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Dirk Steffens ist Autor und Produzent von Natur- und Wissenschafts-Dokus. Auf seinem Arm: ein verwaistes Bonobo-Baby aus dem Kongo-Becken.
© Dirk Steffens, Oliver Roetz

Naturfilmfestival startet Deutschlandtour in Berlin: "Wer Biosprit tankt, tötet Orang-Utans"

Dirk Steffens ist der letzte Prime-Time-Naturfilmer Deutschlands. Im Interview mit dem Tagesspiegel spricht er über Dokus, Menschen, Affen und Jane Goodall.

Herr Steffens, am Freitag starten Sie in Berlin eine Tour durch Deutschland, auf der ein „Best-of“ vom Internationalen Naturfilmfestival in Eckernförde gezeigt wird, das Sie leiten. Welcher Film ist Ihr Favorit?
Ich war fasziniert von „Megeti“. Da geht es um äthiopische Wölfe, die vom Aussterben bedroht sind. Man sieht, wie die Protagonistin, eine Wölfin, stirbt. Sie hatte sich mit Hundestaupe infiziert, übertragen durch einen Haushund, der mit den Menschen ins Wolfland kam. Heile Welt, das zeigt dieser Film nicht.

Populäre Naturfilme setzen sonst eher auf schöne Bilder und zeigen nicht einmal mehr, wie eine Antilope gerissen wird.

Und ich habe keine Worte dafür, wie mir das auf die Nerven geht. Dieser Trend, dass der Löwe, der das Gnu frisst, als unzumutbare Grausamkeit gewertet wird, kommt aus Amerika. Das ist falsch, wir dürfen nicht die wahren Naturprozesse verleugnen. Wir können nicht die Wahrheit ignorieren, wenn sie mal nicht in unser persönliches Wertesystem passt.

Fordern das auch deutsche Redaktionen?

Nein. Aber „Terra X“ ist definiert als Familienprogramm, Sonntagabend sitzen Familien vor dem Fernseher, mit Kids ab fünf Jahren. Wir zeigen schon, wie der Löwe die Beute schlägt. Wir könnten auch in Nahaufnahme zeigen, wie er genüsslich den Darm auslutscht, weil der wichtige Nährstoffe enthält, die Fleischfressern sonst fehlen. Ich meine, das muss nicht sein, wenn ich weiß, dass Kinder zuschauen. Es gibt andere Sendeplätze, da kann man jedes harte Bild bringen.

Wie definieren Sie Natur, ist das nur der Dschungel in Brasilien oder auch die Wiese hinter dem Supermarkt?

Um den Naturbegriff gibt es einige Missverständnisse – etwa, dass Natur gleich Wildnis ist. Das ist Unsinn. Deutschland hatte die höchste Artenvielfalt nicht, als es unbesiedelt und komplett von Buchenwäldern bedeckt war. Es war vielmehr um 1800 wohl am artenreichsten, weil eine Kulturlandschaft aus Wäldern und extensiv genutzten Agrarflächen artenreicher ist als reine Wald-Wildnis – auch wenn ein paar ikonische Arten wie Wolf und Wisent damals ausgerottet wurden. Man muss kein schlechtes Gewissen haben, weil man als Mensch irgendwo lebt. Entscheidend ist das Wie. Nämlich der Natur an Nahrungsmittel- und Biodienstleistung nur das zu entnehmen, was das System nachbilden kann. Nehmen wir mehr, bricht es zusammen. An diesem Punkt sind wir heute. In Berlin ist die Artenvielfalt größer als in einigen Gegenden von Brandenburg, weil ein streng gedüngtes Maisfeld ökologisch nicht wertvoller ist als ein Parkplatz.

Dokus, die industrielle Landwirtschaft oder Raubbau thematisieren, werden eher nicht als Naturfilme wahrgenommen.

Für uns gehören sie dazu. Auf dem Festival haben wir eine Rubrik „Green Report“. Allein darin sind 47 Filme für das Festival 2018 im Rennen, so viele wie noch nie. Beispiel: Wenn ich nach Indonesien fliege und Orang-Utans filme, dann sollte ich auch erzählen, dass dort der Dschungel abgeholzt wird, um Palmölplantagen anzulegen. Und dass das Öl auch nach Deutschland exportiert wird, um es in den Sprit zu mischen. Das heißt zugespitzt: Wenn man Biokraftstoff tankt, bringt man damit Orang-Utans um. Politiker wissen das, aber trauen sich nicht, etwas zu ändern.

