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2006 warnte die WHO vor einer Pandemie mit dem Vogelgrippevirus H5N1. Auf Geflügelfarmen wie hier in Jakarta, Indonesien, mussten Hühner getötet werden.
© picture-alliance/Breuel Bild

Vogelgrippe: Wann wird es für den Menschen gefährlich?

Der Virologe Michael Veit von der Freien Universität Berlin forscht mit einem internationalen Wissenschaftler-Team daran, die Übertragbarkeit von Vogelgrippe-Viren auf den Menschen besser vorherzusagen.

Pandemiepläne, fehlende Impfstoffe, Stallpflicht für Geflügel: Eine Zeit lang hat das Thema Vogelgrippe die Schlagzeilen bestimmt. Doch seit einem Jahr scheint es, als sei die einst als so bedrohlich wahrgenommene Krankheit keine Gefahr mehr. Der Schein trügt. Auch 2015 haben sich in Europa Tiere mit Vogelgrippeviren infiziert. Aber wie gefährlich sind die Viren für uns Menschen?

Michael Veit, Privatdozent für Virologie an der Freien Universität Berlin, erforscht die Übertragungswege der Erreger vom Tier auf den Menschen. Sein Ziel ist es, die Bedeutung von Mutationen des Virus’ genauer vorherzusagen, um im Zweifelsfall rechtzeitig warnen zu können, wenn bei einem Virus die Gefahr besteht, dass dieses auch für den Menschen gefährlich werden kann. Um das herauszufinden, hat Veit mit Wissenschaftlern aus Singapur, Großbritannien und den USA ein internationales Forschernetzwerk gegründet: Das Projekt „Molecular Patterns of Influenza Virus Envelope Adaption to Interspecies Transmission“ („Molekulare Muster der Anpassung der Influenzavirushülle für die Übertragung zwischen den Spezies“) wird vom „Human Frontier Science Program“ (HFSP) – einem Förderprogramm für transkontinentale Forschungskooperationen in den Lebenswissenschaften – innerhalb der nächsten drei Jahre mit etwa 1,3 Millionen Euro gefördert.

Grippeviren werden zwischen Tieren und zwischen Menschen auf unterschiedlichen Wegen übertragen: Zwischen Menschen erfolgt die Viren-Infektion durch Tröpfchen in der Luft, beispielsweise beim Niesen. Wasservögel, bei denen das Virus besonders häufig auftaucht, nehmen die Viren in der Regel über den Schnabel auf und scheiden sie über den Verdauungstrakt wieder aus.

Das Virus selbst besitzt eine Hülle, die aus 400 bis 500 unterschiedlichen Lipiden besteht, also wasserunlöslichen Fetten, die abhängig von der Temperatur flüssig oder fest sein können. Diese Hülle schützt das Erbgut des Virus’, wenn sich der Erreger außerhalb des Körpers befindet; für einen optimalen Schutz sollte die Hülle fest sein. Da sich das Virus allein nicht vermehren kann, benötigt es zur Fortpflanzung eine Wirtszelle. Es muss also „wandern“ und an eine dieser Wirtszellen andocken. Um nun sein eigenes Erbgut in die Wirtszelle einzuschleusen, muss die schützende Lipidhülle wieder flüssig werden, also schmelzen. Nur dann können die Virus-Gene freigesetzt werden und in die Zelle eindringen, mit deren Hilfe dann das Erbgut des Erregers vervielfältigt wird und so neue Viren produziert werden.

Die Lipidhüllen der Viren verändern sich

„Damit das Virus vom Tier auf den Menschen übertragen werden kann, muss es mutieren, das heißt sein Erbgut anpassen“, sagt Virologe Michael Veit. Er geht davon aus, dass sich bei dieser Mutation auch die Lipidhüllen der Viren verändern.

