Diskussion über "Die Blumen von gestern": Von Ritualen umstellt
Ist die Filmkomödie um Holocaustforscher als Unterrichtsfilm an Schulen geeignet? Historiker haben in Berlin über „Die Blumen von gestern“ diskutiert.
Eine Screwball-Komödie um Holocaustforscher, kann das funktionieren? Der Film „Die Blumen von gestern“ wird von der Kritik wahlweise als „ungeheuer komisch“ und „zutiefst berührend“ (Zeit online), als „nicht nur unangenehm, sondern peinlich“ (FAZ) oder als „hanebüchene“ Kostprobe des „neuen deutschen Geschichtskinos“ (Tagesspiegel) beschrieben. Am 12. Januar ist der umstrittene Film in den Kinos angelaufen, am Mittwochabend lief im Centre français in Berlin-Wedding eine Sondervorstellung der Landeszentrale für politische Bildung. Die Absicht der zur Schulverwaltung gehörenden Aufklärer: Regisseur Chris Kraus mit real existierenden Holocaustforschern zu konfrontieren – auch im Hinblick auf künftige Schulvorführungen.
Das erste Statement auf dem Podium lässt Chris Kraus aufatmen. „Hinreißend komisch und brillant“, nennt der deutsch-australische Historiker Konrad Kwiet den Film. Zudem greife Kraus ein zunehmend wichtiges Thema auf: die Beziehung zwischen den Enkeln der Täter und der Opfer des Holocaust. Sie seien verbunden durch traumatische Erfahrungen, die sich auf die zweite und dritte Generation übertragen.
"Ich bin nicht ganz so verrückt wie die im Film"
Wiedererkannt hat sich Kwiet, der selber Holocaust-Überlebender ist, in Berlin studierte und in Sydney lehrte, nicht in Kraus’ Holocaustforschern. „Man wird nach 50 Jahren meschugge an der Thematik, aber ich bin nicht ganz so verrückt wie die im Film.“
Die Konstellation der beiden Hauptfiguren ist in der Tat speziell. Lars Eidinger spielt den deutschen Historiker Totila Blumen, den die eigene Familiengeschichte antreibt, den Völkermord zu erforschen: Sein Großvater war als SS-Offizier in Riga für die Ermordung der dortigen Juden verantwortlich. Zur Vorbereitung eines Holocaust-Kongresses wird ihm Zazie (Adèle Haenel), eine französische Nachwuchsforscherin, zur Seite gestellt.
Ihre Großmutter ging mit Totilas Großvater in Riga in eine Klasse – und wurde sein Opfer. Beide sind als Angehörige der dritten Generation zutiefst traumatisiert, neigen zu emotionalen, teils gewalttätigen Ausbrüchen. Und finden dann doch zueinander – nicht bei der erfolgreichen Kongressvorbereitung, sondern für einen kurzen Moment als Paar.
Sind Holocaustforscher immer "die Verrückten, die das aushalten"?
„Wie können Sie es ertragen, immer mit diesem Thema zu tun zu haben?“ Elke Gryglewski, stellvertretende Direktorin der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz, hat diese Frage allzu oft gehört. Von dem überdrehten Forscherpärchen der „Blumen von gestern“ distanziert sie sich heftiger als Kollege Kwiet. An die „Verrückten, die das aushalten“ werde doch die Aufarbeitung jenseits der öffentlich begangenen Gedenktage delegiert. Der Film verstärke nun den Eindruck, alle in der Zunft seien gestört.
Vermisst wird eine "normale" Figur - als Korrektiv
Gryglewski ist eigentlich Moderatorin des Abends, erlaubt sich hier aber, aus ihrer Rolle herauszutreten. Unterstützt wird sie von Peter Klein, der Holocaust Communication am Touro College lehrt und sich aus dem Publikum zu Wort meldet: Er vermisst ein „Korrektiv“, eine „normale“ Figur, die sich zwar für die Aufarbeitung engagiert, aber nicht dermaßen von ihren Ritualen umstellt sei wie Totila und Adèle.
Chris Kraus sieht sich missverstanden. Er zeige einen „extremen Film mit extremen Protagonisten, die extrem beeinflusst sind und extrem reagieren“. Für ihn aber seien solche Menschen normal – und sein Film „eine Liebeserklärung an die Holocaustforschung“. Kraus fühlt sich seinen Protagonisten nahe, schließlich verarbeitet er auch seinen eigenen familiären Hintergrund: Sein Großvater war bei einer SS-Einsatzgruppe, wie Totila Blumen habe er seine Familiengeschichte intensiv erforscht.
"Starker Einsatz" an Schulen - Forscher sind skeptisch
Wirklich umstritten bleibt die Frage, ob sich „Die Blumen von gestern“ als Unterrichtsfilm eignen. Kraus kündigte an, der Film stehe vor einem „starken Einsatz“ an Schulen. Er reiße Fenster auf, wo das Thema ansonsten nur noch „durchgekaut“ werde und die Jugendlichen „abstumpfen“. Konrad Kwiet plädierte dafür, dass Lehrkräfte eine Vorführung schon „sehr gut vorbereiten müssten“. Peter Klein urteilt, der Film sei wegen der fehlenden Identifikationsfigur „nicht geeignet für den pädagogischen Einsatz“. Eine Zehntklässlerin widerspricht ihm vehement: „Der Film gibt mir Informationen, die mir weiterhelfen“ – bei ihrer MSA-Präsentation zum deutschen Umgang mit dem Holocaust.