Astronomie: Wachsendes Weltall
Hubbles Konstante: Astrophysiker wollen wissen, wie rasch sich der Kosmos ausdehnt.
In Garching bei München hat sich eine illustre Schar versammelt. 53 Spitzenforscher aus aller Welt, darunter zwei Physik-Nobelpreisträger, widmen sich einen Monat lang gemeinsam einer einzigen Frage: Wie schnell expandiert das Universum? Denn verschiedene Verfahren liefern bislang verschiedene Resultate. Ergebnisse, die sich stärker voneinander unterscheiden, als es die Messfehler erwarten lassen. Der Ursache für diese Diskrepanz wollen die Wissenschaftler auf die Spur kommen und die Expansionsrate des Kosmos innerhalb der nächsten zehn Jahre mit einer Genauigkeit von besser als einem Prozent bestimmen.
Als „Hubble-Konstante“ bezeichnen die Astrophysiker die Ausdehnungsrate des Kosmos. Namensgeber ist der amerikanische Astronom Edwin Hubble, der mit seinen Beobachtungen maßgeblich zur Entdeckung der Expansion des Weltalls beitrug. „Die Hubble-Konstante ist von fundamentaler Bedeutung für die Astrophysik“, erläutert Rolf-Peter Kudritzki von der TU München, einer der Leiter der Arbeitstagung. „Sie legt nicht nur den Maßstab für Entfernungen und für das Alter des Universums fest. Sie entscheidet auch darüber, was wir über die Geometrie und die Bestandteile des Kosmos lernen können, zum Beispiel über die Dunkle Energie.“
Die ersten Berechnungen waren zu rasant
Die ersten Versuche zur Bestimmung der Geschwindigkeit, mit der das Universum wächst, gingen mächtig daneben. Der belgische Priester und Physiker Georges Lemaître erhielt 1927 einen Wert von 625, der amerikanische Astronom Edwin Hubble kam zwei Jahre später auf 500 Kilometer pro Sekunde und pro Megaparsec. Das konnte nicht sein: Bei diesem rasanten Tempo wäre der Kosmos vor höchstens zwei Milliarden Jahren entstanden. Schon damals wussten die Forscher, dass die Erde mindestens doppelt so alt ist.
Zwar konnten die Himmelsforscher den Wert durch genauere Beobachtungen deutlich nach unten korrigieren und so schließlich in Einklang mit dem Alter der Erde (4,5 Milliarden Jahre) und später auch der ältesten Sterne (mehr als zehn Milliarden Jahre) bringen. Doch bis in die 1990er Jahre gab es unter den Himmelsforschern zwei Lager die sich mit Werten von 50 und 100 für die Hubble-Konstante geradezu unversöhnlich gegenüberstanden. Dieser Streit ist inzwischen beendet: Die Astronomen sind sich weitgehend einig, dass die Expansionsrate ungefähr 70 beträgt.
Aber eben nur ungefähr. Messungen mithilfe von veränderlichen Sternen, den Cepheiden, und explodierenden Sternen liefern für die Hubble-Konstante einen Wert von 74. Genaue Untersuchungen der kosmischen Hintergrundstrahlung, einer Art Strahlungsecho des Urknalls, durch den amerikanischen Satelliten WMAP und das europäische Weltraumteleskop „Planck“ haben auf deutlich kleinere Werte von 69 und 68 geführt. „Für diese Diskrepanz gibt es bislang keine Erklärung“, stellt „Planck“-Forscher Jan Tauber von der Europäischen Raumfahrtorganisation Esa fest.
Allerdings betont Kudritzki, dass „Planck“ die Hubble-Konstante nicht direkt misst: „Das Hubble-Team benutzt die Hubble-Konstante als Modellparameter zur Erklärung der beobachteten Temperaturschwankungen in der kosmischen Hintergrundstrahlung.“ Nur wenn man das heute übliche kosmologische Standardmodell voraussetzt, ergibt sich auf diese Weise ein fester Wert für die Hubble-Konstante. In das Planck-Ergebnis fließen Annahmen über die geheimnisvolle Dunkle Energie ein, die die Expansion des Kosmos beschleunigt. „Das gibt uns durchaus Spielraum, die Ergebnisse miteinander zu versöhnen“, sagt Kudritzki.
Eine kosmische Entfernungsleiter soll ans Ziel führen
Ganz wohl ist den Astrophysikern dabei allerdings nicht. Denn die bisherigen Messungen der Hubble-Konstante basieren auf einer als kosmologische Entfernungsleiter bezeichneten Aneinanderreihung von Verfahren, die jedes für sich bislang unerkannte Fehlerquellen enthalten könnten. Die Astronomen verlassen sich beispielsweise darauf, dass sowohl die veränderlichen Cepheiden als auch eine bestimmte Art explodierender Sterne, Supernovae des Typs Ia, ihnen als „Standardkerzen“ dienen können. Nur dann nämlich können die Himmelsforscher aus der beobachteten Helligkeit dieser Objekte ihre Entfernung bestimmen. Und im nächsten Schritt, wie schnell die kosmische Ausdehnung in dieser Entfernung voranschreitet.
Die kritische Überprüfung dieser und anderer Annahmen, die in die kosmologische Entfernungsleiter einfließen, ist eines der Hauptthemen des Workshops in Garching. Ebenso wichtig ist für die Wissenschaftler ist die Frage, mit welchen neuen Verfahren sich die Leiter stabiler gestalten lässt. Methoden, die unabhängig voneinander sind, können sich gegenseitig überprüfen und so auch auf die Spur übersehener systematischer Fehler führen.
Anfang des Jahrhunderts lieferten Beobachtungen mit dem Weltraumteleskop „Hubble“ im Rahmen eines internationalen Schwerpunktprojekts entscheidende neue Impulse für die Bestimmung des Hubble-Parameters. Ähnliches erhoffen sich die in Garching versammelten Forscher auch von dem für 2018 als Hubble-Nachfolger geplanten „James Webb Space Telescope“. „Damit könnten wir endgültig die angestrebte Genauigkeit von einem Prozent erreichen“, sagt Kudritzki.