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Ein Pärchen Pärchen-Egel. Das Männchen bildet eine Rinne, in die sich das längere, dünnere Weibchen verkriecht. In dieser Form können die Parasiten Jahrzehnte im Blut des Menschen überdauern.
© culture-images/Natural History

Impfstoffe: Waffen gegen den Wurm

Pärchenegel verursachen eine der verheerendsten Erkrankungen der Welt. Seit Jahrzehnten forschen Mediziner an einem Impfstoff gegen die Würmer. Doch es fehlen Geld und Interesse.

Seit über 20 Jahren ist Miriam Tendler mit ihrem Labor nicht umgezogen. Ihr Büro ist klein, überall stapeln sich wissenschaftliche Veröffentlichungen und andere Unterlagen, die Flure sind mit Aktenschränken vollgestellt. Trotzdem ist die Forscherin in dem alten Gebäude auf dem Campus der Stiftung Oswaldo Cruz im Norden Rios geblieben. Denn sie hat Angst, irgendetwas zu tun, das den Lebenszyklus des winzigen Wurms stören könnte, den sie in ihrem Labor all die Jahre sorgsam gehütet hat. Tendler hat ihre wissenschaftliche Karriere der Aufgabe gewidmet, einen Impfstoff gegen diesen Wurm zu entwickeln, einen gefährlichen Parasiten, der unter anderem die Menschen im Osten Brasiliens plagt: Schistosoma mansoni.

Dabei handelt es sich um eine von mindestens sechs Arten von Pärchenegeln, die beim Menschen eine kräftezehrende Krankheit namens Schistosomiasis auslösen können. Der deutsche Arzt Theodor Bilharz beschrieb 1851 erstmals einen solchen Wurm, den er bei einer Obduktion in Kairo entdeckte. Nach ihm wird die Krankheit auch Bilharziose genannt.

Die Hälfte ihres ungewöhnlichen Lebenszyklus verbringen die Tiere in Süßwasserschnecken, weshalb ein Raum in Tendlers Labor zahlreiche Aquarien beherbergt. Die Würmer sind klein, sie werden kaum einen Zentimeter groß, sind aber äußerst langlebig. Jahrzehntelang bleiben sie in den Blutgefäßen des Menschen und produzieren dort Eier, die Leber, Niere und Milz schädigen. Die Folge sind Schmerzen, Blutungen und Unterernährung. 

Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) steht Schistosomiasis in der Liste der verheerendsten Parasitenkrankheiten der Welt an zweiter Stelle, gleich nach Malaria. Rund 200 Millionen Menschen leben mit einer Infektion, vor allem Kinder, weitere 600 Millionen Menschen sind gefährdet. Schätzungen der Todeszahlen gehen weit auseinander, aber Lester Chitsulo, Chef des Schistosomiasis-Programms der WHO, geht davon aus, dass allein im südlichen Afrika jedes Jahr 300 000 Menschen an den Folgen der Erkrankung sterben.

Impfstoffe könnten wirksame Waffen gegen die Würmer sein, doch es fehlt an Geld und Interesse. Weil es außerdem ein billiges Medikament gibt, mit dem die Krankheit behandelt werden kann, haben sich nur wenige Forscher dem Wurm gewidmet. Schistosomiasis wird zu den „vernachlässigten Krankheiten“ gezählt. Tendler mag die Bezeichnung nicht: „Diese Krankheiten sind nicht vernachlässigt“, sagt sie. „Es sind Armutskrankheiten.“

Doch die Bedeutung von Schistosomiasis rückt auch in reichen Ländern immer mehr ins Bewusstsein von Gesundheitsexperten. Die Suche nach einem Impfstoff gewinne an Unterstützung, sagt Peter Hotez vom Baylor College of Medicine in Houston (Texas). Das habe auch mit der Rolle von Schistosomiasis in der Übertragung von HIV zu tun. Eine verbreitete Form der Krankheit, bei der sich die Eier des Wurms auch in den Harnwegen und den Geschlechtsorganen von Frauen festsetzen, erhöht das Risiko, sich mit HIV anzustecken um das Drei- bis Vierfache. „Das ist der wichtigste Ko-Faktor in der afrikanischen Aids-Epidemie über den niemand spricht“, sagt Hotez.

Nächste Woche treffen sich einige Schistosomiasis-Forscher auf Einladung der „Bill und Melinda Gates“-Stiftung zwei Tage lang in Seattle. Dort wollen sie über einen Impfstoff gegen die Krankheit sprechen. Sollte die Stiftung sich entscheiden, die Forschung daran zu unterstützen, könnte das alles ändern, sagt Alex Loukas von der James-Cook-Universität im australischen Cairns.

