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Jeder vierte Lehrer ist schon einmal Opfer von Übergriffen geworden.
© Imago

Umfrage zu Übergriffen gegen Lehrkräfte: Wenn Lehrer Opfer ihrer Schüler werden

Dass Schüler auf Schüler losgehen, gehört seit Langem zum Schulalltag. Aber sie teilen auch kräftig gegen ihre Lehrer aus. Eine Umfrage bringt erstmals Erkenntnisse über Gewalt gegen Pädagogen zutage.

Die tätlichen Übergriffe gehen meistens von Schülern aus. Sie treten ihre Lehrer, boxen, ziehen an den Haaren oder werfen mit Gegenständen nach ihnen. Sechs Prozent der Lehrkräfte wurden in den vergangenen fünf Jahren Opfer diese Form von physischer Gewalt. Das geht aus einer Umfrage des Forsa-Instituts im Auftrag der Lehrergewerkschaft „Verband Bildung und Erziehung“ (VBE) hervor, die am Montag vorgestellt wurde. Befragt wurden 1951 Lehrkräfte, die meisten davon in Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Sogar 21 Prozent der Befragten berichten von physischen Übergriffen auf Kolleginnen und Kollegen an ihren Schulen. Es handele sich um ein „Tabu-Thema“, erklärte Udo Beckmann, der VBE-Bundesvorsitzende: „Viel zu oft wird das Problem kleingeredet.“ Die Werte würden bedeuten, dass von den knapp 755.000 Lehrerinnen und Lehrern über 45.000 in den vergangenen fünf Jahren tätlich angegriffen wurden: „Jeder Fall ist einer zu viel.“

Die Lage stellt sich aus Sicht der VBE umso dramatischer dar, als körperliche Angriffe nur die Spitze des Eisberges sind. 55 Prozent der Befragten berichten von „psychischer Gewalt“: wenn Lehrer beschimpft, beleidigt oder bedroht werden, gemobbt oder belästigt. Selbst Opfer solcher Übergriffe sind in den vergangenen Jahren 23 Prozent der Befragten geworden. Täter sind hier Schüler und Eltern gleichermaßen, zu je 14 Prozent aber auch Kollegen und Vorgesetzte.

Besonders rau geht es in Haupt- und Realschulen sowie Förderschulen zu. Der Prozentsatz derer, die von psychischer Gewalt berichten, ist hier mit bis zu 81 Prozent doppelt so hoch wie an Gymnasien. Beckmann forderte die Politik auf, mehr für den Schutz von Lehrern zu tun: „Es ist skandalös so zu tun, als sei es Bestandteil des Berufes, sich beleidigen, belästigen und körperlich angreifen zu lassen.“

Die Übergriffe gegen Lehrer haben zugenommen

Laut der Umfrage haben Übergriffe gegen Lehrer zugenommen – zumindest in der Wahrnehmung der Befragten. Mehr als die Hälfte gab an, das Problem sei größer geworden, unabhängig von konkreten Vorfällen an der eigenen Schule. Vergleichswerte zu früheren Umfragen gibt es nicht: Es ist laut VBE die erste dieser Art. Interessanterweise ist Cybermobbing vergleichsweise selten verbreitet – und das, obwohl sich online in sozialen Medien oft besonders krasse Fälle von verbalen Übergriffen finden. Jetzt berichten 29 Prozent, in den vergangenen fünf Jahren seien an ihrer Schule Fälle von Mobbing über das Internet bekannt geworden. Auffällig auch hier die Diskrepanz zu dem Wert, wer selber tatsächlich Ziel von Cybermobbing war: Das sagten zwei Prozent der Befragten.

Die Umfrage wurde zwar vor allem in den drei größten Ländern durchgeführt. Dass in Berlin die Übergriffe gegen das Schulpersonal steigen, zeigen Statistiken. So wurden im Schuljahr 2014/15 von den Schulen 560 Fälle gemeldet – fünf Jahre zuvor waren es 291. Die Statistik unterscheidet hier nicht zwischen verbalen und körperlichen Angriffen. Fest steht, dass 85 Prozent der Fälle unter den geringsten Gefährdungsgrad fielen.

Schon an Grundschulen kommt es häufig zu Übergriffen

Tatsächlich beschäftigt das Thema viele Lehrer und Erzieher an Berliner Schulen sehr. Das bestätigt Matthias Siebert, Schulpsychologe in Steglitz-Zehlendorf. Er bietet Fortbildungen an, wie Lehrkräfte bei Aggressionsausbrüchen von Schülern reagieren können. Manchmal würden Lehrer direkt angegriffen, manchmal, wenn sie bedrängten Schülern in Konfliktsituationen zu Hilfe eilen, sagt Siebert: „Es besteht da oft viel Unsicherheit bei Lehrkräften, wie weit sie beim Eingreifen gehen dürfen.“ Er beobachtet, dass es schon an Grundschulen häufig zu Übergriffen komme. Gerade bei früh pubertierenden Jungs werde „die Hemmschwelle niedriger, Erwachsene anzugreifen“.

Auffällig ist in der Umfrage, dass viele Lehrkräfte sich allein gelassen fühlen, sollten sie Opfer werden. Nicht einmal die Hälfte der Befragten sagt, dass es an ihrer Schule einen festgelegten Ablauf gibt, wie bei Gewalttaten gegen Lehrkräfte vorzugehen ist. Für Siebert ist vor allem wichtig, dass sich Opfer sofort an Kollegen, die Schulleitung und Schulpsychologen wenden können. „Im Idealfall wird man sich dann verstanden fühlen.“ Leider komme es aber auch immer wieder vor, dass dem Opfer vorgehalten wird, selbst schuld zu sein.

Notfallpläne an Berliner Schulen

Berlin sei da aber besser aufgestellt als andere Bundesländer, sagt der Schulpsychologe. Schon seit Längerem gibt es Notfallpläne, die das Vorgehen bei Zwischenfällen regeln. Im vergangenen Jahr wurden laut Bildungsverwaltung gut 2500 Lehrer zum Thema Gewaltprävention fortgebildet. Derzeit wird evaluiert, ob die Krisenstrategien greifen – und was verändert werden muss, damit Übergriffe gegen Lehrer minimiert werden.

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