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Die neue Pisa-Studie: Warum Deutschland sich verbessert hat

In der Pisa-Studie schneidet Deutschland besser ab als bislang. Leistungsschwächere Schüler holen auf, Schulreformen greifen. Doch Herausforderungen bleiben. Eine Analyse.

Deutschland holt auf, Länder aus Asien liegen ganz vorn: So lassen sich die Ergebnisse der fünften Pisa-Studie zusammenfassen. Es sei an der Zeit, das Wort „Pisa- Schock“ durch „Pisa-Fortschritt“ abzulösen, sagte OECD-Bildungsdirektorin Barbara Ischinger am Dienstag bei der Präsentation der Ergebnisse in Berlin.

Wo steht Deutschland in der Pisa-Studie?

Erstmals liegen die deutschen Schülerinnen und Schüler in allen drei getesteten Bereichen über dem Durchschnitt der OECD-Staaten. Seit der ersten Pisa-Studie hat sich Deutschland überall kontinuierlich verbessert. Das ist im internationalen Vergleich bemerkenswert, sagte Ischinger: Nur wenige andere Länder hätten „bei jedem Test den Vorwärtsgang eingelegt“. In Mathematik kommt Deutschland auf Platz 16 der 65 teilnehmenden Länder und Regionen und ist gleichauf mit dem früheren Pisa-Sieger Finnland. Die 20 Punkte, die die Schüler hierzulande über dem OECD-Schnitt liegen, entsprechen einem Vorsprung von einem halben Schuljahr. Den deutlichsten Sprung machen deutsche Schüler im Lesen. Sie kommen hier erstmals über den OECD-Mittelwert. In den Naturwissenschaften legen sie um vier auf 524 Punkte zu.

Der Abstand zu den absoluten Spitzenreitern bleibt allerdings beträchtlich, vor allem zur chinesischen Metropole Schanghai. Die dortigen Schüler sind dem OECD-Schnitt fast drei Schuljahre voraus. Deutschland liegt aber vor allem in Mathematik und in den Naturwissenschaften auf Augenhöhe mit den stärksten westlichen Ländern wie der Schweiz, Holland und Finnland. In den Naturwissenschaften zählen die Forscher Deutschland zur internationalen Top-Gruppe.

Wie erklären sich die Fortschritte?

Die Leistungsschwächeren haben sich verbessert. Der Anteil der „Risikoschüler“, die nur geringe Kenntnisse haben, hat abgenommen. Jetzt scheitern beim Lesen noch 14 Prozent der Schüler daran, einen einfachen Text zu erfassen. Das sind vier Prozent weniger als 2009 und acht Prozent weniger als 2003.

In Mathematik verfehlen 18 Prozent die zweitniedrigste Kompetenzstufe, fast vier Prozent weniger als 2003. Der Leistungsrückstand von Schülern aus Migrantenfamilien hat sich dabei in den vergangenen zehn Jahren von 81 auf 54 Punkte verringert. Das entspricht zwar immer noch fast anderthalb Schuljahren. Schüler aus Zuwandererfamilien erreichen in Mathematik dennoch inzwischen das gleiche Niveau wie alle Schüler in den USA.

Für die Fortschritte nannte Manfred Prenzel, in Deutschland Leiter der Pisa-Studie, mehrere „wichtige Erfolgsfaktoren“. So hätten Lehrkräfte dank der nach der ersten Pisa- Studie eingeführten Bildungsstandards bessere Vorstellungen davon, was ihre Schüler können müssten. Im Matheunterricht würden heute völlig andere Aufgaben eingesetzt als vor 20 Jahren: „Schüler verstehen besser, was sie lernen, und sie haben mehr Freude daran.“ Schulinspektionen hätten sich als taugliches Instrument erwiesen.

Welche Herausforderungen bleiben?

Nirgendwo ist der Zusammenhang zwischen Schulerfolg und sozialem Hintergrund der Schüler so groß wie in Deutschland: Dieser erschreckende Befund der vorangegangenen Pisa-Studien hat sich zwar zum Besseren verändert. Deutschland liegt beim Thema Chancengerechtigkeit jetzt im OECD-Mittelfeld. Trotzdem bleibt einiges zu tun. Nachbarländer wie die Niederlande und die Schweiz schaffen es besser, Jugendliche aus sozio-ökonomisch benachteiligten Familien zu sehr guten Leistungen zu bringen. Zwischen den Migrantengruppen bleibt es auch bei großen Unterschieden: Sind beide Eltern in der Türkei geboren, liegen die Kinder in Mathematik um 67 Punkte hinter solchen ohne Zuwanderungshintergrund. Stammen beide aus der ehemaligen UdSSR, fehlen nur 36 Punkte. Stephan Dorgerloh (SPD), der Vorsitzende der Kultusministerkonferenz (KMK), sagte, Deutschland müsse den Anteil der Risikoschüler künftig auf unter zehn Prozent drücken.