Herrscherin der Schnecken. Die Forscherin Miriam Tendler züchtet in Aquarien auch die Schnecken, auf die Pärchenegel angewiesen sind.
Herrscherin der Schnecken. Die Forscherin Miriam Tendler züchtet in Aquarien auch die Schnecken, auf die Pärchenegel angewiesen sind.
© Kai Kupferschmidt

Auch ohne Unterstützung hat es in den letzten Jahrzehnten einige Fortschritte gegeben. Zwei Impfstoffe sind inzwischen in der klinischen Prüfung. Doch bei beiden gibt es Probleme. Bilhvax, das vom Pasteur-Institut in Lille entwickelt wurde, ist gegen Schistosoma haematobium gerichtet, eine Art, die urogenitale Schistosomiasis verursacht und in Afrika und im Mittleren Osten verbreitet ist. Doch trotz großer klinischer Studien sind bisher kaum Daten publiziert worden.

Der andere Impfstoff ist Tendlers Kandidat gegen Schistosoma mansoni. Der Impfstoff, der von der brasilianischen Regierung unterstützt wird, ist der einzige, der in einem Land entwickelt wurde, in dem Schistosoma auch vorkommt. Seine Verträglichkeit könnte noch dieses Jahr in einer größeren klinischen Studie getestet werden. Doch einige Forschergruppen haben Tendlers vielversprechende Ergebnisse aus Mausstudien nicht wiederholen können.

Verschiedene Arten von Pärchenegeln verursachen verschiedene Muster von Symptomen, aber die Parasiten folgen alle einem ähnlichen Lebenszyklus. Sie vermehren sich in Süßwasserschnecken, die große Zahlen frei schwimmender Larven, Cercariae genannt, ins Wasser freisetzen. Wenn diese Larven zum Beispiel auf ein Kind treffen, das im Wasser spielt, bohren sie sich durch die Haut des Menschen. Dazu haben sie an ihrem Kopf Drüsen, die einen Stoff ausschütten, der die Haut regelrecht wegschmilzt. Auf der anderen Seite angekommen, verlieren die Larven ihren Schwanz und wandern durch die Blutgefäße zur Lunge und dann zur Leber. Dort reifen sie zu erwachsenen Würmern heran. Das Männchen formt mit seinem Körper eine Rinne, in die das Weibchen hineinschlüpft.

Je nach Art wandert das Pärchen dann in Venen in verschiedenen Teilen des Körpers: S. mansoni und S. japonicum leben im Darm, während S. haematobium sich in der Blase ansiedelt. Die Weibchen beginnen hunderte Eier am Tag zu produzieren, manchmal über Jahre. Die meisten dieser Eier werden mit dem Urin oder dem Stuhl ausgeschieden. Gelangen sie in Flüsse oder Seen, können sie neue Schnecken infizieren, doch einige Eier verfangen sich in der Leber oder anderen Organen. Dort aktivieren sie das Immunsystem, was zu einer chronischen Entzündung und den typischen Symptomen führt, häufig auch zum Tod.

Jahrzehntelang konzentrierten sich Mediziner und Gesundheitsbehörden beim Kampf gegen Schistosomiasis auf die Schnecken. Es gab zwar kleinere Erfolge, doch Flüsse wie der Nil oder auch die großen Seen in Afrika erwiesen sich als zu große Herausforderung. Seit den 1980er Jahren ist ein Medikament namens Praziquantel die Waffe der Wahl gegen die Würmer. In vielen Gegenden erhalten alle Schulkinder das Medikament einmal im Jahr; das Pharmaunternehmen Merck stellt es der WHO seit 2007 gratis zur Verfügung und gab kürzlich bekannt, in Zukunft 250 Millionen Tabletten im Jahr spenden zu wollen.

Doch Forscher fürchten, dass der massive Einsatz des Medikaments Resistenzen gegen Praziquantel anfacht und so die einzige Waffe im Kampf gegen den Wurm stumpf wird. Außerdem infizieren sich Menschen im Verbreitungsgebiet schnell wieder, meist innerhalb weniger Monate. „Sobald man aufhört, die Medikamente zu verteilen, bricht die Krankheit wieder genauso stark aus wie vorher“, sagt Loukas. „Ich glaube, die Menschen sehen endlich ein, dass Medikamente allein Schistosomiasis kaum besiegen können.“

Auch ein Impfstoff würde eine Infektion vermutlich nicht verhindern können. Aber er könnte die Zahl der Eier reduzieren, die die Weibchen produzieren und das würde die Symptome mildern und die Verbreitung der Krankheit verlangsamen, sagt Maria Yazdanbakhsh von der Universität Leiden in den Niederlanden. Die Parasitenforscherin leitet ein europäisches Projekt, einen Impfstoff gegen S. mansoni zu entwickeln. „Wenn die Würmer weniger Eier produzieren, ist das Wasser weniger verseucht, und das wird langsam die Zahl der Ansteckungen verringern.“ Einige Studien legen nahe, dass das möglich ist. Manche Erwachsene in betroffenen Gebieten haben einen gewissen Schutz vor einer Neuinfektion, und in Tieren können Impfstoffe die Zahl der Eier um etwa die Hälfte reduzieren.

