Raubtiere: Unterschätzte Jäger
Eine US-Studie zeigt: Katzen töten dort jedes Jahr Milliarden von Vögeln. Die Tiere sind unterm Strich womöglich gefährlicher als Pestizide oder Kollisionen mit Autos und Bauwerken.
„Schmusetiger“ sagen manche Katzenhalter zu ihren Schützlingen. Diese freundliche Zuschreibung mag zwischen Küche und Wohnzimmer gelten. Draußen jedoch zeigen die domestizierten Tiere, dass sie nach wie vor Raubtiere sind. In den USA werden jedes Jahr rund 2,4 Milliarden Vögel von frei laufenden Katzen getötet. Hinzu kommen rund 12,3 Milliarden Säugetiere wie Mäuse oder Streifenhörnchen. Das berichten Biologen um Scott Loss im Fachmagazin „Nature Communications“. Sie haben dazu Daten mehrerer Einzelstudien zu diesem Thema in einem mathematischen Modell zusammengefasst.
„Als wir das Modell starteten, wussten wir nicht, was uns erwartet“, sagte der Mitautor Peter Marra vom Smithsonian Conservation Biology Institute in Washington der „New York Times“. „Das Ergebnis hat uns absolut überwältigt.“ Die Zahl der Tötungen durch Katzen war doppelt bis viermal so hoch als vorherige Schätzungen erwarten ließen. Einschließlich statistischer Unsicherheiten kamen die Biologen auf 1,4 bis 3,7 Milliarden tote Vögel pro Jahr, bei der Zahl getöteter Säugetiere lag die Spanne zwischen 6,9 und 20,7 Milliarden. Den Autoren zufolge sind jagende Katzen womöglich eine größere Bedrohung für Vögel und Kleinsäuger als alle anderen menschlichen Fährnisse wie Pestizide, Gift oder Kollisionen mit Autos oder Bauwerken.
Vor allem streunende Katzen sind ein Problem. Rund 69 Prozent der getöteten Vögel gehen der Untersuchung zufolge auf ihr Konto. Der Rest wird von Hauskatzen zur Strecke gebracht, die von ihren Besitzern regelmäßig frei gelassen werden. Was die Freigänger auf ihren Touren anstellen, bleibt den Besitzern oft verborgen, wenn die Katzen nicht gerade mit einer Ratte im Maul zurückkommen. Einen Einblick gaben 60 Katzen in Athens (US-Bundesstaat Georgia), die für das Forschungsprojekt „Kitty Cam“ mit Videokameras ausgestattet wurden. Sie überquerten große Straßen, kletterten auf Dächer und in die Kanalisation, legten sich gar mit großen Hunden an. Und sie jagten – mit wechselndem Erfolg – Vögel, Reptilien und Streifenhörnchen. Umherstreifen, so das Fazit der Wissenschaftler, ist sowohl für die Katzen selbst gefährlich als auch für viele Tiere in ihrem Umfeld.
70.000 herrenlose Katzen in Berlin
In Europa könnte die Lage womöglich etwas weniger dramatisch sein, schreiben Loss und Kollegen. Dort werden die typischen Beutetiere seit jeher von Wildkatzen gejagt und sind daher vielleicht vorsichtiger. Dennoch sei es unwahrscheinlich, dass die europäischen Wildtiere sich vollständig an die ungewöhnlich hohe Katzendichte in nahezu allen Teilen des Kontinents angepasst hätten, schreiben die Forscher.
Zumindest in Berlin seien streunende Katzen ein großes Problem, sagt Stephanie Eschen vom Tierschutzverein Berlin. Schätzungen zufolge gebe es im Stadtgebiet rund 70.000 frei lebende, herrenlose Katzen - vor allem auf verlassenden Fabrikgeländen oder in Laubenkolonien. „Für die Tiere ist das ein hartes Leben, weil sie nicht genügend Nahrung finden“, sagt Eschen. Mitarbeiter des Vereins füttern die Katzen an bestimmten Plätzen und versuchen die herrenlose Tiere einzufangen, damit sie untersucht und ins Tierheim gebracht werden können. „Katzen, die offensichtlich zu einem Besitzer gehören, weil sie beispielsweise gut genährt sind oder ein Halsband tragen, werden nicht eingefangen.“
Im Gegensatz zu einigen Kommunen etwa im Ruhrgebiet, gibt es in Berlin keine Kastrationspflicht für Katzen, die von ihren Besitzern nach draußen gelassen werden. Tierschützer fordern das bereits seit Langem und verweisen darauf, dass eine Katze binnen zwei Jahren mehr als 40 Nachkommen haben kann. Gegner solcher Regelungen argumentieren, dass es sich um einen schwer wiegenden Eingriff handele, über den letztlich die Halter entscheiden sollten.
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