AhA: Warum kommen Würmer bei Regen an die Oberfläche?
Wenn sich andere im Frühjahr in die Sonne setzen, verkrieche ich mich in meine Höhle. Ich habe Heuschnupfen, bin allergisch gegen Hasel-, Erlen-, Birken- und andere Pollen, schließe Fenster und Türen, bleibe tagelang drinnen, bekomme trotzdem feuchte Schleimhäute.
Wenn sich andere im Frühjahr in die Sonne setzen, verkrieche ich mich in meine Höhle. Ich habe Heuschnupfen, bin allergisch gegen Hasel-, Erlen-, Birken- und andere Pollen, schließe Fenster und Türen, bleibe tagelang drinnen, bekomme trotzdem feuchte Schleimhäute.
Ein echtes Wurmgefühl! Dann ein Regenschauer. Sofort verlasse ich mein Loch – bei einem Wetter, bei dem ich draußen sicherlich niemandem begegne. Außer ihm: dem Regenwurm. Was den wohl ins Freie treibt? Bei mir sind es die laufende Nase und feuchte Augen.
Der Wurm aber hat keine Nase und keine Augen, weder Ohren noch Lungen noch sonst irgendetwas, was in dieser Welt zur Standardausstattung gehört. Er ist nackt. Und wenn ihn eine Amsel sieht, wird er in die ewigen Jagdgründe eingehen. Warum schleicht er nicht zurück in seine Röhre?
Der Regenwurm lebt in der Unterwelt. Sein Körper ist ein Muskelschlauch, seine Haut glatt und immer feucht. Über sie atmet er und tauscht Gase mit der Umgebung aus. Eine Schleimschicht schützt ihn davor auszutrocknen. Im Boden legt er Gänge an, in denen er seine Nahrungsmittelvorräte kompostiert. Er verklebt Blatt- und Pflanzenreste miteinander und schafft so Lebensraum für Pilze und Bakterien, die seine Speise vorverdauen. Der zahnlose Wurm frisst das verrottete Material und scheidet stickstoff-, phosphor-, kalium-, kurz: nährstoffreiche Erde aus. Sein Kot ist kostbarer Humus.
Wenn es regnet und die Wohnröhre feuchter wird, werden seine Kompostierhelfer aktiver. Sie verbrauchen dann eine Menge Sauerstoff, der dem Wurm womöglich fehlt. Laufen seine Gänge gar voll Wasser, könnte der Sauerstoffmangel sogar bedrohlich werden.
Heinz-Christian Fründ erscheint es jedoch wahrscheinlicher, dass der Wurm aus anderem Grund nach oben kommt. „Er kann nur bei Regen auf Wanderschaft gehen“, sagt der Bodenbiologe der Fachhochschule Osnabrück. Trockenheit und UV-Strahlung verträgt er nicht. „Deshalb nutzt er die günstige Gelegenheit zur Partnersuche und um sich neue Territorien zu erschließen.“ Da Regenwurmpopulationen gerne zusammen bleiben, weil jeder von der Bodenaktivität des anderen profitiert, sind die Aussichten auf ein Stelldichein gut. Draußen trifft man sich eher als im beengten Untergrund. Der Fall der Regentropfen könnte ein verabredetes Klopfzeichen für eine oberflächliche Beziehung sein. Für ein kleines Worming-up. Thomas de Padova
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