Demenz: Von Hirn zu Hirn
Eiweiße, die an der Entstehung von Alzheimer beteiligt sind, könnten übertragbar sein – wohl aber nicht die Krankheit selbst.
Sie falten sich falsch zusammen, bilden Klümpchen und lagern sich im Gehirn ab. Eiweiße mit dem Namen Beta-Amyloid (Aβ) spielen bei der Entstehung der Alzheimer-Krankheit eine wichtige Rolle. Nach und nach verstopfen die unlöslichen Ablagerungen die Räume zwischen den Nervenzellen, die bei der Krankheit unweigerlich absterben. Nun gibt es neue Hinweise darauf, dass diese Eiweißfragmente in seltenen Fällen von Mensch zu Mensch übertragbar sein könnten, wie John Collinge vom University College London und seine Kollegen im Fachblatt "Nature" berichten.
Die verabreichten Wachstumshormone brachten den Tod
In einer früheren Studie hatten die britischen Forscher Patienten untersucht, die an der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJD) gestorben waren. Sie alle waren als Kinder kleinwüchsig gewesen und mit Wachstumshormonen behandelt worden, die man damals noch aus den Gehirnen Verstorbener gewann. Jedoch waren manche Hormonpräparate mit Prionen verunreinigt, den Erregern der CJD.
Neben den Prionen fanden die Forscher im Gehirn der Patienten jedoch auch veränderte Blutgefäße. Die Patienten hatten erste Zeichen einer Krankheit namens "Zerebrale Amyloid-Angiopathie" (CAA), die häufig zusammen mit Alzheimer auftritt. Dabei lagern sich fehlgefaltete Aβ-Eiweiße auf der Innenseite der Gefäßwände ab. Schon kleine Mengen, sogenannte "Seeds" (Samen), können dazu führen, dass sich wie bei einem Schneeball immer mehr der Eiweiße zu einer Plaque zusammenballen und die Wände der Äderchen versteifen. Eine Folge können Hirnblutungen sein, die auch tödlich enden können.
Für die Wissenschaftler waren diese Veränderungen in den Hirngefäßen der Patienten der entscheidende Hinweis darauf, dass die Eiweiß-Plaques – genauso wie die Prionen – vielleicht ebenfalls über kontaminierte Medizinprodukte übertragen worden sein könnten.
Die Eiweiße lagerten sich auch in den Mäusehirnen zusammen
Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden. Sie untersuchten die damals verabreichten Hormonpräparate, die bis jetzt aufgehoben wurden, erneut. Und sie wurden fündig: Einige der Proben enthielten einen hohen Anteil an zwei verschiedenen Aβ-Varianten und Tau-Proteinen, die Forscher ebenfalls mit der Entstehung von Alzheimer verbinden. Um herauszufinden, ob die Proteine tatsächlich für die Veränderungen im Gehirn der Verstorbenen verantwortlich gewesen sein könnten, spritzten Collinge und Kollegen die Eiweiße direkt ins Gehirn von Mäusen.
Im Hirn derjenigen Tiere, die Hormon-Präparate bekommen hatten, fanden die Forscher nach einigen Monaten Aβ-Ablagerungen, und zwar vor allem in den Gefäßen. Nicht aber in den Mäusen, die keine Hormone bekommen hatten. "Das zeigt, dass die Hormon-Chargen von damals Aβ-Eiweiße enthielten, die in der Lage sind, sich in Mäusen zu Plaques zusammen zu lagern", schreiben die Forscher. Sie schließen nicht aus, dass es über verunreinigte Medizinprodukte vereinzelt zu einer Übertragung der fehlgefalteten Eiweiße auch auf den Menschen kommen könnte.
Keine Hinweise auf Übertragbarkeit von Alzheimer
Heißt das, dass auch Alzheimer – etwa durch kontaminiertes Operationsbesteck – von Mensch zu Mensch übertragen werden kann? "Genau diese Schlussfolgerung wäre komplett falsch", sagt Frank Heppner, Direktor des Instituts für Neuropathologie an der Berliner Charité. Im Grunde hätten die Forscher nur gezeigt, dass die Gefäßkrankheit CAA bei Mäusen übertragbar ist. Alzheimer aber zeichne sich nicht nur durch die gefundenen Amyloid-Plaques aus, sondern auch durch Ansammlungen von Tau-Proteinen im Gehirn und der Ausbildung einer Demenz. "Beides war bei den damals verstorbenen Patienten nicht der Fall, genau so wenig haben es die Forscher jetzt bei den Mäusen festgestellt."
Außerdem seien bei dem Versuch genetisch veränderte Tiere benutzt worden, die besonders empfindlich auf die veränderten Eiweiße reagieren und diese quasi "wie ein Magnet" anziehen. Bei normalen Mäusen sei das anders, auch deshalb sei das Experiment wohl kaum auf den Menschen übertragbar, so Heppner.
Weiterhin, das schreiben auch die Forscher, gebe es aus Bevölkerungsstudien keine Hinweise darauf, dass Alzheimer übertragbar wäre, etwa durch Bluttransfusionen. Auch habe man kein vermehrtes Auftreten der Krankheit bei Angehörigen oder Personal festgestellt, das Alzheimer-Patienten gepflegt hat.
Kein Grund zur Panik
Trotzdem fordern die Autoren der Studie, die Risiken einer Übertragung von Amyloid-Plaques bei medizinischen Eingriffen neu zu bewerten.
Das Robert-Koch-Institut weist darauf hin, dass die bestehenden Empfehlungen, etwa für die Aufbereitung chirurgischer Instrumente, auch einer Übertragung von beispielsweise Aβ- und Tau-Proteinen entgegenwirken. "Bei angemessener Hygiene", sagt auch Heppner, "besteht auf keinen Fall ein Grund zur Panik."
Aber selbst wenn passiert, was nicht passieren darf und es zu einer Übertragung der fehlgefalteten Eiweiße kommt: Derzeit spricht nichts dafür, dass diese bei einem Menschen Alzheimer auslöst.