Wissenschaftlicher Nachwuchs: "Verzweifelt nicht!" - Das Lied vom Postdoc
Auf einem Symposium der Schleyer-Stiftung bekommt der wissenschaftliche Nachwuchs viel Verständnis - aber konkrete Hilfen sind nicht in Sicht
In Kanada sind sie weiter: Dort werden Postdocs schon besungen. Für sein Album „Winter Wheat“ schrieb der Singer-Songwriter John Kristjan Samson eine Ballade von einem in die Jahre gekommenen Nachwuchsforscher, der auf Jobsuche eine Kleinstadt-Hochschule nach der nächsten abklappert. „Postdoc-Blues“ heißt der Song, er ist tausendfach geklickt bei Youtube.
In Deutschland liegt die Wahrscheinlichkeit, eine Professur zu bekommen, bei 4,4 Prozent. Das ist bekannt – und schreckt dennoch kaum jemanden ab. Wie der kürzlich vorgelegte Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs (BuWin) belegt, wollen 94 Prozent der promovierten Geisteswissenschaftler und 90 Prozent der promovierten Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler in Forschung und Lehre bleiben. Ein Fünftel kann sich dort tatsächlich bis zum 45. Geburtstag halten. 93 Prozent gelingt das aber nur mit befristeten Verträgen.
Was danach kommt, weiß man nicht. Die Untersuchung der Karriereverläufe endet bei 45 Jahren, also gut fünf Jahre nach dem durchschnittlichen Berufungsalter. Was Stefan Krabel, einer der BuWin-Autoren, allerdings sehr genau sagen kann, ist, dass Wissenschaftler schlechte Beschäftigungsbedingungen in Kauf nehmen, wenn sie die Arbeit interessant finden. „Ein echtes Dilemma“, kommentierte Krabel jetzt bei einer Präsentation des Berichts bei einer Konferenz der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). GEW-Vorstandsmitglied Andreas Keller forderte dementsprechend einmal mehr eine „Entfristungsoffensive“ an Hochschulen. 50.000 Dauerstellen sollten Bund und Länder im Mittelbau schaffen. Dort also, wo prekäre Arbeitsbedingungen die Regel sind, wo Masterabsolventen mit Promovierenden und Postdocs um Teilzeitstellen konkurrieren – und um die Aufmerksamkeit der Etablierten in der Akademia.
Eine Entfristungsoffensive ist nicht geplant
Die erfahren sie mittlerweile zwar, doch nur sehr bedingt in der gewünschten Form. An eine Entfristungsoffensive denkt dort jedenfalls niemand. Stellenpläne würden so „auf Jahrzehnte zubetoniert“, hieß es kürzlich warnend bei einem Symposium in Berlin. Auf Einladung der Hanns Martin Schleyer-Stiftung, der Heinz Nixdorf Stiftung und der TU München diskutierten Wissenschaftsbosse mit Politikern und Ministerialen über „Wissenschaft als Beruf und Berufung“, kamen am Ende aber nicht über die üblichen Absichtserklärungen hinaus: Ja, es müsse Schluss sein mit dem „Befristungsunwesen“. Und nein, das Prinzip der Bestenauslese sei keinesfalls aufzuweichen.
Einig war man sich auch, dass Universitäten und Forschungsinstitute gegenüber Nachwuchswissenschaftlern klare Kante zeigen sollten. „Wir können nur umverteilen“, sagte der Vorstandsvorsitzende der Charité, Karl Max Einhäupl. Natürlich müsste denen, „die nicht in der Wissenschaft bleiben können, genau das viel früher“ gesagt werden. Doch sei das „in der konkreten Situation“ eben „persönlich sehr schwierig“. TUM-Chef Herrmann sekundierte: „Ich bezweifle, dass Hochschulen hinreichend darauf vorbereitet sind, Nein zu sagen.“ Helfen könnten eine gezieltere Personalentwicklung und Karriereberatung als bisher in der Wissenschaft üblich.
Die GEW beobachtet die Unis in ihrem "Kodex-Check"
Wie weit die Hochschulen damit sind, soll der Online-Check für „Gute Arbeit“ beantworten, den die GEW in der vergangenen Woche freischaltete. Er erlaubt Wissenschaftlern eine Übersicht über die Beschäftigungsbedingungen an den bundesweit 82 staatlichen Universitäten. Personalentwicklung, Familienfreundlichkeit, Chancengleichheit und Befristungspraktiken sind Kriterien, nach denen die Hochschulen im „Kodex-Check“ klassifiziert werden können. Ein Ranking sei das nicht, betonte GEW-Vorstand Keller, „doch natürlich wollen wir den Vergleich ermöglichen“.
Auch das Bundesforschungsministerium sieht die Wissenschaft unter Zugzwang: „Ich erwarte von den Hochschulen, dass sie ihre Befristungspraktiken überdenken“, erklärte BMBF-Staatssekretärin Cornelia Quennet-Thielen beim Symposium der Schleyer-Stiftung und plädierte für einen „Kulturwandel“. Dafür müsste es aber kein zusätzliches Geld geben. Das deutsche Wissenschaftssystem sei „hervorragend aufgestellt“ – gut genug jedenfalls, um aus eigener Kraft Abhilfe zu schaffen.
Im Postdoc Blues des kanadischen Indierockers John Kristjan Samson klingt der Zuspruch empathischer: „Don’t despair“.
Christine Prußky