Krise am Berliner Prestigeobjekt: Was dem Berlin Institute of Health (BIH) helfen würde
BIH-Chef Erwin Böttinger bestätigt Berufungsverfahren an der Universität Potsdam. In Berlin wird nun über die Zukunft des BIH diskutiert
Erwin Böttinger, Vorstandsvorsitzender des Berlin Institute of Health (BIH), hat am Donnerstagnachmittag mit einer Mail an die Mitarbeiter auf die Berichterstattung im Tagesspiegel über seinen erwarteten Wechsel an die Uni Potsdam reagiert: „Ich habe nicht gekündigt, mir wurde nicht gekündigt und ich habe mich nicht wegbeworben, wie geschrieben wird. Ich bin Vorstandsvorsitzender des BIH und das bin ich auch gerne.“ Allerdings fügt Böttinger hinzu: „Ich bestätige, dass es Gespräche mit HPI und ein Berufungsverfahren für ‚Digital Health’ der Uni Potsdam gibt. Der Ausgang der Gespräche ist offen.“ Dem Vernehmen nach ist das Berufungsverfahren in Potsdam bereits weit gediehen. Böttinger hat gegenüber dem Senat noch nicht bestätigt, dass er das BIH verlassen will, sagt Steffen Krach, Staatssekretär für Wissenschaft: „Der Aufsichtsratsvorsitzende und ich werden zeitnah mit ihm sprechen. Ich will schnell Klarheit.“
Der Bericht im Tagesspiegel, wonach Böttinger seinen Posten offenbar verlassen und an die Uni Potsdam wechseln will – davon, ihm sei gekündigt worden, war, anders als von Böttinger behauptet, nicht die Rede – führt in der scientific community zu Diskussionen. Denn Ursache für Böttingers Rückzug sollen nicht zuletzt Konflikte im Vorstand sein. Dem Vorstand gehören auch zwei Vertreter der Charité an, nämlich der Vorstandsvorsitzende Karl Max Einhäupl und der Dekan Axel Pries sowie Martin Lohse, , der Chef des Max-Delbrück-Centrums (MDC). Teile der Forschung von Charité und MDC sollen im BIH verschmolzen werden. Der Bund finanziert 90 Prozent des Prestigeprojekts, das Land zehn Prozent, so wurde es in einer Verwaltungsvereinbarung geregelt.
Was für Schwierigkeiten gibt es mit dem BIH? Ernst-Theodor Rietschel, der erste Vorstandsvorsitzende des BIH, sagt: „Die Grundidee, einen Ort für die Translation zu schaffen, ist immer noch unverändert toll. So etwas ist fast nirgends in Deutschland wirklich umgesetzt.“ Neben dieser Stärke seiner Mission habe das BIH aber auch Schwächen: Sein Name bilde den speziellen Auftrag des BIH in der Präzisionsmedizin nicht ab. Und noch fehle ein Gebäude, das die Identifikation stärke. Dieses entsteht erst neben dem Bettenhaus der Charité.
Die Chefs von Charité und MDC sitzen beim BIH mit im Vorstand - ein Fehler?
Vor allem kritisiert Rietschel aber die Konstruktion des BIH, wonach in dessen Vorstand auch die Leitungen der Charité und des MDC sitzen und die Interessen ihrer Institutionen vertreten. Die Leitung des BIH müsse eigenständig werden, etwa in einem Direktorium. Die Vertreter von Charité und MDC säßen dann nur noch im Aufsichtsrat. Rietschel hofft, dass der Bund und Berlin nach der Bundestagswahl das Gesetz zum BIH kritisch überarbeiten, etwa gemäß den Anregungen einer Expertenkommission.
