf der Flucht sind. 85 Prozent aller Flüchtlinge fanden in ärmeren Ländern Schutz. In Europa leben weniger als 10 Prozent der weltweiten Flüchtlinge.

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Besonders in Vergessenheit geraten sind aber Länder wie der Jemen, die Demokratische Republik Kongo, Somalia. Oder die Konflikte und das damit verbundene Leid der Menschen schaffen es gar nicht erst in die Öffentlichkeit, wie etwa die Situation in der afrikanischen Sahel-Zone. 24,3 Millionen Jemeniten sind auf Hilfe angewiesen, 3,65 Millionen Menschen wurden seit März 2015 vertrieben.

Es gibt viele vergessene Flüchtlingskrisen

Auch die sich momentan akut verschärfende Situation in der Sahelzone - Burkina Faso, Mali und Niger - verdeutlicht, dass die Konflikte um Macht und Ressourcen stetig wachsen. Über drei Millionen Menschen der Sahelzone wurden inzwischen zur Flucht gezwungen – sowohl innerhalb der Region als auch in die Nachbarländer. Bewaffnete Gruppen töten wahllos und terrorisieren die Zivilbevölkerung. Viele Menschen sind bereits mehrfach vertrieben worden oder entschließen sich aus Verzweiflung - trotz der anhaltenden Gewalt und mangelnder Sicherheit - in ihre Heimat zurückzukehren. Die Situation droht nun auch auf die Küstenländer Benin, Côte d'Ivoire, Ghana und Togo überzugreifen. Die Situation wird durch die COVID-19-Pandemie zusätzlich verschärft. Sie hat bereits Gebiete erreicht, die Flüchtlinge und Binnenvertriebene aufnehmen. Trotz einer geringen Anzahl bisher entdeckter Fälle weist der stetige Anstieg der Infektionsraten auf eine bevorstehende Katastrophe hin, die die Kapazitäten des nationalen Gesundheitssystems bei weitem übersteigt.

Zahlreiche dieser Krisenherde werden öffentlich eben kaum noch wahrgenommen. Dabei sind Hilfsorganisationen so dringend auf mediale Aufmerksamkeit angewiesen, um ihre Einsätze ausreichend finanzieren zu können.

Die Diskrepanz zwischen Bedarf und Finanzierung wächst schon seit längerer Zeit stetig an

So fallen Spendengelder für die betroffenen Menschen und die damit verbundene humanitäre Nothilfe häufig aus. Gerade dort, wo wegen immer wieder aufkeimenden Konflikten langfristige Unterstützung gefragt wäre, fehlt es also an allen Ecken und Kanten. Die Diskrepanz zwischen Bedarf und Finanzierung wächst schon seit längerer Zeit stetig an.

Wir können die Konflikte nicht lösen, aber wir können für die Menschen in Not da sein, die so dringend Unterstützung brauchen. Filippo Grandi, Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen bringt es auf den Punkt: „Kein Mensch flieht freiwillig – aber ganz freiwillig können wir uns entscheiden, diesen Menschen zu helfen.“

Trotz unzähliger Krisen ist der UNHCR mit mehr als 16.000 Mitarbeitenden weltweit oft unter schwierigsten Bedingungen im Einsatz. Und jeder von uns kann sich einbringen. Nicht mit einem Einsatz vor Ort, aber mit einer Unterstützung, die den Unterschied ausmachen kann. Mit einer Spende, die einem Kind Bildung ermöglicht, die einer Familie Schutz schenkt oder einer Seife, die jetzt in der Corona-Pandemie Leben retten kann. Das ist hinter all diesen Zahlen die zentrale Botschaft.

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