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Forscherin in der Berliner Staatsbibliothek
©  Mike Wolff

Wie Open Access die Forschung verändert: Weg mit den Wissenskonserven

Aufsätze und Monografien als Auslaufmodelle: Digitales Publizieren könnte die Arbeit von Forschern grundlegend verändern. Noch verhindern das die großen Verlage. Sie fürchten um ihre Monopole.

Werden sich analoge und digitale Medien auf Dauer ergänzen? Oder ersetzt die digitale Ära am Ende doch das Gutenbergzeitalter? Immer wieder stoßen in der bildungs- und medienpolitischen Diskussion diese Positionen aufeinander, die nicht gegensätzlicher sein könnten. Analoges Wissen ist über Jahrhunderte vom gedruckten Buch geprägt. Es bietet dem Leser ein eher stilles, geordnetes Reservoir an Inhalten für den intellektuellen Diskurs. Demgegenüber erscheint digitales Wissen hochgradig dynamisch, multimedial und ebenso vielfältig, allerdings auch flüchtig. Es treibt den „User“ in eine rasant steigende Flut vernetzter, interaktiver Wissensbrocken.

Bei der Belletristik haben Verlage bereits reagiert

Bei Belletristik- und Sachbüchern haben große Publikumsverlage bereits reagiert. Ein hervorragendes Beispiel dafür ist die von Stephan Füssel verfasste Johannes-Gutenberg-Biografie, die 2013 erschienen ist und den Text mit einer Fülle von Bildern und Fotografien, mit gescannten Materialien sowie mit Audios und Videos multimedial illustriert. Weitere Beispiele sind Erzählungen und Romane, bei denen der Leser über den Fortgang der Story entscheidet oder mit dem Autor in Kontakt treten kann. „Enhanced Publications“ nennt die Branche diese Form der multimedialen und interaktiven Veröffentlichung.

Das erweist sich auch für wissenschaftliche Publikationen als hochrelevant. Für Forscher sind Erarbeitung und Verbreitung von Ergebnissen wesentliche Faktoren für den Erfolg ihrer Arbeit. In Anbetracht einer weltweit ungebremst wachsenden Wissensproduktion sind sie auf schnelle Produktions- und Distributionsverfahren angewiesen. Auf den ersten Blick sollte das explizit digitale Formen und Verfahren des Publizierens bevorzugen. Doch bei näherem Hinsehen sind diese bei Weitem noch nicht so entwickelt, wie es das Arbeiten mit Computern und dem Internet vermuten lässt.

Viele wissenschaftliche Zeitschriften haben ein Monopol

Warum ist das so? Die Geschichte wissenschaftlichen Publizierens mag das erklären, die auf gedruckten Büchern und Zeitschriften als verkäuflichen Waren beruht. Zu früheren Zeiten wandten sich wissenschaftliche Verlage dabei nicht primär an institutionelle Kunden wie Bibliotheken, sondern durchaus erfolgreich auch an das Privatkundensegment. Doch das ist lange her. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts kommt es vor allem auf dem Markt für wissenschaftliche Zeitschriften zu massiven Konzentrationen, indem wirtschaftlich gefährdete kleinere Verlage von schlagkräftigeren aufgekauft wurden. Dabei entwickelten sich viele wissenschaftliche Zeitschriften zu Publikationsmonopolen. Forschungsergebnisse wurden und werden nur in dem nunmehr einzigen Fachjournal veröffentlicht. Die Verlage begleiten diese Entwicklung, indem sie sich intensiv um das Renommee von Autorinnen und Autoren bemühen – etwa mithilfe von Zitationsindices, die sich auf Zeitschriftentitel beziehen –, und durch qualitätssichernde Maßnahmen für eingereichte Beiträge, zu denen vor allem deren Begutachtung (Peer Reviewing) gehört.

Von daher ist es wenig erstaunlich, dass die Zeitschriftenmonopole den Wechsel von der analogen zur digitalen Veröffentlichungspraxis ohne Verlust überstanden. Die Zeitschriftenbeiträge mögen jetzt zwar auch digital verfügbar sein. Doch wirklich multimedial aufgearbeitet sind Forschungsergebnisse dabei nur eingeschränkt. Mit der Überführung gedruckter Artikel in elektronisch verfügbare Zeitschriften sind die bestehenden Potenziale des digitalen Zeitalters bei Weitem nicht ausgeschöpft, sondern aus Gründen der wirtschaftlichen Verwertung sogar eher reduziert. Eine von vielen Folgen ist dabei, dass Forschungsergebnisse über Google oder Facebook verbreitet und dort auch gesucht und gefunden werden – oft noch bevor ein verlässliches Peer-Reviewing für die Veröffentlichung erfolgt. Doch das ist sicher keine zukunftsfähige Lösung für die Wissenschaftskommunikation.

Open Access: Die Uni wird zur Verlegerin

Mit dem Open-Access-Publizieren wird seit gut zehn Jahren der Versuch unternommen, vom traditionellen Publikationsmodell für digitale Veröffentlichungen Abstand zu nehmen. Im Regelfall erfolgt Open-Access-Publizieren so: Autorinnen und Autoren lassen ihre Beiträge für eine Veröffentlichung zunächst begutachten. Dann laden sie diese auf den universitätseigenen Publikationsserver (Repositorium), auf dem die „Werke“ auf Dauer online verfügbar und kostenfrei zugänglich sind. Dieses Verfahren wird an Universitäten häufig für Dissertationen genutzt. Dabei entfällt die traditionelle Rolle von Verlagen, weil diese für Herstellung und Verbreitung von Publikationen nicht mehr erforderlich ist.