Staatssekretär Krach kann sich nicht vorstellen, dass es im Vorstand unüberwindbare Konflikte gab: „Die ,Strategie 2026’ für das BIH wurde von allen fünf Vorstandsmitgliedern erarbeitet und ist im vergangenen Jahr vom Aufsichtsrat beschlossen worden“, sagt er. „Ich gehe also davon aus, dass sie von allen getragen wird.“ Im übrigen gebe es, wenn drei Institutionen miteinander arbeiten, immer „erhöhten Abstimmungsbedarf und auch mal unterschiedliche Interessen“, sagt Krach: „Das ist völlig normal.“ Für ihn sei zentral, dass das BIH, die Charité und das MDC die besten Forscherinnen und Forscher nach Berlin holen – und das gehe in dieser Konstruktion, wie sich bereits anhand der „schon berufenen exzellenten Wissenschaftler“ zeige.
Günter Stock, der Vorsitzende der Einstein-Stiftung und Aufsichtsratsmitglied des BIH, ist überrascht, von Konflikten zu hören. „Es ist sehr bedauerlich, dass ich das aus dem Tagesspiegel erfahre“, sagte Stock auf Anfrage. Er hoffe, dass sich der 15-köpfige Aufsichtsrat nun bald treffe und die Lage diskutiere. Der Aufsichtsrat müsse sich selbstkritisch fragen, ob man das BIH womöglich nicht genug begleitet habe; so habe man sich das letzte Mal im vergangenen Jahr getroffen.
Günter Stock plädiert für mehr Geduld
Stock ist aber zuversichtlich, dass das BIH ein großer Erfolg wird. Er plädiert für mehr Geduld: „Es geht hier um die Schaffung einer sehr komplexen, bislang einmaligen institutionellen Zusammenarbeit. Die benötigt einfach Zeit.“ Thematisch sieht er das BIH mit den Feldern Degenerative Erkrankungen und Digitalisierung richtig aufgestellt. „Das sind die großen, aktuellen Themen.“
Hinter den Kulissen ist zu hören, dass ein Grundkonflikt bei der BIH-Gründung noch immer nicht gelöst ist: Nämlich, wie stark die „Marke“ BIH neben Charité und MDC werden soll. „Man kann nicht mit Gewalt eine dritte Marke hochziehen“, sagt ein Insider – das würde bei Charité und MDC das Gefühl stärken, dass das BIH für sie ein „Verlustgeschäft“ sei. Besser wäre es, die Brückenfunktion des BIH zwischen Charité und MDC zu betonen.
Ein Kenner aus der Berliner Wissenschaft verteidigt BIH-Chef Böttinger vehement. „Böttinger war sehr kompetent. Aber er ist an der ganzen Konstellation gescheitert – insbesondere an der Charité.“ Dort habe man eine Blockadepolitik betrieben und Böttinger „am langen Arm verhungern lassen“. Aus der Charité sei versucht worden, die Fördermittel in erster Linie für sich einzustreichen. Es sei vor allem um Klientelpolitik, nicht um die Sache gegangen. Seit 2013, seit der Gründung des Instituts, sei „nichts passiert“. Wesentliche Weichenstellungen seien verhindert worden.
Das Ziel sei es gewesen, mit dem BIH an die wissenschaftliche Weltspitze vorzudringen. Doch sei das Programm des Instituts demontiert, die Chance für die Stadt trotz der großzügigen Fördermittel vom Bund nicht ergriffen worden. „Es ist für Berlin tragisch, dass kleinkarierte Machtkämpfe gesiegt haben.“ Es werde nun schwierig, den Posten des BIH-Chefs wieder adäquat zu besetzen. „Wenn es jemand wie Erwin Böttinger nicht aushält, wer soll dann noch nach Berlin kommen?“ Dem BIH drohe das Schicksal des Flughafens BER: „Wenn ich im Bundesforschungsministerium das Sagen hätte, würde ich jetzt den Stecker ziehen.“
Florian Graf, der Vorsitzende der Berliner CDU-Fraktion, erklärte zu Böttingers Absicht, das BIH zu verlassen: „Anscheinend ist die Linkskoalition nicht in der Lage, einem so renommierten Spitzenforscher in Berlin Perspektiven zu bieten und ihn langfristig an den Berliner Standort zu binden. “ - Ein Interview zur BIH-Krise mit dem Charité-Dekan Axel Pries lesen Sie hier.