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Große Zeiten. Das Relief zeigt, wie der Großkönig der Perser Schapur I. im 3. Jahrhundert die Römer besiegt. 300 Jahre später zerfiel das Neupersische Reich, mutmaßlich mitverursacht durch Klimaänderungen.
© picture alliance / Artcolor

Historische Klimaänderung: Vulkanausbrüche trieben Völkerwanderungen an

Gewaltige Eruptionen im 6. Jahrhundert waren eine Ursache für den Zerfall etlicher Großreiche und einsetzende Völkerwanderungen. Das schließen Forscher aus Klimaanalysen.

Hungersnöte, Epidemien, Völkerwanderungen – drei massive Vulkanausbrüche haben Mitte des 6. Jahrhunderts in Eurasien eine beispiellose Kältewelle verursacht, die über 100 Jahre andauerte und maßgeblich zum Zusammenbruch etlicher Großreiche beitrug. Gleichzeitig habe die Klimaveränderung die Ausbreitung des Islams begünstigt, vermutet ein internationales Forscherteam um Ulf Büntgen von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft im schweizerischen Birmensdorf. Es berichtet darüber im Fachblatt „Nature Geoscience“.

Das 6. und 7. Jahrhundert markiert das Ende der Antike und den Beginn des Mittelalters. In diese Zeit fallen Hungersnöte, Pestepidemien, massive Völkerwanderungen und politische Umwälzungen, darunter der Zerfall des neupersischen Sassaniden-Reichs oder der Niedergang des Oströmischen Reichs.

Um den Einfluss des Klimas zu untersuchen, analysierte das Team Baumringe in den österreichischen Alpen sowie im knapp 8000 Kilometer entfernten Altai-Gebirge im Grenzgebiet von Russland, China und der Mongolei. Die Dicke der Baumringe gibt Aufschluss über die Sommertemperaturen der jeweiligen Zeit. Die Analysen zeigen, dass die 540er Jahre im Altai das kälteste und in den Alpen das zweitkälteste Jahrzehnt seit Beginn der christlichen Zeitrechnung waren. Im Altai lag die Temperatur demnach um 3,2 Grad unter dem Mittelwert des späten 20. Jahrhunderts, in den Alpen um 1,9 Grad niedriger.

Viele der kältesten Sommer der letzten 2000 Jahre fallen in das 6. und 7. Jahrhundert. Dies erklären die Forscher mit drei großen Vulkanausbrüchen. Erst kürzlich hatten Analysen von Eisbohrkernen auf große Eruptionen in den Jahren 536, 540 und 547 hingewiesen. Der Zweite davon hatte demnach weit größeren Einfluss auf das Klima als der berühmte Ausbruch des Tambora 1815 auf der Insel Sumbawa, die heute zu Indonesien zählt.

„Nach dieser einzigartigen Serie von Eruptionen wurde die abrupte Abkühlung der Sommer wahrscheinlich verstärkt durch Rückkopplungseffekte infolge der Wärmeaufnahme der Ozeane und der Ausdehnung des Meereises“, schreiben die Forscher. Die Kältephase von 536 bis etwa 660, die sie „Late Antique Little Ice Age“ (Latia; Kleine Eiszeit der Späten Antike) nennen, habe wahrscheinlich jede andere Kältephase der vergangenen 2000 Jahre übertroffen. Latia könne man sowohl als zusätzlichen Umweltauslöser von Missernten, Hunger und in deren Folge Krankheiten betrachten als auch als möglichen Auslöser politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Wirren, meinen die Autoren.

Zu den Epidemien zählen sie etwa die Justinianische Pest, die den Mittelmeerraum ab 541 heimsuchte und Millionen Menschen tötete. Kurz darauf, im Jahr 551, wurde in Zentralasien, wo die Kältephase stärker ausgeprägt war als in Europa, die Stammesföderation Rouran durch Turkvölker beendet. Kälte und politische Wirren waren nach Ansicht der Forscher auch der Grund für ausgeprägte Völkerwanderungen. Demnach erreichten die von Osten kommenden Awaren bis etwa 550 das Schwarze Meer, bevor sie letztlich im heutigen Ungarn siedelten. Sie könnten den Autoren zufolge die Langobarden verdrängt haben, die 568 ins heutige Italien einfielen.

Auf der Arabischen Halbinsel förderten höhere Niederschlagsmengen die Ausbreitung der Vegetation und trugen somit indirekt zum Aufstieg des Islamischen Reiches bei, argumentieren Büntgen und Kollegen. Größere Kamelherden könnten den Transport der arabischen Armeen und ihrer Vorräte während der Eroberungszüge im 7. Jahrhundert gefördert haben.

In einem Kommentar, der ebenfalls in „Nature Geoscience“ erscheint, schreibt der Historiker John Haldon von der Universität Princeton, an gesellschaftlichen Veränderungen seien immer viele Faktoren beteiligt, nicht zuletzt die Strukturen der Gesellschaften. Dennoch lasse sich der Einfluss von Klima- und Umweltveränderungen nicht leugnen. Die extreme Kältephase falle mit ähnlich dramatischen historischen Veränderungen zusammen. „Im Fall der Kleinen Eiszeit in der Späten Antike haben wir anscheinend einen ziemlich klaren Fall anzunehmen, dass eine dramatische Abkühlung, die ziemlich präzise datiert werden kann und mit substanziellen gesellschaftlichen Veränderungen auf einem großen Teil der Erdoberfläche zusammenfiel, einen ursächlichen Einfluss besaß.“

Wolfgang Behringer von der Universität des Saarlandes, der an der Studie nicht beteiligt ist, betont, die Kältephase am Übergang von Antika zum Mittelalter sei unter dem Namen „frühmittelalterliches Pessimum“ schon länger bekannt. Ihre Ausprägung werde aber durch die aktuelle Studie, die viel Neues enthalte, untermauert. „Damals ist Außerordentliches passiert“, sagt der Historiker. Eine Schwäche der Studie sei allerdings, dass die Autoren nicht darauf eingingen, dass zwei Großreiche bereits früher zusammengebrochen seien: das Römische Reich im 5. und die chinesische Han-Dynastie im 3. Jahrhundert. dpa

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