Wenn die Gates-Stiftung sich für einen Impfstoff einsetzen sollte, würde das die Aufmerksamkeit für die Krankheit erhöhen und möglicherweise auch Regierungen animieren, in die Forschung zu investieren, sagt Yazdanbakhsh. Doch so weit ist es noch nicht und Vertreter der Stiftung wollten sich gegenüber dem Tagesspiegel dazu nicht äußern.

Selbst wenn die Forscher mehr Geld bekommen, gibt es hohe Hürden auf dem Weg zu einem wirksamen Impfstoff. Bis heute gibt es keinen zugelassen Impfstoff gegen einen Wurm-Parasiten. (Neben Plattwürmern verursachen auch Faden- und Bandwürmer schwere Erkrankungen beim Menschen.) „Die Tiere haben sich daran angepasst, im Blutstrom zu leben, mitten in unserem Immunsystem“, sagt Loukas. Möglicherweise tarnen sie sich dafür auf ihrer Oberfläche auch mit menschlichen Eiweißen. Ihre Verteidigungsstrategien zu durchbrechen, dürfte schwierig sein.

Eine weitere Schwierigkeit: Die Ergebnisse einiger vielversprechender Mausstudien (auch mit Tendlers Kandidaten) konnten von anderen Forschergruppen nicht wiederholt werden. „Das ist ein Problem, das das Schistosomiasis-Feld seit Jahren plagt, und es hat sehr viel Schaden angerichtet“, sagt Loukas. Ohnehin ist unsicher, wie gut sich die Ergebnisse von Mausstudien auf den Menschen übertragen lassen. S. mansoni infiziert Mäuse zwar ohne Weiteres, in der Natur ist das Nagetier aber kein Wirt für den Wurm. Und wegen der schieren Größe entspricht ein Wurmpaar in einer Maus einer sehr schweren Infektion im Menschen. Einige Forscher sind auf andere Tiere ausgewichen, wie zum Beispiel Paviane. Die brauchen allerdings spezielle Einrichtungen und sind viel teurer.

Über den französischen Kandidaten ist wenig bekannt. Eine erste Studie, die 1998 und 1999 in Frankreich gemacht wurde, wurde erst im Juli 2012 publiziert. Phase-2- und Phase-3–Studien sind abgeschlossen, aber es sind noch keine Ergebnisse veröffentlicht. Ursprünglich sei die Strategie gewesen, zuerst alle klinischen Prüfungen abzuschließen, bevor irgendetwas publiziert wird, sagt Gilles Riveau vom Pasteur-Institut. „Heute denke ich, das war falsch“, sagt er und verspricht, dass die Ergebnisse der Phase 2 schon bald erscheinen werden.

Andere Wissenschaftler hoffen, dass das Erbgut der Pärchenegel, zwei sind inzwischen entschlüsselt, neue Angriffsziele bietet. Yazdanbakhsh und Kollegen konzentrieren sich auf die frühe Form des Wurms: die Larve, die durch die Haut dringt. Das Forscher-Konsortium hat Gene gefunden, die nur in dieser Phase eingeschaltet sind. Das Immunsystem auf genau diese Eiweiße abzurichten, könnte helfen, den Wurm abzufangen, bevor er sich einnistet. So ein Impfstoff könnte eine Infektion sogar ganz verhindern, hoffen sie.

Auch Loukas’ Gruppe hat Eiweiße untersucht, die Schistosoma auf seiner Oberfläche trägt. Die Wissenschaftler haben diese Eiweiße mit dem Blut von Menschen zusammengebracht, die gegen eine Infektion resistent sind, um herauszufinden, gegen welche Eiweiße sich das Immunsystem dieser Individuen richtet. Ein neues Ziel für einen Impfstoff werde schon bald veröffentlicht, sagt Loukas.

Diese modernen Methoden standen Tendler nicht zur Verfügung, als sie vor 30 Jahren mit ihrer Forschung begann. Einen Impfstoff zu entwickeln, sei heute lediglich eine Frage des politischen Willens, sagt Tendler. „Das hier ist keine Wette, das ist kein Spiel, das ist keine Magie. Es ist einfach nur Arbeit.“

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