Politische Naturfilme gab es schon immer, „Serengeti darf nicht sterben“ ist vielleicht der bekannteste. Nimmt das wieder zu?

Es wird spürbar wichtiger. Man muss allerdings die Redaktionen überzeugen, dass Zuschauer das auch sehen wollen. In China wurde ein Film über die Luftverschmutzung, den eine Mutter aufgrund der schweren Erkrankung ihres Kindes gedreht hatte, binnen wenigen Tagen 150 Millionen Mal heruntergeladen – bis die Regierung das stoppte. Der Film „Gasland“ hat Fracking weltweit zum Thema gemacht. Aber es braucht Zeit, Sehgewohnheiten zu ändern. Mit dem Festival wollen wir das fördern. „Ivory Game“, eine investigative Netflix-Reportage über Elfenbeinschmuggel, hat bei uns im vergangenen Jahr drei Preise gewonnen.

Der wichtigste Protagonist des Films, ein tansanischer Elefantenschützer, wurde danach auf offener Straße erschossen – ein extremes, makabres Beispiel, was Naturfilme auslösen können.

Naturfilm hatte schon immer zwei Stränge. Der eine ist, die Schönheit der Natur zu zeigen. Das hat eine enorm wichtige Funktion, denn nur wer sich für Natur begeistern kann, hat auch Interesse an weitergehenden Informationen. Der andere Strang sind die investigativen und auch engagierten Geschichten. Schon Grzimeks erster Film, „Kein Platz für wilde Tiere“ von 1956 war so einer. Ganz viele aktuelle Themen – Diesel, Glyphosat, Landwirtschaft – haben direkte Verbindungen zum Naturfilm. In Großbritannien stehen solche Filme genauso im Zentrum der gesellschaftlichen Diskussion wie eine Doku über den Brexit. So muss das auch sein, denn wie kann man über Glyphosat reden, wenn man keine Ahnung von den natürlichen Prozessen hat?

Braucht es dafür neue Erzählweisen?

Ja, und die gibt es: Der Erfolg von Al Gores Film über den Klimawandel etwa war überraschend. Er setzte nicht auf Bilder, sondern konsequent auf den Inhalt. Das war neu. Keine großen Landschaften, nur ein Mann, der redet. Es hat funktioniert.

Stichwort Fakten: Wie abhängig sind Naturfilmer von den Forschern?

Für „Faszination Erde“ machen wir fast nie etwas ohne Wissenschaftler. Das hat auch praktische Gründe. Wenn ich eine Giftschlange melken will, um etwas über Wirkstoffe zu erklären, dann kann nur der Forscher mir zeigen, wie man sich ein Tier greift. Ich kann es dann vor der Kamera machen. Ohne Wissenschaftler würde man auch keinen einzigen Bonobo sehen, selbst wenn man monatelang durch den Dschungel des Kongo liefe.

Was können Naturfilme bewirken?

Kurz nachdem „Ivory Game“ herauskam, ist der Elfenbeinhandel in China verboten worden. Und hätte es das Pariser Abkommen ohne den Film von Al Gore gegeben? Naturfilme können extrem in die öffentliche Diskussion eingreifen, indem sie Themen publik machen. Etwa das Artensterben, das ist möglicherweise eine massivere Bedrohung als der Klimawandel. Aber wenn ich „Artensterben“ sage, gucken Politiker mich jedes Mal an, als wäre ich ein Pandakuschler und als ob es nur um ein paar exotische Arten weit weg ginge. Die haben noch gar nicht begriffen, dass dieses weltweite Massenaussterben unsere Lebensgrundlagen bedroht. Naturfilme müssen das erklären.

Kann Naturfilm Forschung befördern?

