Cannabis: Weiche Droge, harte Folgen
Für viele Jugendliche ist gelegentliches Kiffen nur eine vorübergehende Episode. Doch für einige steht es am Beginn einer Drogenkarriere oder seelischer Probleme. Allerdings sind manche gefährdeter als andere.
Es ist ein weites Feld, das Wissenschaftler beackern müssen, die sich um die Wirkungen der Hanfpflanze kümmern. An einem Ende geht es darum, wie wohltuende Effekte der darin enthaltenen Substanz Tetrahydrocannabinol (THC) Schmerzen und Appetitlosigkeit bekämpfen können; am anderen um schädliche Wirkungen des Kiffens auf den weiteren Lebenslauf Jugendlicher.
Vor allem dieser Aspekt ist keine Lappalie. Forscher schätzen, dass in aller Welt 200 bis 300 Millionen Menschen regelmäßig Cannabis rauchen, essen oder schnupfen. In Deutschland hat laut Suchtstatistik jeder vierte Erwachsene Erfahrungen damit gemacht. In einer repräsentativen Erhebung zur Drogenaffinität aus dem Jahr 2005 gaben 6,6 Prozent der Zwölf- bis 17-Jährigen an, dass sie in den letzten zwölf Monaten Cannabis konsumiert hatten. Bei einem Prozent der männlichen Jugendlichen und fünf Prozent der jungen Männer gehört das Kiffen über längere Zeit zu den Alltagsgewohnheiten. Cannabis gilt zwar als „weiche“ Droge. Ob ihr Konsum illegal oder legal ist, hängt trotzdem von Ländergrenzen ab. Argumente für und wider eine Freigabe wurden in den letzten Jahrzehnten reichlich ausgetauscht.
Für einen Überblicksbeitrag in der Fachzeitschrift „Neuropharmacology“ haben Psychiater aus New York und Montreal nun mehr als 120 Studien analysiert, die die Auswirkungen des THC-Konsums auf das Gehirn Heranwachsender untersuchen. Sie sind denkbar unterschiedlich und reichen von Experimenten mit Nagern über Genanalysen und Gehirn-Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren bis zu Studien, in denen der Zusammenhang zwischen dem Kiffen und der Entwicklung von psychischen Krankheiten, Psychosen, ermittelt wird – abermals ein weites Feld.
Wer in jungen Jahren Cannabis raucht, trägt ein größeres Risiko, eine psychische Störung zu bekommen
Das Ergebnis wirkt nur auf den ersten Blick einheitlich. Zwar stellt das Team um die Psychiaterin Yasmin Hurt vom Krankenhaus Mount Sinai in New York und ihren kanadischen Kollegen Didier Jutras-Aswad von der Universität Montreal klar fest: Wer in jungen Jahren unter dem Einfluss von Cannabis steht, trägt langfristig ein größeres Risiko, eine Suchterkrankung oder eine psychische Störung zu bekommen.
Allerdings gelte das vor allem für eine besonders anfällige Untergruppe der Konsumenten, die ungefähr ein Viertel der regelmäßigen Nutzer ausmache. Die Herausforderung bestehe darin, diese Jugendlichen zu identifizieren, um sie vor Schaden zu bewahren.
Epidemiologische Studien belegen außerdem: Fast jeder, der harte Drogen nimmt, hat zuvor mit Cannabis Erfahrungen gesammelt. Damit ist allerdings noch längst nicht gesagt, dass die pharmakologische Substanz THC die „Schuld“ an einer solchen Entwicklung trägt. Gene, Persönlichkeitsstruktur, Zeitfenster der Entwicklung und nicht zuletzt das soziale Umfeld spielen dafür eine viel zu bedeutsame Rolle. Jedenfalls beim Menschen.
Sorgen bereitet Psychiatern der auffällige Zusammenhang zwischen Cannabis und dem Ausbruch von Psychosen.
Die Verfasser der „Neuropharmacology“-Studie können auf eine eigene Untersuchung mit Ratten verweisen, die in ihrer Jugend THC bekamen. Sie waren als erwachsene Tiere anfälliger, wenn ihnen Heroin angeboten wurde. Außerdem schütteten sie bestimmte Eiweiße so aus, wie es für stoffliche Abhängigkeit charakteristisch ist. „Das stützt die Hypothese, dass Cannabiskonsum in wichtigen Entwicklungsphasen einen neurobiologischen Zustand der Abhängigkeitsgefährdung herbeiführt“, schreiben die Autoren. THC kann ein Schrittmacher sein.
Dazu passt, dass die Andockstellen des Gehirns für Cannabinoide eng mit dem opiatverarbeitenden System verbunden sind. Die Autoren entwerfen das Bild eines Hirn-Orchesters, das unter dem Einfluss von THC sein Zusammenspiel ändert. Es spielen Instrumente mit, die für Belohnung, Motivation, Entscheidungsfindung und Bewegungsabläufe zuständig sind. Kein Wunder, wenn es kurzfristig zu besserer Stimmung, Entspannung und vermindertem Antrieb kommt.
Im Drogenrausch versäumen Jugendliche ihre Entwicklung
Und sie fallen heute oft stärker aus als in den 1970er oder 1980er Jahren, als die Elterngeneration ihre Erfahrungen sammelte. Denn die THC-Konzentration der Cannabis-Produkte liegt heute nicht selten höher. Das geben auch hierzulande Suchtmediziner zu bedenken. Rainer Thomasius vom Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf weist darauf hin, dass Jugendliche, die regelmäßig und viel kiffen, in dieser Zeit wichtige Entwicklungsaufgaben verpassen können.
Sorgen bereitet Psychiatern zudem immer wieder der auffällige Zusammenhang zwischen Cannabis und dem Ausbruch von Psychosen – zumal dabei die Henne-oder-Ei-Frage nicht geklärt ist. Die Autoren der vorliegenden Studie halten beides für wahrscheinlich. Kiffen kann die Erkrankungsgefahr erhöhen, oder aber Menschen konsumieren Cannabis, um sich selbst zu kurieren, sobald sie Anzeichen einer psychischen Erkrankung spüren.
Auch die genetische Ausstattung kann Problemen beim Cannabis-Konsum den Weg ebnen
„Doch es bleibt die Tatsache, dass nicht alle Teenager, die Cannabis konsumieren, später abhängig oder psychisch krank werden“, schreiben sie. Einen Teil der Erklärung liefert das Erbgut. So sind in den letzten Jahren Veränderungen des Gens für Proenkephalin in den Blick der Forscher geraten. Die Erbanlage spielt bei der Produktion körpereigener Opioide eine zentrale Rolle.
Ein Gen-Suchtest ist in den Augen der Autoren trotzdem nicht das geeignete Werkzeug, um Jugendliche zu identifizieren, für die das Kiffen gefährlich werden könnte. Und das nicht nur, weil es teuer und ethisch bedenklich wäre. Der Ansatz ist auch viel zu simpel. Schließlich führen genetische Besonderheiten nicht auf direktem Weg in die Abhängigkeit. Was noch dazukommen muss, um Jugendliche anfällig zu machen, sind Wesenszüge wie Ängstlichkeit oder die Neigung zu negativen Gefühlen – und besondere Widrigkeiten auf dem Lebensweg.