Da Vögel und Menschen über unterschiedliche Körpertemperaturen verfügen und verschiedene Lipide unterschiedliche Schmelzpunkte haben, vermutet Veit, dass sich bei der Übertragung der Viren von Vögeln auf den Menschen auch die Schmelztemperaturen der Lipidhüllen entsprechend anpassen. Deshalb will er die Lipidhüllenstruktur verschiedener tierischer und menschlicher Vogelgrippe-Viren daraufhin untersuchen, ob sie tatsächlich unterschiedlich sind und wenn ja, bei welcher Temperatur die Hüllen schmelzen.

Eine Mitarbeiterin in Michael Veits Labor - hier werden Lipide aus Viren extrahiert wie sie bei Menschen und Vögeln vorkommen.
Eine Mitarbeiterin in Michael Veits Labor - hier werden Lipide aus Viren extrahiert wie sie bei Menschen und Vögeln vorkommen.
© Manuel Krane

Sollte sich zeigen, dass diese Unterschiede tatsächlich bestehen und eine Lipidhülle zum Beispiel erst bei 40 Grad schmilzt, dann wäre das zwar für Wasservögel gefährlich – sie haben eine Körpertemperatur von 42 Grad – , nicht aber für den Menschen. Seine Körpertemperatur liegt bekanntlich bei 37 Grad; in der Lunge, die ständig in Kontakt mit der Außenluft steht, ist sie sogar noch niedriger. Sie würde deshalb nicht ausreichen, um die Hülle zum Schmelzen zu bringen. Sollte ein neues Vogelgrippe-Virus unter Tieren auftreten, könnte man anhand einer Virusprobe leicht feststellen, ob der neue Virustyp auch für Menschen gefährlich werden könnte.

Um seine These zu überprüfen, züchtet Veit derzeit in Berlin humane Viren und aviäre, also bei Vögeln vorkommende Viren, in Zellkulturen. Wenn diese gewachsen sind, werden die Lipide extrahiert. Dann sollen die Substanzen nach Singapur geschickt werden, wo sie der Zellbiologe Markus Wenk daraufhin untersuchen wird, welche Lipide in den Lipidhüllen unterschiedlicher Grippeviren enthalten sind und ob sich die Lipidhüllen menschlicher und aviärer Viren voneinander unterscheiden.

Anschließend werden die Schmelzpunkte der Lipidhüllen bestimmt. Dies geschieht an der University of Virginia Medical School in Charlottesville durch den Biophysiker Lukas Tamm. Kay Grünewald von der University of Oxford untersucht die Viren abschließend in England mit einer neu entwickelten elektronenmikroskopischen Technik und prüft, ob sich die verschiedenen Viren auch in ihrer Feinstruktur unterscheiden.

Aminosäuresequenzen als Anhaltspunkte für die Übertragbarkeit

Der Virologe Veit vermutet, dass es die in die Hülle eingebetteten Membranproteine sind, die bestimmen, aus welchen Lipiden diese besteht. Austausche von bestimmten Aminosäuren, den Bausteinen der Proteine, könnten den Einbau von anderen Lipiden in die Hülle bewirken und so eventuell deren Schmelzpunkt verändern. Wenn diese These stimmt, ließe sich anhand der Aminosäuresequenzen der Viren vorhersagen, ob bestimmte Lipide in einem Virus auftauchen könnten – zum Beispiel solche, die schon bei 37 Grad schmelzen und den Erreger damit für den Menschen gefährlich machen. „Es wäre ein Traumergebnis, wenn wir am Ende einen weiteren Parameter hätten, um anhand der Aminosäuresequenz vorhersagen zu können, ob ein neues aviäres Virus von Mensch zu Mensch übertragen werden kann“, sagt Veit.

Sollten sich die Überlegungen der Wissenschaftler bestätigen, hätte das bei künftigen Vogelgrippe-Epidemien auch Konsequenzen für die Schlagzeilen in den Medien. Beim Auftreten eines neuen Virustyps in Geflügelställen könnten Zeitungen dann im besten Falle titeln: „Untersuchung des Erregers hat ergeben: Das neue Vogelgrippe-Virus ist ungefährlich für den Menschen!“ Im gegenteiligen Fall hätte man ausreichend Zeit gewonnen, um einen Impfstoff zu produzieren.

Manuel Krane

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