Promotionen: Wer ein „summa“ verdient
Der Berliner Hochschulforscher Stefan Hornbostel ist "schockiert" über die Noteninflation bei Promotionen in Deutschland. Drei aktuelle Studien seines Instituts, des IFQ, zeigen weitere Missstände auf - und Lösungsansätze.
Der deutsche Doktortitel ist durch die Plagiatsskandale vor allem prominenter Politiker ins Gerede gekommen. Doch wissenschaftlich oft anspruchslose Doktorarbeiten vor allem in der Medizin oder reine Türschildpromotionen werden seit den 80er Jahren kritisiert. Auch eine Inflation sehr guter Noten, überlange Promotionszeiten, die Abhängigkeit der Doktoranden von ihrem Betreuer und die Promotion im stillen Kämmerlein gelten seit längerem als problematisch.
Systematisch untersucht wurde dies nie. Nun hat das Berliner Institut für Forschungsinformation und Qualitätssicherung (IFQ) drei Studien vorgelegt, in denen die Probleme der Promotion in Deutschland erstmals umfassend dargestellt werden.
„Schockierend“ nennt IFQ-Leiter Stefan Hornbostel die Entwicklung bei der Benotung von Doktorarbeiten. Fachspezifisch gebe es eine „massive Inflation“ der Bestnote (summa cum laude). Das geht aus dem neuen „Informationssystem Promotionsnoten“ hervor. Danach gibt es bundesweit beispielsweise neun Universitäten, die in den Wirtschaftswissenschaften jede zweite Promotion mit „summa“ bewerten. Das Informationssystem beruht auf Daten des Statistischen Bundesamts.
Auch über alle Fächer ist „eine deutliche Tendenz zu besseren Bewertungen“ zu beobachten. Der Anteil der „summa cum laude“-Promotionen ist in den vergangenen acht Jahren von zwölf auf 16 Prozent gestiegen. Besonders auffällig sei die Inflation im Fach Psychologie, dort stieg der Anteil von 17 auf 25 Prozent.
Vor einem Jahr hatte bereits der Wissenschaftsrat darauf verwiesen, dass die Unis in der Mehrzahl der Fälle für Promotionen die Bestnote oder die zweitbeste Note (magna cum laude) verleihen. Diese Praxis dürfe nicht pauschal „als Ausdruck unzureichender Qualitätsstandards“ gewertet werden, hieß es. Vielfach rechtfertige die Vorauswahl der Doktoranden die guten Noten am Ende des Verfahrens. Deshalb hat der Wissenschaftsrat eine neue Notenskala vorgeschlagen. Das Promotionsverfahren solle entweder mit „Bestanden“ oder mit „Mit besonderem Lob/Ausgezeichnet“ bewertet werden. Einer Auszeichnung müsse zwingend ein drittes, externes Gutachten zugrunde liegen.
Als Königsweg, die Doktorandenausbildung zu verbessern, hat der Wissenschaftsrat vor zehn Jahren die flächendeckende Einführung von Graduiertenkollegs empfohlen. In ihnen sollen die Doktoranden besser betreut, in ein Forschungsprogramm integriert werden und überfachliche Kurse belegen. Doch häufig halten diese Programme nicht, was sie versprechen. Bei fast 40 Prozent derjenigen, die offiziell in einer Graduiertenschule promovieren, ist die Mitgliedschaft offenbar nur eine formale. Faktisch arbeiteten sie „unter vergleichsweise unstrukturierten Bedingungen“, ergab jetzt eine erste Auswertung des „ProFile-Promovierendenpanels“. „In diesen Programmen gibt es eine große Vielfalt beim Grad der Strukturierung und der Qualität“, sagt Hornbostel. „Häufig ist die Freiheit ähnlich groß wie bei Individualpromotionen.“
Institut: Qualität der Promotion auch wegen "Zergliederung" in Gefahr
Die aus den USA kommende Tradition des Promotionsstudiums setzt sich auch in Deutschland durch, seitdem die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) 1990 ihr Förderprogramm für Graduiertenkollegs startete. Aus DFG-Mitteln wurden mittlerweile über 250 nationale und internationale Graduiertenkollegs initiiert. Zu einem weiteren Ausbau führte die 2005 erstmals ausgeschriebene Exzellenzinitiative, in der heute bundesweit 45 Graduiertenschulen direkt gefördert werden, weitere werden von den Clustern betrieben. Besonders hoch ist der Anteil von Promovierenden in strukturierten Programmen der IFQ-Studie zufolge mit zwei Dritteln in der Biologie und der Mathematik. Insgesamt arbeitet heute ein Fünftel aller Doktoranden in Promotionsprogrammen.
Für das ProFile-Promovierendenpanel des IFQ wurden zwischen April 2009 und Juli 2011 rund 28 000 Promovierende an sieben Universitäten befragt. Die aktuelle Auswertung beruht auf einer repräsentativen Auswahl von 2680 Doktoranden. Künftig soll das Panel für weitere Unis geöffnet werden. Die Teilnehmer der ersten Phase sollen einige Jahre nach dem Abschluss erneut befragt werden. Mit dieser Querschnittsstudie will man dann zeigen, welche Promotionstypen sich bewährt haben. Derzeit drohe eine „Zergliederung“, die aus Sicht des IFQ die Qualität der Promotionen gefährdet.
IFQ-Chef Hornbostel kritisiert, dass die Aufmerksamkeit der Wissenschaft vor allem auf der Prüfungsleistung liege. Um die deutsche Promotion auch nach den Plagiatsskandalen „dauerhaft als Markenzeichen zu etablieren“, müssten die Universitäten jedoch mehr Verantwortung für den „Prozess des Promovierens“ übernehmen. Dazu fordert das IFQ auch einheitliche Regelungen zur Erfassung von Doktoranden. Sie seien das zentrale Instrument, um die Promotionswege transparenter zu machen und ihre Qualität besser als bisher zu sichern, heißt es in einer jetzt vorgestellten Machbarkeitsstudie des Instituts im Auftrag des Bundesforschungsministeriums.
Die Wissenschaft brauche vergleichbare Informationen über Doktoranden vom Beginn bis zum Abschluss der Promotion, sagt Hornbostel. Auf dieser Basis könnten dann Qualitätsstandards festgelegt werden. „Basics“ wie die Einbindung in ein Forschungsprogramm oder die Pflicht, den Betreuern regelmäßig über den Fortschritt der Arbeit zu berichten.
Hinweis: Eine frühere Version enthielt vom IFQ veröffentlichte Daten zu den Promotionsnoten an der Universität Kiel. Die Universität legt Wert auf die Feststellung, dass diese Daten falsch sind. Sie beruhten auf einem Übertragungsfehler vom Statistischen Landesamt Schleswig-Holstein zum Statistischen Bundesamt.
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