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Knochen an der FU. Die Polizei hob mit einem Bagger einen Graben aus, siebte die Erde und schickte die Knochen in sieben Tüten verpackt an die Charité.
© Polizei

Knochenfund: Weiter Rätsel um Dahlemer Knochen

Überreste von NS-Opfern auf dem Campus? Vielleicht können Plastikmarken Auskunft geben/Die FU redete an der Polizei vorbei.

Die Jahrzehnte alten Knochenreste, die im Sommer auf dem FU-Campus gefunden wurden, sind ohne genauere Untersuchungen verfrüht eingeäschert worden – so viel ist bekannt. Ob sie wirklich zu Opfern des KZ-Arztes Josef Mengele gehören, kann darum nicht erforscht werden. Berliner Wissenschaftler hoffen nun aber, dass die bei den Knochen gefundenen Plastikmarken nähere Auskunft geben können, besser gesagt: die Fotos von den Marken, denn die Marken sind mitsamt den Knochen eingeäschert worden. Michael Tsokos, der Leiter der Berliner Rechtsmedizin, sondiert aktuell, welche Holocaust-Experten die Marken am besten analysieren können, wie er auf Anfrage sagt. Dem gerichtsmedizinischen Gutachten zufolge handelt es sich um zehn runde verschiedenfarbige Plastikmarken, die handschriftlich mit Zahlen versehen sind – ein Hinweis darauf, dass die Knochen zu einer anatomischen Sammlung gehört haben können.

Die Knochen können auch aus der Kolonialzeit stammen

Andreas Winkelmann, der am Centrum für Anatomie der Charité forscht und durch die Berichterstattung auf die Vorgänge aufmerksam geworden ist, hält die Zuordnung der Knochenreste zu Menschenversuchen des KZ-Arztes Josef Mengele für nicht so zwingend wie etwa der Historiker Götz Aly (Tsp. vom 19. Februar). Winkelmann war maßgeblich mit am Human Remains Project der Charité beteiligt, das Schädel- und Skelettsammlungen aus der Kolonialzeit auf ihren Kontext und ihre Restitutionsfähigkeit überprüft.

Es sei auch denkbar, dass die Knochen aus der Kolonialzeit stammen, nämlich aus der sogenannten S-Sammlung, erklärt Winkelmann. Der Berliner Anthropologe Felix von Luschan hatte die Sammlung am Berliner Völkerkundemuseum gegründet. Zwischen 1928 und 1943 habe sie am Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik gelagert. Dann habe die Sammlung im Institut der Einrichtung von Krankenzimmern weichen müssen und sei ins Umland ausgelagert worden. Es sei denkbar, dass bei der hastigen Ausquartierung Knochenreste übrig blieben und „von irgendjemand begraben wurden“.

Es sei im Sinne der Verstorbenen, ihre Identität zu bestimmen

Winkelmann weist die von dem Archäologie-Professor Reinhard Bernbeck im Tagesspiegel vertretene Ansicht, weitere Untersuchungen an den Knochen hätten die möglichen Opfer erneut zu Objekten degradiert, entschieden zurück. Bernbecks Position mache jede Provenienzforschung an den „ebenfalls vieldiskutierten Skelettsammlungsbeständen aus der Kolonialzeit“ unmöglich. Es sei aber durchaus im Sinne der Verstorbenen, ihre Herkunft und Identität zu bestimmen und sie damit gerade wieder zu Subjekten zu machen, um sie eben nicht anonym bestatten oder in der Sammlung liegen lassen zu müssen. Allerdings könne man diskutieren, „wie invasiv man dabei vorgehen darf“ – so lehnten die Vertreter der australischen indigenen Bevölkerung invasive Tests ab. Selbst wenn jede Untersuchung von Knochen diese „zum Objekt“ mache, so sei es ein genereller Unterschied, ob man dieses für die „Rassenforschung“ tue oder zur Identifizierung von Opfern solcher Forschung.

Die Polizei assoziierte die NS-Zeit nicht selbst mit dem Fundort

Die Berliner Polizei hat sich von Anfang an historische Fragen gestellt, erklärt ihr Sprecher Stefan Redlich auf Anfrage. Der erste Gedanke der Polizisten am Fundort war demnach, es könne sich bei den Knochen um Reste von bei Amputationen abgetrennten Gliedmaßen handeln. Darum habe die Polizei unmittelbar nach dem Fund bei den zuständigen Senatsstellen nachgefragt, ob sich am Fundort im Krieg ein Lazarett oder ein Notfriedhof befand. Beides traf nicht zu.

Erfuhr die Polizei von dem Verdacht der FU, es könne einen Zusammenhang mit der NS-Zeit geben? Dies hatte die FU, die für ihre Kommunikation in der Kritik steht, unlängst zu ihrer Verteidigung vorgebracht. Sie habe die Polizei unmittelbar nach dem Fund auf die Nähe des Fundorts zum damaligen Kaiser-Wilhelm-Institut aufmerksam gemacht. Tatsächlich bat die FU die Polizei schon am 7. Juli um Akteneinsicht nach Abschluss der Untersuchung. Nämlich mit der Begründung, sie habe selbst ein wissenschaftliches Interesse, den Fund einordnen zu können, wie Polizeisprecher Redlich berichtet.

Zumindest hätte man mit Opferverbänden gesprochen

Einen möglichen Bezug zur NS-Zeit stellte die FU in ihrem Schreiben aber nicht her. Ihre bloße Erwähnung des Kaiser-Wilhelm-Instituts weckte bei der Polizei jedoch keine Assoziationen zu den Menschenversuchen Mengeles in Auschwitz – was bei den meisten durchschnittlich informierten Bürgern kaum anders gewesen wäre. So leitete die Polizei den Antrag der FU auf Akteneinsicht auch nicht weiter an die Rechtsmediziner der Charité.Bisher haben die Rechtsmediziner denn auch erklärt, sie hätten über den möglichen Zusammenhang nichts gewusst. Die FU will die Rechtsmediziner jedoch informiert haben.

Hätte die Polizei weitere Untersuchungen angeordnet, wenn sie von dem Verdacht gewusst hätte? Polizeisprecher Redlich will sich nicht genau festlegen. Er betont, die Polizei wolle ihren Anteil an der vorzeitigen Einäscherung der Gebeine nicht kleinreden. Hätte die Polizei von dem möglichen Hintergrund gewusst, hätte sie aber mindestens versucht, mit Opferverbänden zu besprechen, wie mit den Knochen umzugehen ist, sagt Redlich.

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