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Anregung für den Geist. Motivierung kann für Demenpatienten hilfreich sein. Wie hier bei dem Projekt "Artemis" der Universität Frankfurt und dem Städel Museum, bei dem durch die Auseinandersetzung mit Kunst das Erinnerungsvermögen von Demenz-Patienten stimuliert werden soll.
© picture alliance / dpa / A. Heinl

Demenz: Von allen guten Geistern verlassen?

Jeder zweite hat Angst vor einer Demenz. Das ist verständlich. Doch es gibt einige Möglichkeiten, um besser mit der Krankheit umgehen zu können. Ein Kommentar.

Als der französische Arzt Philippe Pinel im Jahr 1797 das Wort „démence“ vorschlug, um das Leiden von Menschen zu charakterisieren, die allmählich ihre kognitiven Fähigkeiten einbüßen, stand er unter dem Einfluss von Aufklärung und Französischer Revolution: Psychisch Kranke sollten generell als solche anerkannt, sie sollten medizinisch behandelt werden statt nur schlechte Behandlung zu erfahren. Im Pariser Hôpital Bicêtre befreiten Pinel und seine Kollegen sie denn auch bald medienwirksam von ihren Ketten.

Pinels Krankheitsbezeichnung hat sich weltweit durchgesetzt - als Oberbegriff, unter den unter anderem Morbus Alzheimer und die vaskuläre, gefäßbedingte Demenz fallen. „Syndrom als Folge einer meist chronischen und fortschreitenden Krankheit des Gehirns mit Störung vieler kortikaler Funktionen einschließlich Gedächtnis, Denken, Orientierung, Auffassung, Rechnen, Lernfähigkeit, Sprache, Sprechen und Urteilsvermögen im Sinne der Entscheidung“, so definiert heute der internationale Krankheits-Klassifizierungs-Code ICD-10 die Demenz.

Auch Jüngere fürchten sich vor einer Demenz

Jeden von uns bedrückt, dass bisher keine wirklich durchschlagende Vorbeugung und keine Heilung von Alzheimer und ähnlichen Krankheiten möglich sind. Jeder zweite hat, einer aktuellen Umfrage der DAK zufolge, Angst vor einer Demenz, auch unter den Jüngeren. Bei Lichte besehen ist ja schon das aus dem Lateinischen abgeleitete Wort grausam: "De mente", das heißt so viel wie: Ohne Verstand, ohne Geist, Sinn, Denken, Bewusstsein.  

Doch passt das wirklich, zumal für die frühen Stadien? Der belastenden Zeit, in der der Betroffene selbst – weil er eben nicht „ohne Geist“ ist – bemerken muss, dass sein Gedächtnis und seine Orientierung ihn immer öfter im Stich lassen? In der er sich – weil er eben nicht „ohne Denken“ ist - aus Verzweiflung über seine nachlassenden Fähigkeiten vielleicht sogar das Leben nimmt?

Gemeinsam kochen, gärtnern, erinnern

Was ist andererseits mit der schon schwerer erkrankten, aber gefühlvollen und freundlichen 92-jährigen Dame, die ein junger Pfleger, auf der Bettkante ihres Pflegebettes sitzend, gerade behutsam aus dem Mittagsschlaf geweckt hat? „Es war schön mit dir“, haucht sie dem jungen Mann zu. „Aber ich bin schon dem Henri versprochen. Und jetzt muss ich dich verlassen.“ Abschiedsworte, die von einer glamourösen Hollywood-Diva stammen könnten. Was möglicherweise früher einmal war und was heute Sache ist, das hat sich im Kopf der alten Dame vermischt. Kein Zweifel: Sie ist verwirrt. Und was daraus nach dem Mittagsschlaf resultierte, ist sicher eine der harmloseren unter den täglichen Verwicklungen und Schwierigkeiten, die sich derzeit nach Angaben in der neuen Leitlinie Demenzen allein in Deutschland für 1,2 Millionen erkrankte Menschen, ihre oftmals schwer belasteten Angehörigen und ihre Pflegekräfte ergeben.

Michael Schmieder, der Leiter des Schweizer Heimes Sonnweid, das Pionierarbeit bei der Betreuung Demenzkranker leistet, erzählt die Episode in seinem neuen Buch mit dem kämpferischen Titel „Dement, aber nicht bescheuert“.  Er belegt darin mit einer Fülle von Beispielen aus dem Alltag, was inzwischen wissenschaftlich untermauert ist und in der neuen Leitlinie der Fachgesellschaften festgehalten wird: „Psychosoziale Maßnahmen“, die die Bewohner dazu animieren, sich an ihre Lebensgeschichte zu erinnern, sich an der Zubereitung der Mahlzeiten zu beteiligen, gemeinsam zu singen, zu gärtnern, sind wirksam und segensreich.

Unterstützung für pflegende Angehörige

Professionelle Unterstützung dafür sollte es auch geben, wenn Angehörige zuhause die Betreuung übernehmen. „Wer mit demenzkranken Menschen und für sie lebt, erfährt sehr intensiv, dass sie alles andere als wandelnde Hüllen sind“, schreibt Schmieder.

Kein Zweifel, es gibt Grund zur Angst vor Demenzerkrankungen. Das heißt aber noch lange nicht, dass die Menschen, die es trifft, von allen guten Geistern verlassen sind.

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