Seltene Erkrankungen: Wenn Licht wehtut
Ein seltener Gendefekt zwingt Betroffene, weitgehend im Schatten zu leben. Ein Hormon könnte ihnen helfen, sich zumindest für gewisse Zeit in die Sonne zu trauen.
Die Tage werden länger, es wird allmählich wärmer und besonders an Regentagen sehnen die meisten das Sonnenlicht herbei. „Nichts Schön’res unter der Sonne, als unter der Sonne zu sein.“
Jasmin Barman gehört zu einer kleinen Minderheit von Menschen, die Ingeborg Bachmanns Gedichtzeile mit gemischten Gefühlen lesen. Denn seit sie auf der Welt ist, gibt es für sie kaum etwas Schlimmeres, als „unter der Sonne zu sein“. Sie bezahlt es mit Rötungen, Brennen, Juckreiz und Schwellungen auf der Haut, sobald sie sich länger als ein paar Minuten in der Sonne aufhält.
Sonnenallergie, sagten die Ärzte. Damit waren aber nicht die Schmerzen erklärt, die sie bereits als Baby bekommen hatte, wenn ihr Kinderwagen nicht im Schatten stand. Die Eltern waren ratlos, die Ärzte ebenso. So etwas war ihnen noch nicht vorgekommen.
Für Menschen mit einer extrem seltenen Krankheit kann das Internet ein Segen sein. Die wenigen Betroffenen wohnen weit voneinander entfernt. Und es kann passieren, dass ihnen lange Zeit keiner ihr Leiden glaubt. Jasmin Barman hat sich die korrekte Diagnose erst als angehende Molekularbiologin selbst gestellt, aufgrund des Eintrags einer anderen Betroffenen, die die typischen Symptome bei Wikipedia schilderte. Sie leidet unter Erythropoetischer Protoporphyrie (EPP), einem Gendefekt, der bei einem von 100 000 Menschen auftritt. Anders als bei Hannelore Kohl, die vermutlich eine erworbene Form von Lichtunverträglichkeit hatte, ist ihre Krankheit angeboren.
Barmans Körper stellt nicht genug Ferrochelatase her, ein Enzym, das für die Bildung des roten Blutfarbstoffs Häm wichtig ist. Ein Zwischenprodukt in der Häm-Herstellungskette namens Protoporphyrin kann deshalb nicht komplett weiterverarbeitet werden. Es sammelt sich in der Umhüllung der Zellen von Blutgefäßen an, aber auch in der Haut, wo die Moleküle mit Licht reagieren. Die Folgen sind nach wenigen Minuten zu spüren: Verbrennungen sowie Reaktionen von Immunsystem und Nervenzellen. „Die Schmerzen sind unvergleichlich“, sagt Jasmin Barman. „Am ehesten ähnelt es denen, die beim Anfassen einer heißen Herdplatte entstehen.“
Bereits als kleines Kind verbinde man angesichts der starken Schmerzen Ursache und Wirkung, sagt sie. „Man spürt, dass es die Sonne ist, die man schlecht verträgt.“ Auf Fremde wirken manche Verhaltensweisen von Menschen mit EPP leicht verschroben. Wer geht schon an einem schönen Sonnentag mit einem beschichteten Spezialschirm spazieren? Und warum um alles in der Welt wechselt jemand im Bus permanent die Seite, um immer im Schatten zu sitzen?
Vor allem in der Schulzeit habe sie darunter gelitten, als Simulantin dazustehen, erzählt Barman. Der wohlmeinende Rat, dass Sport im Freien und Schulausflüge für sie leichter würden, wenn sie sich nur mit Sonnenschutzmitteln eincremen würde, half leider nicht. Sie hatte ja kein Problem mit der UV-Strahlung, sondern mit den bläulichen Anteilen des sichtbaren Lichts.
Um möglichst vielen anderen ihren diagnostischen Leidensweg zu ersparen, engagiert sich Barman heute in einem Selbsthilfeverein, der auf seiner Homepage ausführliche Informationen zum Krankheitsbild liefert und regelmäßige Treffen veranstaltet. „Immer wieder kommen dann Eltern, die ihr Kind in der Beschreibung erkennen.“
EPP ist nur eines von zahlreichen Mitgliedern aus der Familie der Porphyrien. Sie alle verbindet, dass an irgendeiner Stelle des Prozesses, durch den der rote Blutfarbstoff entsteht, etwas nicht stimmt. Insgesamt sind es acht Reaktionsschritte, für die jeweils ein Enzym zuständig ist. Bei sieben von ihnen sind Defekte bekannt. Während bei den akuten Formen Bauchschmerzen und neurologische Ausfälle dominieren, ist es bei den chronischen die Haut. Die Produkte, die sich in den Zellen anreichern, machen sie sensibler für Licht.
Barman, die in Heidelberg und in Finnland studiert hat, ist vor einigen Jahren an einem Ort gelandet, wo ihre eigene Form der Porphyrie intensiv erforscht wird. Das Triemli-Spital in Zürich, wo sie nun ihre Doktorarbeit schreibt. „Ich habe mir gut überlegt, ob ich wirklich über die eigene Krankheit forschen will. Doch letztlich ist die Arbeit im Labor recht abstrakt.“
Es geht um die Wirksamkeit von Afamelanotid, einer synthetischen Form des körpereigenen Hormons Alpha-MSH, das die Bräunung der Haut anregt. Ein Stäbchen, das – ähnlich wie bei der hormonellen Verhütung – unter die Haut eingepflanzt wird und dort über mehrere Wochen kontinuierlich Wirkstoff abgibt, wurde bereits seit über sechs Jahren an 350 Betroffenen erprobt. Afamelanotid sorgt dafür, dass in der Haut Melanin gebildet und eingelagert wird, es führt zu einer messbaren Anregung der Hautpigmentierung. „Die verstärkte Hautbräunung verhindert die Symptome nicht ganz. Sie verlängert aber den Zeitraum, in dem sich eine von EPP betroffene Person relativ problemlos an der Sonne bewegen kann“, sagt Barman. „Die gewonnene Zeit bedeutet einen enormen Zuwachs an Lebensqualität.“ Noch ist das Mittel von der Europäischen Arzneimittel-Zulassungsbehörde nicht freigegeben, eine Entscheidung wird in diesem Jahr erwartet.
In der Arbeitsgruppe von Elisabeth Minder, der Chefin des Zentrallabors am Triemli-Spital, wird unter anderem erforscht, ob bei langfristiger Anwendung Reaktionen des Immunsystems und ein Verlust der Wirksamkeit zu befürchten sind. Falls das synthetische Hormon langfristig wirksam bleibt, könnte man prinzipiell auch an andere Anwendungsbereiche der Stäbchen denken. Etwa an Menschen, denen ein Organ transplantiert wurde. Danach muss das Immunsystem wegen möglicher Abstoßungsreaktionen unterdrückt werden, es besteht deshalb ein erhöhtes Risiko für Hautkrebs. Das Mittel könnte zum guten Beispiel dafür werden, dass Forschung zu extrem seltenen Erkrankungen letztlich einer größeren Gruppe von Menschen hilft.
Informationen des EPP-Selbsthilfevereins unter www.epp-deutschland.de
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