Ein Beispiel: Jane Goodall ist eine herausragende Wissenschaftlerin, die großartige Schimpansen-Forschung gemacht hat. Aber berühmt wurde sie, weil „National Geographic“ eine Titelgeschichte gedruckt und einen Film über sie gedreht hat. Jane konnte danach viele Forschungsprojekte finanzieren, weil sie diese Popularität hatte. Manchmal befruchten sich Naturfilm und Forschung auch ganz direkt, etwa indem wissenschaftliche Expeditionen mitfinanziert werden, wenn ein Sender sich gute Filme verspricht.

Welche Grenzen ziehen Sie, wenn es darum geht, das beste Bild zu bekommen?

Feste Grenzen gibt es nicht, das ist ein Lernprozess. Zu Zeiten Jacques Cousteaus wurden ganze Korallenriffe gesprengt, um die toten Fische zu zählen. Das war weniger der Verantwortungslosigkeit des Filmteams oder Forschers geschuldet, sondern dem Zeitgeist. Aus heutiger Perspektive ist das natürlich fürchterlich. Beim ZDF gibt es die Regel, dass Tiere keinen Nachteil durch Dreharbeiten haben dürfen. Das ist gut, aber im Detail manchmal weltfremd. Etwa wenn ich zeigen will, wie ein Chamäleon mit seiner langen Zunge ein Insekt fängt. Dann setze ich eben eigenhändig eine Heuschrecke auf den Ast. Doof für die Heuschrecke. Ich finde das ethisch akzeptabel, andere sehen das womöglich anders.

Auch vor Ort gelten ja oft andere Standards. Was machen Sie etwa, wenn Sie mitbekommen, dass Affen geschossen werden?

Es ist bequem, sich zu entrüsten: Wie können die da im Kongo Bonobos erschießen! Natürlich ist das nach meinen persönlichen Maßstäben ein Verbrechen. Und wenn ich das anprangere, applaudieren in Deutschland alle. Aber wenn ich mich in eine Schweinemastbox setze und sage, dass wir Tiere so nicht behandeln können, dann ist die Reaktion eine andere. Die Strenge des moralischen Urteils nimmt zu, je weiter der Tatort entfernt ist. Als Naturfilmer haben wir nicht das Recht, die Menschen vor Ort dafür zu verurteilen, dass sie ihren kulturellen Gewohnheiten folgend Wale jagen oder Bonobos schießen.

Welche Stellung wünschen Sie sich für den Naturfilm im deutschen Fernsehen?

Der Naturfilm ist bei uns ein randständiges Genre. Dabei hängt fast jedes wichtige Thema mit Natur zusammen, sogar die Flüchtlingskrise: In Syrien herrschte jahrelang Dürre, bevor der Krieg ausbrach – vielleicht hat sie ihn mit ausgelöst. Gute Naturfilme bilden relevante Wirklichkeit ab. Wenn man zum Beispiel weiß, dass wir genetisch alle Afrikaner sind, dann versteht man erst, wie absurd „Halbneger“-Äußerungen gewisser Politiker sind. Diese großen Zusammenhänge zeigen, auch die Probleme, das können Wissenschafts- und Naturfilme leisten – und davon wünsche ich mir viel mehr.

Die Fragen stellten: Richard Friebe, Sascha Karberg

Das Naturfilm-Festival „Green Screen“ gibt es seit 2007. Seit 2016 leitet es der unter anderem durch „Terra X“ im ZDF bekannte Filmemacher Dirk Steffens (50). Mit etwa 30 000 Besuchern und circa 200 teilnehmenden Filmemachern gilt es als das größte und populärste Branchentreffen dieser Art in Europa. Jährlich werden mehrere Preise vergeben, unter anderem für „Bester Film“, „Beste Kamera“, „Bester Kurzfilm“ sowie ein nach Heinz Sielmann benannter und mit 5000 Euro dotierter Sonderpreis. Zu den Preisträgern der vergangenen Jahre gehören Volker Arzt, David Attenborough und Jan Haft, aber auch das Team der „Sendung mit der Maus“. Am 23. März, 17 Uhr, beginnt im Cinemaxx Berlin eine Filmtour mit einem 90-minütigen Zusammenschnitt aus sieben im vergangenen Jahr prämierten und nominierten Beiträgen. Weitere Orte sind u. a. Hannover, Dresden und München. Das diesjährige Festival findet vom 12. bis 16. September statt.

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