Anstelle des Verlages agiert beim Open-Access-Publizieren nun der Betreiber eines „Repositoriums“ als Serviceinstanz. Forschende recherchieren und suchen die Open-Access-Veröffentlichungen im Web, sofern ihnen aktuelle Publikationen nicht über ihre fachlichen „Netzwerke“ zugespielt werden. Für Autorinnen und Autoren bieten sich neue Gestaltungsoptionen für Publikationen, die auf Papier nicht realisierbar sind. Sie können etwa ihre Forschungsergebnisse mit Videos, Bildern oder Scans anreichern. Oder ihre Dokumente für maschinell erfolgende Analysen und Auswertungen (Data- und Textmining), Verlinkungen und Volltextrecherchen aufbereiten.

Digital ist analog weit überlegen

Trotz dieser Vorteile konnte das Open-Access-Modell die weiterhin stark an Druckwerken orientierte Praxis des wissenschaftlichen Publizierens bisher nicht ablösen. Dabei ist das digitale Paradigma dem analogen weit überlegen. Gedruckte Publikationen „frieren“ die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung gleichsam ein und machen sie zu „Wissenskonserven“. Mithilfe digitaler Medien lassen sich dagegen nicht nur Forschungsergebnisse publizieren, sondern der gesamte Forschungsprozess. Alle Verfahren und Wege, die zu den Forschungsergebnissen führen, können gespeichert und der Öffentlichkeit zugeführt werden.

So lassen sich archäologische Publikationen zu Ausgrabungsprojekten mit digitalen Texten antiker Autoren, geografischen Daten und 3-D-Fotografien von Grabungsfunden veranschaulichen oder mit digitalen Animationen, die Gebäude oder sogar ganze Städte der Grabungsumgebung rekonstruieren. Die Ergebnisse astrophysikalischer Forschungen werden mit Beobachtungsreihen, Experimenten und Messwerten publiziert, um die Forschungsergebnisse überprüfen und nachnutzen zu können.

Der Arbeitsprozess steht im Mittelpunkt, nicht das Endergebnis

Historiker reichern ihre Veröffentlichung mit digitalisiertem Bild- und Textmaterial an, die ihren Forschungsvorhaben zugrunde lagen, sowie mit Veröffentlichungen vorausgegangener Forschungsergebnisse, Kommentare und Rezensionen. Im Mittelpunkt stehen dabei rundherum multimediale Veröffentlichungen von Forschungsergebnissen mit Animationen, Bildern, Experimenten, Messwerten, Simulationen, Texten und Forschungsdaten, die im Zuge der wissenschaftlichen Arbeit erzeugt oder genutzt wurden. Hinzu kommen Fassungen zu Erkenntnis- und Forschungsständen bis hin zu Diskussionen, die zu einzelnen Fragen des Vorhabens mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern geführt worden sind.

Lässt sich in solchen Szenarien noch von „traditionellem Publizieren“ sprechen? Wohl kaum. Eine Internetplattform, auf der Forschungsprozesse und -ergebnisse in ständiger Wechselbeziehung stehen, macht die gängigen Formen der Ergebnispublikation eher zum Nebenprodukt. In Anbetracht einer dauerhaft angelegten Verfügbarkeit solcher Arbeitsplattformen könnten Monografien und Zeitschriftenbeiträge sogar komplett entfallen. Und wenn diese Formen wissenschaftlicher Arbeit, die derzeit noch in den Anfängen stecken, sich zu einer flächendeckenden Praxis entwickeln, werden sich die heute üblichen Publikationsverfahren deutlich verändern. Die Forschungsergebnisse stehen dann als dynamische Objekte oder als „Enhanced Publications“ zur Verfügung, ohne dass eine nochmals ausdrückliche Ergebnisveröffentlichung zwingend erforderlich ist.

Forschung könnte transparenter werden

In diesem Zusammenhang zeichnen sich auch neue Modelle für die Begutachtung von Beiträgen ab. So könnten für das weiterhin unerlässliche Peer Reviewing Bewertungs- und Kommentarfunktionen genutzt werden, wie sie in sozialen Netzwerken verfügbar sind. Durchaus vorstellbar ist, dass „Social networks for science“ wie ResearchGate oder Academia.edu über Autorenprofile, Kommunikationsangebote und Volltextveröffentlichungen hinaus auch wissenschaftsspezifische „Features“ für die Begutachtung von Publikationen zur Verfügung stellen.

Die Chancen der Partizipation an Wissen werden durch vernetzte Arbeitsverfahren nochmals größer. Digitales Wissen integriert Daten, Inhalte, Medien und Prozesse, ermöglicht wechselseitige Interaktion und Zusammenarbeit und motiviert vor allem zu Beteiligung am Wissensprozess. Wer will da ausschließen, dass digitale Wissensgüter die analogen künftig ersetzen – dies als Prognose, deren Risiken und Nebenwirkungen aktuell niemand kennt oder abzusehen vermag.

- Der Autor ist Direktor der Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin.

Andreas Degkwitz

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