Umgekehrt müssten auch die Leistungsbesten gestärkt werden. Langfristig sollten 20 Prozent der Schüler zu dieser Gruppe gehören, sagte Dorgerloh. Die Zahlen stagnieren hier. In Mathematik gehören 17 Prozent der Getesteten zu den beiden besten Kompetenzstufen (OECD-Schnitt: 13 Prozent). Beim Lesen (neun Prozent) und in den Naturwissenschaften (zwölf Prozent) sind es weniger. Die geschäftsführende Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) kündigte an, der Bund wolle den Ländern eine Initiative zur Förderung der Leistungsbesten vorschlagen.

Aus der Studie lassen sich weitere Problemzonen identifizieren. Zwischen den Schulen herrschen in Deutschland teils große Leistungsunterschiede. Ein Fünftel der Schüler wiederholt eine Klasse, die Werte sind nur in sechs europäischen Ländern höher. Ischinger schlug vor, Schulen müssten hier verstärkt Maßnahmen wie frühes Coaching für versetzungsgefährdete Schüler erproben. In den Augen von Manfred Prenzel muss weiter an der Unterrichtsqualität gearbeitet werden. In Mathematik könnten die Stunden noch stärker „kognitiv anregend“ gestaltet werden, Schüler wünschten mehr individuelle Unterstützung. Barbara Ischinger betonte, die wichtigste Grundlage seien gut ausgebildete Lehrer. „Die Zeit, die Lehrkräfte mit ihren Schülern verbringen, ist wichtiger als Hausaufgaben.“

Wie unterscheiden sich die Leistungen von Mädchen und Jungen?

In Deutschland erzielen Jungen in Mathematik im Schnitt 14 Punkte mehr, der Abstand hat sich sogar vergrößert. Ischinger führte das auf „kontraproduktive Geschlechterstereotype“ zurück, die hierzulande stärker wirkten als im OECD- Schnitt. So haben Mädchen mehr Angst vor Mathe als Jungen. Sie trauen sich selbst dann weniger zu, wenn sie dieselben Leistungen erbringen. Wer aber denke, Mädchen hätten von Natur aus eine „innigere Beziehung zu Büchern als zum Taschenrechner, täuscht sich“, sagte Ischinger. In Ländern wie Schweden, Island, Finnland oder Russland erzielten ganz im Gegenteil Mädchen bessere Mathe-Ergebnisse. Im Lesen liegen die Mädchen hierzulande wie überall anderswo auch vorne. In den Naturwissenschaften schließlich schneiden Jungen und Mädchen in Deutschland genau gleich ab.

Wie steht es um die Disziplin der Schüler?

Fast ein Drittel der Jugendlichen klagt, dass es im Unterricht oft laut ist, „drunter und drüber geht“, etwas mehr als 2003. Im OECD-Schnitt ist der Anteil zurückgegangen. Dem Eindruck, die deutschen Schulen hätten ein Disziplin-Problem, widersprach Manfred Prenzel allerdings: „Die Befunde sind unauffällig.“ Ganz im Gegenteil fühlten sich die 15-Jährigen hierzulande wohl in ihren Schulen: 70 Prozent finden, dass „alles sehr gut läuft“. 90 Prozent der Deutschen haben den Eindruck, von ihren Mitschülern gemocht zu werden – 20 Prozentpunkte mehr als vor zehn Jahren. Mit zehn beziehungsweise fünf Prozent, die in den zwei Wochen vor der Erhebung eine Stunde oder einen Tag geschwänzt haben, liegt Deutschland deutlich unter dem OECD-Schnitt, wo 15 Prozent einen Tag geschwänzt haben.

Welche internationalen Trends gibt es?

Asien liegt in allen getesteten Bereichen vorn: Neben Schanghai sind das etwa Singapur, Hongkong, Macau, Japan und Korea. Könnten die Erfolge von Schanghai daran liegen, dass es eine reiche Metropole ist, die Schüler sehr homogen? Nein, sagte Barbara Ischinger, auch dort gebe es eine sozio-ökonomisch gemischte Schülerschaft. Prinzipiell bedeute Bildung den Chinesen unheimlich viel. Sie pumpten viel Geld in ihre Schulen. Die besten Lehrer unterrichteten die schwächsten Schüler. In der Studie heißt es, die Spitzenländer zeichneten sich dadurch aus, dass sie Wert auf die Ausbildung ihrer Lehrkräfte legen.  Die Klassengröße spiele eine untergeordnete Rolle.

Auffällig ist, dass die Finnen teilweise abgesackt sind, in Mathematik mehr als 20 Punkte. Sind die mit ihren Schulen oft als Vorbild geltenden Finnen etwa bildungsmüde geworden? Die Bildungsforscher haben noch keine Erklärung.

Amory Burchard, Tilmann Warnecke

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